Mittwoch, April 24, 2024

“Das Virus wegbeten” – ÖVP-Gebetsfeier mit Radikalen

ÖVP-Gebetsfeier mit Radikalen

Online gegen die Corona-Pandemie anbeten – Das versuchten Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Parteikollegen bei einer Gebetsfeier. Neben Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) traten auch umstrittene radikale Christen auf.

Wien, 09. Dezember 2020 | Die ÖVP wollte am Dienstag Lösungen für die Corona-Krise herbei beten. Schon mehrmals hatte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) im Parlament zum “Gebetsfrühstück” geladen – und damit eine Menge Kritik geerntet. So etwa die Kritik an der mangelnden Trennung von Staat und Kirche, inklusive Spott in den Sozialen Medien.

Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP) und das Komitee des sogenannten Nationalen Parlamentarischen Gebetsfrühstücks luden ebenfalls zur Online-Gebetsfeier “Hoffnung in der Krise”. Gerade in Zeiten der Krise könne der religiöse Glaube für viele Menschen als “Orientierungs- und Kraftquelle” dienen, so Sobotka im Vorfeld der Feier. Die Oppositionsparteien – außer die FPÖ – sahen das mit wachsender Skepsis und zogen daher ihre anfängliche Zusage zurück. So wurde es dann ein türkis-blaues Gebet.

Die ÖVP-Gebetsfeier im Parlament / Foto: Österreichisches Parlament

Advents-Missionierung

Die ÖVP-Politiker Wolfgang Sobotka und Andrea Eder-Gitschthaler luden eine auch in konservativen Kirchenkreisen umstrittene Gruppe zum Referat ins Parlament: Die Loretto-Gemeinschaft. Ihre Gottesdienste leben von popmusikalischer Umrahmung, es gibt einen starken Bezug zur Pfingst- und Erweckungsbewegung. Diese Gemeinschaft gilt als gut vernetzt und finanziell sehr gut aufgestellt. So war etwa auch Raphael Bonelli schon einmal zu Gast bei einer Loretto-Diskussionsrunde zum Thema “Sex, Kirche, Gott und so …”, wie “DerStandard.at” berichtete.

Die Bonelli-Familie ist in erzkonservativen Kirchenkreisen äußerst einflussreich und ÖVP-nah; die Cousine von Raphael Bonelli ist mit dem Kabinettschef von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verheiratet. Kurz wiederum ist Trauzeuge von Bernhard Bonelli, die rechte Hand von Kurz. Bernhard distanziert sich allerdings öffentlich von Raphael Bonelli.

ÖVP-Gebete, Lesungen und ein bisschen “Opus Dei”

Außerdem gab es eine Lesung von Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP), die nicht – wie anfangs vernommen – aus der Bibel las, sondern Grußworte vortrug. Darüber hinaus konnten anschließend Abgeordnete anderer Fraktionen (der FPÖ) und Vertreter der verschiedenen Konfessionen lesen und beten.

Moderiert wurde die Veranstaltung von der umstrittenen ÖVP-Abgeordneten und Abtreibungsgegnerin Gudrun Kugler. Ihr Mann war als Pressereferent der katholisch-fundamentalistischen Gruppe „Opus Dei“ tätig. Von der Ehe zwischen Homosexuellen ist Hardlinerin Kugler kein Fan: Die ÖVP-Kandidatin hatte in der Zeitschrift „Couleur“ geschrieben, dass die Homo-Ehe „unweigerlich zu schrittweisen Erweiterungen“ führe, etwa einer „Ehe unter Geschwistern“, wie ZackZack bereits berichtete.

Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler (ÖVP)

“Sobotka und Fundis vereinnahmen das Parlament”

Während sich die türkis-grüne Regierung inmitten einer Koalitionskrise befindet, intensivieren christlich-fundamentalistische Aktivisten und erzkonservative Politiker ihre Bemühungen, das Österreichische Parlament für ihre Zwecke zu vereinnahmen. So plante das selbsternannte „Komitee des Nationalen Parlamentarischen Gebetsfrühstücks“ am 8. Dezember, unter dem vorgeschobenen Credo „Hoffnung in der Krise“, eine religiöse Veranstaltung abzuhalten bei gleichzeitigem “Vortäuschen einer Schirmherrschaft des Österreichischen Parlaments”, so die Organisation “Religion ist Privatsache” in einer Aussendung. Der Gebetsaktionismus stelle zwar einen perfiden Versuch der religiösen Vereinnahmung der wichtigsten Institutionen der österreichischen Demokratie dar, es solle aber nicht isoliert betrachtet werden:

„Sie ist Teil einer neuartigen Kooperation zwischen der Katholischen Kirche auf der einen Seite und Vertretern einer konservativ-reaktionären Politik auf der anderen Seite“,

meint Eytan Reif, Sprecher der „Initiative Religion ist Privatsache“.

Besorgniserregend sei laut Reif insbesondere die zunehmend wichtige Rolle, die fundamentalistische und charismatische Kräfte im christlichen Lager bei dieser Entwicklung spielen. Es sei kein Zufall, dass im ‘Komitee des Nationalen Parlamentarischen Gebetsfrühstücks” die eindeutigen Abtreibungsgegner beziehungsweise Lobbyisten der Katholischen Kirche zu finden sind:

„Für sie gilt keine liberale Sachpolitik, sondern das polnische zunehmend christlich-autoritäre Regierungsmodell als Vorbild“.

“Religion wird zu Politik gemacht”

Sehr kritisch betrachtet Reif zudem die Rolle Sobotkas beim gegenwärtigen Gebetsfieber. Es stünde seiner Meinung nach jeder Personengruppe in Österreich frei, religiöse Veranstaltungen nach Belieben privat abzuhalten. Das Österreichische Parlament sei hingegen das Herz der österreichischen Demokratie und solle auch so behandelt werden:

“Es steht keinem Nationalratspräsidenten zu, diese Institution zu einem Gebetshaus zu degradieren und dabei seine eigenen politischen oder persönlichen Agenden auf Kosten des Ansehens dieses Hauses zu bedienen“.

Laut Reif lässt die Initiative derzeit prüfen, ob Vorgehensweise Sobotkas – sowie die erstmalige Teilnahme des Österreichischen Parlaments an der kirchlichen ‚Red-Wednesday‘-Aktion vor zwei Wochen – rechtlich gedeckt seien.

“Fundi-Feste” nichts Neues

Es ist übrigens nur eineinhalb Jahre her, als sich Bundeskanzler Sebastian Kurz in der Wiener Stadthalle – mitten im Wahlkampf – von christlichen Fundamentalisten segnen ließ.

Die Idee des gemeinsamen Betens ist nicht ganz neu: Im Parlament gibt es seit 1981 regelmäßige kleinere Treffen von Abgeordneten zum Austausch und Gebet, an denen seit 2016 alle Fraktionen vertreten sind. Dass jetzt auch immer mehr “Fundis” teilnehmen, stößt vielen sauer auf.

Die besten Twitter-Reaktionen auf die ÖVP-Gebetsfeier hat ZackZack hier zusammengefasst.

(jz)

Titelbild: Österreichisches Parlament

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