Donnerstag, April 18, 2024

Corona-Party im AMS: Auch im dritten Lockdown gehen Kurse weiter

Auch im dritten Lockdown gehen Kurse weiter

Während Schulen, Unis & Co. noch bis mindestens 24. Jänner geschlossen bleiben, kommen tausende Arbeitslose wieder zum Handkuss. Seit gestern finden, nach der Weihnachtspause, wieder AMS-Kurse in Präsenzunterricht statt – teils mit 20 Teilnehmern und ohne Mindestabstand.

Florian Bayer

Wien, 8. Jänner 2021 | Überfüllte Klassen, nicht getragene Masken, vertuschte Corona-Fälle unter Kollegen – bereits Anfang November berichtete ZackZack über AMS-Kurse, die inmitten des zweiten Lockdowns unter unzureichenden Sicherheitsbedingungen stattfanden. Viele Trainer waren verzweifelt. Trotz der vielfach von AMS-Mitarbeitern geäußerten Kritik, einer Protestaktion und zahlreichen Medienberichten änderte sich bis heute nichts.

Anstatt für Verbesserungen einzutreten, spielte AMS-Vorstand Johannes Kopf in einem Gastkommentar die Kritik seiner Mitarbeiter herunter und relativierte den absoluten Wert des Lebens und der Gesundheit. Auf die emotionale Replik einer langjährigen Deutschtrainerin, die sich vom AMS im Stich gelassen fühlt und mangels Präventionsmaßnahmen um ihre Gesundheit fürchtet, reagierte er nicht einmal.

Mittlerweile sind wir im dritten Lockdown, die Neuinfektionen steigen von einem hohem Ausgangsniveau weiter stark an. Doch während Schüler, Studierende und möglichst die gesamte Bevölkerung zu Hause bleiben müssen, mutet man Arbeitslosen und Trainern zu, auch jetzt in Präsenzkursen zu sitzen. Wer fehlt, riskiert seine AMS-Bezüge oder seinen Job.

Zwar gibt es neuerdings eine Opt-Out-Option für Präsenzkurse. Weil viele Teilnehmer aber nichts davon wissen oder weil sie Angst vor Konsequenzen haben, macht kaum jemand davon Gebrauch, berichten Trainer. Die Lehrenden selbst haben ohnehin keine Wahl.

Vom Lockdown ausgenommen

„Natürlich sind wir, wie zu erwarten, auch vom dritten harten Lockdown ausgenommen“, schreibt Elisabeth S., Deutschtrainerin an einem großen Institut in Wien. Ihren echten Namen will sie nicht veröffentlicht wissen, da sie sonst mit Konsequenzen seitens ihres Instituts und dem Auftraggeber AMS rechnen muss. ZackZack ist mit ihr seit Monaten in Kontakt, verbessert habe sich seitdem nichts.

Die Trainerin berichtet etwa von einer Kollegin, die sich während des zweiten Lockdowns in einem Alphabetisierungs-Kurs infiziert hatte. „Niemand wurde, während sie in Quarantäne ging, informiert, nach Hause geschickt oder getestet. Vertretungslehrer wurden ahnungslos in die Klasse gestellt“, schildert sie. Dasselbe erfuhren wir auch schon bei früheren Recherchen – dass Corona-Infektionen verschwiegen wurden und niemand wusste, ob ein Teilnehmer von einem Tag zum nächsten fehlt, weil er den Kurs abbricht, erkältet oder Covid-19-positiv ist.

Am meisten stört Elisabeth S., dass das AMS „die gesundheitlichen Bedenken und offenkundigen Missstände ignoriert“. Bis zur Impfung werde sich da nichts ändern: „Wir werden niemals in Maßnahmen eingebunden werden, auch nicht im Hinblick auf die mutierte Virusvariante. Rosige Aussichten.“ Weil sie finanziell auf ihren Job angewiesen ist, unterrichtet auch sie seit gestern wieder in Präsenz. Ansonsten würde sie wohl kündigen, wie nicht wenige ihrer Kollegen.

Kein Meter Abstand  

Auch andere AMS-Trainer berichten, dass sich in den letzten Monaten nichts verbessert habe. Einer von ihnen leitet außerhalb Wiens einen ECDL-Kurs (Computer-Führerschein), der durchgehend in Präsenz abgehalten wird. Zwischen zehn und 20 Teilnehmer sitzen in den Kursräumen, die nötigen sechs Quadratmeter pro Person können nicht eingehalten werden, berichtet er uns. Auch von einem Meter Mindestabstand zwischen den Teilnehmern könne keine Rede sein.

Mehr Teilnehmer in der Pandemie

Von überfüllten Klassen erzählt auch ein AMS-Deutschlehrer in Wien, nennen wir ihn Andreas M. Auch er will vorsichtshalber anonym bleiben. „Derzeit sitzen 13 Teilnehmer in Unterrichtsräumen, die Besenkammern gleichen. Teils haben wir jetzt sogar mehr Teilnehmer in den Kursen als vor der Pandemie“, sagt Andreas. Diesen Eindruck bestätigt die Statistik: Im Dezember 2020 befanden sich 61.237 Personen in AMS-Schulungen, fünf Prozent mehr als im Dezember des Vorjahres. Im November 2020 waren es sogar mehr als 66.000, obwohl im gesamten Monat ein Lockdown (erst light, dann hart) herrschte.

