Donnerstag, März 28, 2024

Mails von Impfkoordinator Auer – Österreich vor Impf-Desaster

Mails von Impfkoordinator Auer

Mit Lieferkürzungen um 40 Prozent stößt Pfizer Österreich ins Impfchaos. Hinter den Kulissen herrscht Panik: Das belegen heikle Mails von Impf-Koordinator Clemens Martin Auer. Erste Impfteams müssen die Arbeit einstellen. Aber die große Impfkrise droht erst bei Phase 2. Hier hängt alles an Astra Zeneca. Aber dem Unternehmen droht eine beschränkte Zulassung und Österreich damit das Schlimmste: Der Impfstoff geht aus.

 

Wien, 20. Jänner 2021 | Nach dem Plan aus dem Kanzleramt hätten die Bundesländer in der 3. Kalenderwoche zwischen 18. und 24. Jänner 257.985 Impfdosen von BioNTech/Pfizer erhalten sollen. Ab 25. Jänner hätte dann in der 4. Woche noch einmal dieselbe Menge von BioNTech kommen sollen.

Pfizer – der Einbruch

Am 15. Jänner 2021 kommt der Schock. BioNTech/Pfizer teilt dem Gesundheitsministerium mit, dass nur ein Teil der Lieferungen des COVID-Impfstoffs kommt. Anschobers Gesundheitsbeauftragter und Impfchef Clemens Martin Auer schickt um 15.02 Uhr ein erstes Mail an die wartenden Länder:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Europäische Kommission wurde heute Vormittag dahin gehend informiert, dass BioNTech/Pfizer seine Produktions- und Lieferkapazitäten in Europa erweitert. Diese unternehmensinternen Umstellungen könnten zu einer kurzfristen Änderung der bereits vereinbarten Lieferpläne Ende Jänner führen, gleichzeitig aber zu einer höheren Liefermenge in den unmittelbaren Wochen danach. Das Unternehmen wird heute am späteren Nachmittag mit uns EU-Staaten eine entsprechende Klärung herbeiführen. Eine Auswirkung auf die Volumina der konkreten Wochen-Lieferpläne und damit den Zeitplan der Impfungen in Österreich ist für mich derzeit nicht abschätzbar. Ich gehe zur Stunde davon aus, dass das alles keine Auswirkung auf die Lieferung der KW3 hat, kann das aber nicht bestätigen. Im Austausch mit den Kollegen in den anderen EU-MS gerade eben haben wir jedenfalls als Linie festgelegt, diesen Umstand nicht zu akzeptieren. Wieweit das aber von Erfolg sein wird, ist fraglich.

Wenn ich ein klares Bild zur Situation habe, werde ich diese naturgemäß sofort weitergeben.

Auer weiß bereits, dass durch den Kanzlerbefehl, alles zu verimpfen, die 2. Impfungen gefährdet sind:

Jedenfalls zeigt dieser Fall bereits, wie wichtig der Umstand ist, eine sorgfältige Bewirtschaftung der 2. Dosis vorzunehmen.


Ich melde mich später nochmals.
Liebe Grüße
CMA

Kurz vor acht Uhr am Abend brennt der Hut endgültig. Um 19.55 Uhr versendet Auer ein zweites Mail an die Länder. Diesmal werden auch der Pharma-Großhändler Herba Chemosan und die BBG, die Bundesbeschaffungsgesellschaft, informiert.

Liebe Freundinnen und Freunde,

nach mehreren Stunden Verhandlungen mit Pfizer/BioNTech-Europa stellt sich die Sachlage wie folgt dar: Pfizer redet sich darauf aus, dass sie die Produktionsstätte in Belgien neu kalibrieren müssen, um insgesamt ihre erhöhten Lieferzusagen für das Q2 erfüllen zu können. Warum die belgische Zulassungsbehörde davon nicht informiert war, blieb letztlich unbeantwortet …Pfizers Absicht war, die Liefermengen in den kommenden Wochen um ca. 50 Prozent EU-weit zu kürzen, beginnend mit einer ersten Reduktion bereits nächste Woche, bis Ende Februar hinein, um dann bis zum Ende Q1 die gesamte Liefermenge bezogen aufs Quartal wieder auszugleichen. So oder ähnlich hat Pfizer einzelne Länder unterrichtet.
Dieser Vorschlag wurde naturgemäß von EK und uns allen zurückgewiesen. Das wäre ein gigantischer Rückschlag für alle von uns hinsichtlich Planung und Ausrollung der Impfaktionen. Ein uneinholbarer Vertrauensverlust.

Aber Pfizer ist nicht bereit, seine Lieferverpflichtungen zu erfüllen. Die Kürzungen werden akzeptiert. Auch wenn die Regierung Pfizer nicht mehr vertraut, der US-Pharmariese ist als Lieferant alternativlos: erst heute wurde bekannt, dass Österreich eine weitere Lieferung von 3,8 Millionen Dosen erhalten soll.

 

Herausgekommen ist: Die Liefermenge der KW3 wird um 40 Prozent reduziert. Das ist die einzige Woche, mit reduzierter Lieferung. In den KW4, 5 und 6 sind es die bereits zugesagten 100 Prozent und in der KW7 werden die -40 Prozent der KW3 ausgeglichen. (Wie sich das mit dem 6 Dosen Regime genau darstellt, bleibt abzuwarten.

Plötzlich gibt es keine verlässlichen Liefermengen mehr.

