Not a Bot – Menschliche Kommentare von Daniel Wisser
Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug! Diesmal geht es um Jan Marsaleks Tischnachbarn.
Daniel Wisser
Wien, 19. Dezember 2020 | Die österreichischen Nationalratspräsidenten der Zweiten Republik waren — egal welcher Partei sie angehörten — in ihrer Vorsitzführung meist tadellos und unbestritten. Dementsprechend blieben Skandale oder Rücktritte viele Jahrzehnte aus — mit einer Ausnahme: Felix Hurdes (ÖVP) hatte 1958 seine politische Position ausgenutzt, um einen Autounfall seines Sohnes, in dessen Folge ein Verletzter starb, zu vertuschen. In einem Fernsehprogramm sang daraufhin Helmut Qualtinger den berühmten Song Da Papa wird’s scho richten (geschrieben von Gerhard Bronner), der die Umstände satirisch geißelte.
Ob Hurdes aufgrund dieser Kabarettnummer oder innerparteilicher Umstände zurücktrat, ist bis heute nicht klar. Tatsache ist: Hurdes trat 1959 zurück. Und dieser Rücktritt war auf einem Niveau politischer Konsequenz, das wir auch heute in Österreich gerne hätten. Hätten — denn wir haben es nicht.
Häufung des Schreckens
Stattdessen musste nicht nur Österreich, sondern auch das viel fassungslosere Ausland vor wenigen Tagen erleben, wie sich zwei Strizzi in einer Doppelconférence einander ihrer Methoden versicherten: Wolfgang Sobotka und Wolfgang Fellner. Dabei wandten sie — bewusst oder unbewusst — eine Erzähltechnik an, die als Häufung des Schreckens bezeichnet wird:
Nicht nur gaben sie Korruption zu — anstatt sie wie erwartet abzustreiten —, sondern sie präsentierten ihre Korruptheit sogar mit Stolz und versicherten sich beim jeweils anderen, dass ihre Methode natürlich völlig normal sei.
Alles völlig normal
So wenig man in Österreich darüber überrascht war, so sehr wurde klar, dass hier eine Grenze überschritten wurde, die nicht überschritten werden darf und deren Überschreitung die Kanzlerpartei ÖVP auch bei keiner anderen Partei zulassen würde. Was ist die Konsequenz einer solchen Überschreitung? In Österreich: nichts. Es ist alles völlig normal.
Missachtung des Parlamentarismus
Diese Symptomatik, die Deutsche völlig fassungslos macht, hat zwei Gründe: Erstens werden von der ÖVP Parlamentarismus und Justiz konsequent torpediert und missachtet. Diese Entwicklung sehen wir seit der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz in aller Deutlichkeit. Wir kennen sie aber auch aus dem Jahre 1934, als die christlich-soziale Partei das Parlament ausschaltete und eine Diktatur errichtete.
Zweitens aber wird diese Destabilisierung nicht vom Parteiobmann und Kanzler durchgeführt. Damit sind andere Leute betraut, meist fragwürdige politische Erscheinungen, die eines gemeinsam haben: Sie reflektieren eigene Fehltritte nicht, sondern tragen Parteilichkeit, Bestechlichkeit und unsaubere Methoden stolz, als wären sie Orden. Es sind die Strizzi der Politik. Man hielt sie für ausgestorben oder zumindest für nur mehr in der Regionalpolitik tätig. Dann hat Wolfgang Schüssel sie aus den Provinzbiotopen wieder in hohe Positionen geholt und dabei sogar dem Reim Genüge getan: Strasser und Grasser waren zur Stelle und ihre Handlungen waren letztendlich ein Fall für die Justiz.
Ermitteln gegen sich selbst
Wolfgang Sobotka ist nun der Hauptdarsteller in Return of the Strizzi II geworden. Er kommt, wie fast alle Jünger des Sebastian Kurz, aus der niederösterreichischen ÖVP, jener rechten Zelle der Partei, in der der Putsch von 2017 ausgeheckt, gestartet und umgesetzt wurde. Das sichert ihm die Loyalität des Parteichefs.
Damit, dass Sobotka einen parlamentarischen Ausschuss leitet, deren Untersuchungsgegenstand auch er selbst ist, erinnert er an eine der beklemmendsten Figuren der deutschen Komödie — an Heinrich Kleists Dorfrichter Adam in Der zerbrochne Krug. Der Strizzi in Sobotka zeigt sich schon darin, dass Unvereinbarkeit für ihn nicht existiert. Er hätte den Vorsitz weitergeben und damit souverän bleiben können. Doch auch der Strizzi hat eine Ehre. Er kämpft nur gegen Konkurrenten auf gleicher Ebene. Fordert ihn ein Niedrigerer als er heraus, muss er ihn zermalmen. Stellt sich eine höhere Macht gegen ihn, wie es der demokratische Konsens einer Republik wäre, ist das Duell unfair.
Musizieren statt Zurücktreten
Als Sobotka wegen des Untersuchungsausschusses angeschlagen war, mussten alle der ÖVP gefügigen Journalisten ausrücken, um ihn zu rehabilitieren. Aufgrund einer Aussage Sobotkas gegen Antisemitismus, die zwar löblich ist, ihn aber nicht sakrosankt macht, warb der Kurier für seine politische Größe. Und Moderatorin Vera Russwurm — bei der die Moderation von ORF-Sendungen und Parteiwerbung für die Liste Kurz aus ungenannten Gründen nicht als Interessenkonflikt gewertet wird — lud Sobotka in ihre Sendung, in der er zeigte, wie man das Herz der Österreicher*innen erreicht: musizierend.
Dass Österreich dabei achselzuckend zusieht, ist ein Test. Gelingt der Test, wird das weitreichende Folgen haben. Der Präzedenzfall Sobotka wird die Schamlosigkeit der Korruption nicht nur exkulpieren, sondern weiter salonfähig machen. Und er wird Kanzler Kurz zeigen, wohin er die Strizzi aus der Reihe schicken muss, damit sie ihm in seinem näheren Umfeld nicht allzu lästig werden. Kurz wird Sobotka die Stange halten, obwohl er weiß, dass dieser Mann eine Gefahr ist. Nur die Implosion des Kurzschen Machtimperiums kann Sobotka schaden. Es dauerte bis zum April 1945, bis Adolf Hitler zum Ausdruck brachte, was er schon immer über Hermann Göring gedacht hatte: »Sein Beispiel hat die Korruption in unserem Staate möglich gemacht.«
Ablenkungseffekt
Korruption in der eigenen Partei wird Sebastian Kurz nicht stören. Und sie scheint seinem Koalitionspartner, den Grünen, völlig gleichgültig zu sein. Sie schadet aber der Republik Österreich — und das gewaltig. Für Kurz hätte aber eine Causa Sobotka, wenn es sie gäbe, einen positiven Effekt. Sie würde davon ablenken, was der Untersuchungsausschuss längst gezeigt hat: Dass Ibiza nicht ein FPÖ-Skandal, sondern in noch größerem Ausmaß ein ÖVP-Skandal ist.
Der Kommentar spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider. Mehr vom Autor finden Sie hier.
Titelbild: APA Picturedesk
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