Gern hätten wir vom AMS erfahren, wie viele Menschen derzeit im Distance Learning und wie viele in Präsenzkursen lernen, doch erhielten wir darauf keine Antwort. Das AMS verweist lediglich darauf, dass die Trägerorganisationen „beauftragt wurden, sämtliche Kurse, die online angeboten werden können, auf Distance Learning umzustellen.“ Wer entscheidet nun aber, ob ein Kurs online durchgeführt werden kann oder nicht? Jedenfalls nicht das zuständige Ministerium für Arbeit, Familie und Jugend, das uns zurück ans AMS verweist.

Dabei war es wohl das Arbeitsministerium, das unter Federführung des Gesundheitsministeriums die Ausnahme für „Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen“ ins Veranstaltungsverbot der aktuellen und auch schon der letzten Corona-Verordnung hineinverhandelt hat – freilich nur dann, wenn sie „unbedingt erforderlich“ sind. Diese unbedingte Erfordernis wird aber sehr flexibel ausgelegt, doch dazu später mehr.

Auch beim Gesundheitsministerium haben wir nachgefragt, warum Schüler und Studierende im mittlerweile dritten Lockdown zu Hause bleiben müssen, Arbeitslose aber weiterhin in vollen Kursräumen sitzen müssen. Wir erhielten keine Antwort.

Kein Mitspracherecht

Die Trainer jedenfalls haben, wie auch die Kursteilnehmer, kein Mitspracherecht und sind der Willkür des Kursinstituts bzw. des AMS ausgeliefert. Unterrichtet man den Theorieteil einer Berufsausbildung nun per Distance Learning oder zwingt man die Teilnehmer ins Kurszentrum? Muss ein Computerführerschein tatsächlich im Informatiksaal gelehrt werden, oder geht das auch zu Hause am eigenen Laptop oder einem Leihgerät?

Das entscheiden nicht etwa die Lehrenden, die es am besten wüssten. Ausbaden müssen sie die getroffene Entscheidung aber. Genauso wie die Arbeitslosen, die auf das AMS angewiesen sind und zumeist nicht widersprechen, selbst wenn sie Angst um ihre Gesundheit haben.

Oft ist aber auch das Gegenteil der Fall und Kursteilnehmer nehmen das Virus auf die leichte Schulter. „Ich beobachte, dass viele Teilnehmer die Pandemie verharmlosen, da sie Schlimmeres aus ihren Herkunftsländern kennen und erlebt haben“, sagt Andreas M. In solchen Fällen ergeben mangelnde Sicherheitskonzepte, zu wenig Platz und fehlendes Risikobewusstsein eine gefährliche Melange. Das Virus freut’s.

Problematisch sei außerdem, so Andreas M., dass sowohl Kursinstitute wie auch AMS dieselben Ergebnisse wie immer erwarten – etwa bei Feedbacklisten, Zwischentests und den ÖSD-Deutschprüfungen am Kursende. Weil Distance Learning aber nicht in derselben Qualität wie Regelunterricht möglich ist, es technische Probleme und mitunter mangelnde Ausstattung der Teilnehmer gibt, sei ein Aussetzen der Kurse die derzeit beste Lösung, „wenigstens solange auch die Schulen geschlossen bleiben.“

Schulungen wirklich notwendig?

Ob und inwieweit es sinnvoll ist, inmitten der Pandemie und trotz Rekordarbeitslosigkeit tausende Menschen in Präsenzkurse zu setzen, wollten wir auch von AMS-Vorstand Johannes Kopf wissen. Schließlich sind die allermeisten unverschuldet in die Arbeitslosigkeit gekommen, weil ganze Branchen – etwa Gastronomie, Tourismus, Handel, Events – aufgrund der Pandemie und der staatlich verordneten Maßnahmen schließen mussten.

Die meisten Experten gehen von einer raschen Erholung der Konjunktur aus, sobald die gesundheitliche Krise durchgestanden ist, auch Kopf tut das. Auch die Erfahrungen vom Sommer zeigen, dass die Arbeitslosigkeit nach den Lockerungen und der Wiedereröffnung von Gastronomie und Hotellerie rapide zurückgegangen ist und viele Menschen rasch wieder in ihrem früheren Beruf Fuß fassen konnten.

Sind angesichts dessen Umschulungen und Fortbildungen wirklich derart dringend notwendig, dass sie unverzüglich, trotz bundesweit rot geschaltener Corona-Ampel und enormen Infektionszahlen durchgeführt werden müssen? Oder würde nicht doch der Gesundheitsschutz überwiegen? Leider erhielten wir darauf weder von AMS-Chef Kopf, noch seiner Pressestelle eine Antwort. Auch nicht von den politisch verantwortlichen Ministerien, nämlich jenen für Gesundheit und Arbeit.

Die Präsenzkurse gehen indessen weiter.

Titelbild: APA Picturedesk

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