Einen genauen neuen Lieferplan pro Land, mit einer klaren Antwort wie sich das tatsächlich auf die Anzahl der trays und vials und Dosen auswirkt, will Pfizer Europa am Wochenende erstellen und bereit stellen.

Dieser Plan ist bis heute nicht in den Ländern angekommen.

Damit jetzt nichts nachhaltiges passiert, haben GenMaj Pernsteiner und ich jedenfalls festgelegt, dass wir diesen neuen Lieferplan abwarten, um eine genaue Kalkulation der Aufteilung pro BL machen zu können. Sollte dieser neue Lieferplan von Pfizer NICHT am Wochenende, also Samstag oder Sonntag, bereit gestellt werden, wird die für Sonntag angekündigte Freischaltung von Dosen nicht erfolgen.

Inzwischen haben die Länder ihre Dosen erhalten. Wie alle anderen musste auch das Burgenland kurzfristig den Impfplan nach unten korrigieren. Landesrat Leo Schneemann informierte heute die Öffentlichkeit:

 

Aber in Auers zweitem Mail kommt es noch schlimmer:

Es tut mir Leid, der Überbringer dieser schlechten Nachricht sein zu müssen. Jedenfalls zeigt diese negative Episode, dass der künstliche Druck, alle Dosen / egal ob 1. oder 2. Dosis / etc. / OHNE Reserven und genau Kalkulation zB für die 2. Dosis aufhören muss. Das ist sicher die erste und nicht die letzte Lieferschwierigkeit eines Herstellers. Wir müssen insgesamt das Risiko minimieren und planbar bleiben, wenn es zu derartigen negativen Ereignissen kommt. Wir haben die Lieferungen nicht in der Hand. Aber die (risikobasierte) Planung.

 

Auer hat einen konkreten Grund, sich hier Sorgen zu machen. Einige Bundesländer im Osten haben vorgesorgt und die Dosen für die Zweitimpfungen rechtzeitig auf die Seite gelegt. So lässt ein Sprecher von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) wissen, dass sich die Stadt auf diese gefährliche Situation vorbereitet habe. Die zweite Dosis werde stets reserviert und nicht verimpft. Andere haben drauflosgeimpft – und die Regierung weiß nicht, ob überall genug Impfstoff für die 2. Impfung da ist.

 

Ich hoffe, wir haben trotzdem ein halbwegs erträgliches Wochenende.
Herzliche Grüße
CMA

In ersten Spitälern und Heimen werden jetzt die Impfungen eingestellt.

Derzeit weiß niemand, ob es ausreichend Dosen für die zweite Impfung gibt. Von Wien bis Bregenz herrscht Chaos. Aber die Katastrophe droht erst dahinter.

Kein Impfstoff für Phase 2

Kurz, Anschober und Auer glaubten noch vor kurzem: Phase 1 kann mit dem BioNTech-Impfstoff bewältigt werden. Dann kann mit Astra Zeneca das Massenimpfen beginnen. Aber Phase 2 hängt von einer Entscheidung ab: Wird die EMA, die EU-Arzneimittel Agentur, Astra Zeneca die volle Zulassung erteilen?

Astra Zeneca hat bei seinen Tests auf die Gruppe der über 55-Jährigen „vergessen“. Hält sich die EMA an die eigenen Regeln, kann der Impfstoff von AZ nur bedingt freigegeben werden – für Personen unter 55 Jahren. Dazu kommt, dass Australien und Neuseeland bereits den Einsatz von Astra Zeneca ablehnen.

Am 29. Jänner entscheidet die EMA. Wenn es zur erwarteten „bedingten Zulassung“ kommt, ist Anschobers Impfplan für die Phase 2 Makulatur. Für die größte Gruppe – die „Personen höheren Alters“ – ist dann kein Impfstoff da.

Geduldsfaden und Versagen

Anschober und Kurz wissen, was das bedeutet. Aber der Versuch des Kanzlers, in Puls 4 mit dem Reißen seines „Geduldfadens“ zu drohen, wird in Brüssel nicht ernstgenommen, aus einem einfachen Grund: Österreich ist ein Hauptschuldiger für das kommende Impfdesaster.

Clemens Martin Auer ist als stellvertretender Chef des Steering Boards, das im Sommer 2020 die Impfbestellungen der EU geplant hat, für die Fehlentscheidung verantwortlich: alles auf Astra Zeneca zu setzen. Sogar im November, als bekannt wurde, dass Astra Zeneca Schwierigkeiten mit der Zulassung bekommen würde, schlugen Auer & Co. ein Pfizer-Angebot über 500 Millionen Dosen aus und begnügten sich mit der Hälfte.

Hätten Auer & Co. auf Sicherheit gesetzt, würde Österreich heute die doppelten Mengen von BioNTech/Pfizer bekommen. Aber der Impfstoffschaden kann nicht mehr repariert werden.

Vertrauensverlust

Jetzt tritt der Vertrauensverlust, vor dem Auer noch am Freitag gewarnt hat, ein. In den Ländern weiß niemand mehr, wann verlässlich Impfstoff kommt. Impfteams stehen ohne Impfstoff Spritze bei Fuß. Niemand weiß, ob es genügend Impfdosen für die bevorstehenden zweiten Impfungen gibt. Nur ein paar Lokalpolitiker nehmen die Sache selbst in die Hand, fahren in die Pflegeheime – und lassen sich impfen.

(red)

Update: Stellungnahme von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) nachgereicht.

Titelbild: APA Picturedesk

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