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Pilz am Sonntag – Nach dem heutigen Schauimpfen: Die Österreichische Impflotterie

Nach dem heutigen Schauimpfen: Die Österreichische Impflotterie

Heute ist ein Freudentag: Die ZiB überträgt live die ersten COVID-19-Impfungen in Österreich. Aber über eines berichtet der ORF nicht: Landeshauptmänner, Gesundheitsminister und Kanzler schmücken sich mit Lorbeeren, die sie sich nicht verdient haben. Österreich geht schlecht vorbereitet in ein Impfjahr, in dem zu befürchten ist, dass statt ausreichendem Schutz eine Lotterie geboten wird.

 

 

Wien 27. Dezember 2020 |

Ab morgen werden wir auf ZackZack detailliert berichten. Heute erzähle ich in Kürze, was bisher passiert ist:

  • 1. Schon im Juni 2020 beginnt die EU mit der Vorbereitung für einen gemeinsamen Einkauf des Impfstoffes. Österreich bestimmt die europäische Strategie maßgeblich mit. Die EU setzt auf den Vektor-Impfstoff von Astra Zeneca – und damit auf das falsche Pferd.
  • 2. Im August schließt die EU den ersten Vorkaufvertrag über 400 Millionen Dosen mit Astra Zeneca.
  • 3. Im November wird klar, dass die neuartigen RNA-Impfstoffe von BioNTech und Moderna mit rund 95 Prozent Wirksamkeit das Rennen machen werden und kurz vor der internationalen Zulassung stehen. Gleichzeitig entgleist Astra Zeneca: Schwere Fehler in der Phase 3 werfen das schwedisch-britische Projekt weit zurück.
  • 4. Erst im November darf die EU Verträge mit BioNTech-Pfizer und Moderna schließen. BioNTech bietet 500 Millionen Dosen. Die EU winkt ab und begnügt sich mit 300 Millionen.
  • 5. Deutschland und Dänemark beschaffen zusätzlichen BioNTech-Impfstoff. Aber Österreich will mit BioNTech nur so lange über die Runden kommen, bis Astra Zeneca liefern kann.
  • 6. Es gibt noch immer keinen Impfplan. Der Sonderbeauftragte des Gesundheitsministers erklärt, dass die praktischen Ärzte die Hauptrollen spielen würden. Aber die wissen nichts davon.
  • 7. Putin springt Astra Zeneca mit seinem Impfstoff „Sputnik V“ zur Seite. Ab jetzt geht Astra mit einer russischen Krücke. Aber Wien bleibt an Bord. Das Gesundheitsministerium „rechnet“ mit einer Astra-Zulassung noch im Februar.
  • 8. Bei dem Teil der Phase 3, in dem seriös getestet wurde, kam der Astra-Impfstoff auf eine Wirksamkeit von 63 Prozent. Derzeit behauptet Astra Zeneca, eine – nicht bestätigte – Wiederholung der Tests habe eine weit höhere Wirksamkeit ergeben. Aber mit einer Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde ist in Kombination mit Sputnik V frühestens Mitte 2021 zu rechnen. Daher wird die Impfstrategie im Stillen zweigeteilt: Wer jetzt drankomt, bekommt die hochwirksamen Impfstoffe von BioNTech und Moderna. Beim geplanten Massenimpfen mit Astra muss man bei 63 Prozent Wirksamkeit bereits Glück haben, um mit der Impfung geschützt zu sein.
  • 9. Wie bei Sputnik wurde auch bei Astra-Zeneca auf die Testung älterer Menschen „vergessen“. Aber gerade sie brauchen den Schutz der Impfung. Wenn Menschen über 55 Jahre mit dem Stoff von Astra/Sputnik geimpft werden, gehen sie ein doppelte Risiko ein: niedrige Wirksamkeit gepaart mit der Unsicherheit des fehlendes Tests für die Älteren. Genau hier beginnt die österreichische Impflotterie.
  • 10. Trotz allem setzt der Gesundheitsminister weiter auf Astra Zeneca. Man habe jetzt zwar mit BioNTech die Lieferung von weiteren zwei Millionen Dosen vereinbart, die Hälfte davon für das zweite Quartal. Aber Astra Zeneca werde weiter einen „wesentlichen Anteil“ an der Beschaffung haben.
  • 11. Das Gesundheitsministerium muss mit jedem Hersteller Kaufverträge auf Basis der Vorkaufverträge der EU schließen. In diesen Verträgen werden drei heikle Details vereinbart: die Menge; der Preis; und das Datum der einzelnen Lieferungen. Der Gesundheitsminister verweigert alle Auskünfte über die Vorkaufverträge und beruft sich auf „Geheimhaltungsvereinbarungen mit den Unternehmen“. Aber das gilt nicht für die Kaufverträge der Republik. Als erfahrener Ex-Abgeordneter weiß er, dass derartige Vereinbarungen in Österreich ungültig sind, weil keine Klausel in einem Beschaffungsvertrag der Republik das parlamentarische Interpellationsrecht, also das Fragerecht des Nationalrats, aushebeln darf. Aber wird der Minister die Fragen der Abgeordneten beantworten?
  • 12. Mit Phago wird dem Dachverband der Arzneimittel-Großhändler die Verteilung der Impfstoffe übertragen. Die genauen vertraglichen Vereinbarungen für den Auftrag „sind noch ein bisschen im Fluss“, lässt Phago am Abend vor Weihnachten verlautbaren. „Es ist für uns derzeit ehrlich gesagt unerheblich, wie das dann ausschaut.“ Zu diesem Zeitpunkt haben EU-Staaten wie Deutschland bereits monatelang Impfzentren und Versorgungssysteme aufgebaut.
  • 13. Ende Dezember liefert BioNTech die ersten 10.000 Dosen nach Österreich. Landeshauptleute kämpfen erfolgreich um Stoff für das regionale Schauimpfen. Heute, am 27. Dezember 2020, überträgt der ORF die ersten Impfungen live. In der Pressekonferenz mit dem Gesundheitsminister erklärt der Bundeskanzler dann das zentrale Vorhaben: „Natürlich wird es eine Kampagne geben und ich nehme an, dass Sie vom ORF live dabei sind!“

Für österreichische Regierungen gilt oft eine Regel: Sie sind auf alles gefasst und auf nichts vorbereitet. Der Kanzler sorgt gemeinsam mit seinen Ministern dafür, dass die Regel weiter gilt.

Titelbild: APA Picturedesk

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