Donnerstag, April 25, 2024

Not a Bot – Sauerteig und sechste Staffel

Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!

 

Daniel Wisser

Ende der 1990er-Jahre war ich an vielen Diskussionen beteiligt, wie man Kommunen, Bibliotheken und Betriebe mit dem Betriebssystem Linux ausrüsten könnte, um ihre IT-Systeme sicherer zu machen und Kosten zu sparen. Das Problem dabei war, dass die Verfechter von RedHat, SuSE und Debian (drei verschiedene Linuxdistributionen) aneinandergerieten. Dazu kamen noch die Fans von Slackware und das Chaos war perfekt. Die drei Prozent des Problems, bei denen Uneinigkeit herrschte, waren es den Diskutierenden, die in den restlichen 97 Prozent völlig übereinstimmten, wert, die Sache scheitern zu lassen.

Dasselbe passiert in diesen Tagen mit den Verfechtern von Demokratie und Meinungsfreiheit in diesem Land. Wenn ich mir die Kämpfe ansehe, die diverse kritische Expert*innen und Analytiker*innen auf Twitter gegeneinander führen (semper ad hominem, numquam ad rem), muss ich mich nach der Sinnhaftigkeit solcher Fraktionierung fragen. Fraktionierungen, die im gegenwärtigen Österreich nicht nur keinen Sinn machen, sondern de facto der bewussten Zersetzung der Demokratie zuarbeiten, gegen die man sich eigentlich wendet. Das ist schade, denn zur Verteidigung der Demokratie brauchen wir alle. Und wir können es nicht zulassen, dass sich eine stille Mehrheit aus Furcht und Unsicherheit zurückzieht.

Gegen autoritäre Allmachtsgedanken

Unter sozialdemokratischer Mehrheit und Kanzlerschaft herrschte Meinungsfreiheit, die Demokratie war intakt und die Opposition hatte genug Möglichkeiten, politisch wirksam zu werden. Dementsprechend laut und deutlich war auch die Kritik an der Regierung, die eben diese Demokratie ausmacht. Dass sich die Menschen ausgerechnet dann zurückziehen, wenn diese Möglichkeiten von der Regierung eingeschränkt werden, müssen wir jetzt erleben. Der Rückzug von der öffentlichen Meinungsäußerung ist deutlich spürbar: Da wird zu Hause Sauerteig angesetzt, die sechste Staffel der siebzehnten Serie geschaut und Socken geflickt.

Dabei würden wir gerade jetzt deutliche Stimmen brauchen; jetzt, wo die Regierung darüber redet, Privatwohnungen von der Polizei durchsuchen zu lassen, Menschen, die nicht gerichtlich verurteilt sind, zu inhaftieren und Journalisten, die unangenehme Fragen stellen, zu entlassen. Solch autoritäre Allmachtsgedanken sind realitätsfremd und verfassungsfeindlich – doch sie senken die Hemmschwelle zu ihrer Umsetzung mit jedem Mal, da sie kolportiert werden. In dieser Zeit ist es unsere Pflicht, die Stimme zu erheben und Widerstand zu leisten.

Gibt’s die ÖVP noch?

Zunächst müssen wir beobachten, was die beiden demokratischen Parteien SPÖ und Neos im Parlament tun. Häufig lese ich auf Twitter den Satz: Gibt’s die SPÖ noch? Ich habe darauf Antworten: 1) Ja, sie hat im Parlament den Bund vor einem Finanzdebakel gerettet und versucht gerade, den größten Korruptionsskandal der Zweiten Republik aufzuklären. 2) Wo sollte von ihr zu lesen sein, wenn die Berichte der großen Medien dieses Landes von der ÖVP-Parteizentrale zensiert (wenn nicht überhaupt verfasst) werden? Und ich würde gerne die Gegenfrage stellen: Gibt’s die ÖVP noch? Antwort: Ja, sie hat nur die Farbe, ihren Namen, das Parteiprogramm und alle aktiven Funktionäre ausgetauscht.

Wie die SPÖ werden auch die Neos – besonders seit der Regierungsbeteiligung in Wien – mit gehässigen Angriffen attackiert. Das ist ein untrügerisches Zeichen dafür, dass ihre Aufklärungsarbeit im Parlament goldrichtig ist; sowie auch ihr unverhandelbares Eintreten für die Menschenrechte. In einer Zeit, in der die Klubobfrau des grünen Parlamentsklubs das tut, was noch vor wenigen Monaten die schärfste Kritik von den Grünen geerntet hätte: Menschenleben in Flüchtlingslagern gegen die Harmonie in der Bundesregierung aufzurechnen.

Die schuldbefreite Brust

Jeder in diesem Land weiß, dass es den Menschen unter SPÖ-Regierungen besser gegangen ist. Und jeder weiß, dass die SPÖ und die Neos die einzige Rettung für die Demokratie sind. Wären da nicht die drei Prozent, an denen man lieber herummäkelt, als die 97 Prozent Übereinstimmung zum Anlass zu nehmen, solidarisch zu sein. Und wäre da nicht die Angst vieler Menschen in diesem Land, dass Kritik an der Bundesregierung und vor allem an der ÖVP für sie zu Nachteilen und Sanktionen führt. Mit dieser Angst beginnt die Diktatur.

In Grillparzers Der Traum ein Leben findet sich jene Typisierung des Biedermeier, die man zu meiner Schulzeit noch auswendig lernen musste:

Eines nur ist Glück hienieden,

Eins, des Innern stiller Frieden,

Und die schuldbefreite Brust.

Und die Größe ist gefährlich,

Und der Ruhm ein leeres Spiel;

Was er gibt, sind nicht’ge Schatten,

Was er nimmt, es ist so viel.

Die zutiefst autoritätshörige Phantasie, durch Passivität schuldbefreit zu sein, zeigt jenen katholischen Komplex, der in der Diktatur die Vernichtung von Menschen möglich macht. Die Schuldbefreiten sitzen zu Hause und genießen des Innern stillen Frieden — mit Sauerteig und der sechsten Staffel der siebzehnten Serie.

Propaganda des Rechtspopulismus

Österreich befindet sich in einem Zustand, in dem die Schädigung der Demokratie durchaus noch reversibel ist (oder wäre). Der Moment, den Übergang in ein autoritäres System aufzuhalten, ist noch günstig. Dazu bedarf es aber des Engagements und des Erhebens der Stimme aller Demokraten.

Viele Menschen in diesem Land sind unsicher. Ich bemerke gerade bei den Reaktionen auf meine Kolumne, dass sehr viele Menschen dieselben Gedanken haben, dieselben Beobachtungen machen, dieselben Schlüsse ziehen. Sie sind dankbar dafür, dass jemand sie äußerst. Gerade heute sind wirkliche politische Diskussionen und eigenständige Lektüre notwendiger denn je. In einem Land, das im Boulevard und Kommerz versinkt, ist jede Stimme wichtig.

Produziert, um entsorgt zu werden

Natürlich ist es bequemer, zu Hause zu sitzen und die Abläufe der scheinbaren Politdiskussionen von heute aus sicherer Distanz zu verfolgen. Egal, ob auf Twitter oder auf den Titelseiten der Boulevardzeitungen: Die Schlagzeilen der Ankündigungspolitik trudeln ein wie Zalando-Pakete, die man kostenlos zurückschicken kann. Der Hersteller entsorgt dann die Ware. Endlich ist die Produktionsstraße, die ihre Ware auf direktem Weg zur Mülldeponie liefert, Realität geworden. Die Politik unserer Zeit funktioniert ebenso.

Wollen wir das aber mit unserer Demokratie geschehen lassen, mit unseren Rechten, unseren Freiheiten? Wollen wir einer zukünftigen Generation schildern müssen, wie es war, in einer Demokratie zu leben? Wer dieses Land nicht aufgeben will, muss sich erheben. Und die sich um der Freiheit willen erheben, dürfen sich nicht fraktionieren lassen.

Der Kommentar spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider. Mehr vom Autor finden Sie hier.

Titelbild: APA Picturedesk

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