Freitag, April 19, 2024

Not a Bot – Heilige Waschmittel

Not a Bot

Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!

Daniel Wisser

Wien, 23. Jänner 2021 | Ein Mensch, der mir erklärt hat, er würde sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen, begründete das mit dem Argument, er wisse nicht, was in der Impfung drinnen ist. Es handelt sich bei diesem Menschen um einen intelligenten Menschen. Auch um einen gebildeten Menschen. Er ist nicht uninformiert, liest viel, ist in vielen sozialen Medien unterwegs und verschickt per E-Mail Links zu Artikeln und Youtube-Videos.

Ich frage mich, was dieser Mensch isst und trinkt. Ich frage mich, ob dieser Mensch weiß, was in seinem Essen drinnen ist. Aber das muss doch auf der Verpackung stehen, würde er mir jetzt vielleicht antworten. Ich frage mich, ob ich, wenn ich die Verpackung gelesen hätte, wüsste, was in meinem Essen drinnen ist.

Zurück zur Natur — aber zu welcher?

Ich frage mich, ob der genannte Mensch sich fragt, was in Facebook, WhatsApp und Instagram, Twitter und Youtube drinnen ist. Und ich wäre erstaunt, wenn dieser Mensch darüber erstaunt wäre, erfahren zu müssen, dass die Firmen, die diese Plattformen betreiben, persönliche Daten sammeln, aufbereiten und verkaufen.

Wenn die Frage danach, was drinnen ist, ernst gemeint ist und zu einer Ablehnung aller Dinge führt, von denen man nicht weiß, was drinnen ist, dann müsste der von mir genannte Mensch konsequenterweise auch auf viele andere Dinge verzichten: auf Benzin, Plastik, Internet, Fernsehen, Fleisch, Fleischersatz, Avocados, Pullover, Zeitungen mit Artikeln über Impfungen und Zeitungen mit Artikeln über Impfgegner. Das wäre eine Bewegung Zurück zur Natur. Konsequenterweise müsste man aber fragen: Zu welcher Natur?

Selbst ad absurdum geführt

Wenn eine Bewegung, die bestimmte Entwicklungen ablehnt, das nur selektiv tut, verwickelt sie sich in Widersprüche. Wenn sie einen Kampf gegen diese Entwicklungen führt, ohne auf sie zu verzichten, entlarvt sie sich selbst. Wir alle kennen die Bilder »anti-kapitalistischer« Demonstranten, die einen Apple-Store anzünden, nicht ohne dabei mit ihrem iPhone ein Selfie machen. Wir haben die Videos von Islamisten gesehen, die leben wollen wie im 13. Jahrhundert und dafür Menschen mit Maschinengewehren hinrichten und ihre Videos im Internet verbreiten. Wir kennen christliche Fundamentalisten, die sagen, die Menschheit brauche keine Gesetze, die zehn Gebote reichten völlig aus und gleichzeitig im Parlament ein Gesetz verabschieden wollen, das die Inhaftierung von Zuwanderern schon beim Verdacht einer Straftat erlauben soll. Wenn Maskengegner ohne Maske frei demonstrieren können, weil ihnen die Maskenpflicht ihre Freiheit nimmt, dann haben sie sich damit selbst ad absurdum geführt.

Nichts für das Volk

Und leider fragen sich Impfgegner, die nicht wissen, was drinnen ist, nicht, wer bei den Demonstrationen, bei denen sie mitmarschieren, aller noch dabei ist. Am 16. Januar haben wir das in Wien deutlich vor Augen geführt bekommen. Gut, alle die dort demonstriert haben, waren keine Rechtsextremen. Warum aber gehen sie mit Rechtsextremen auf die Straße? Mit Bewegungen, die finanziell von Terroristen unterstützt werden?

Wer mit H. C. Strache gemeinsame Sache macht, weiß, was er bekommt: nichts. Der Mann, der sich als Oppositioneller für die einfachen Leute einsetzen will, weiß – kaum an der Regierung – nichts mehr davon. Seine Wahlversprechen (Volksabstimmung über CETA, kein Sicherheitspaket, direkte Demokratie u. v. a.) hatte er mit dem Eintritt in das Kabinett Kurz aufgegeben. Er ist ein Mensch, von dem das Volk nichts bekommen hat, bekommt und bekommen wird. Und fast jeder Mensch – vielleicht mit Ausnahme von Gabriel Barylli und Arik Brauer – hat das bereits verstanden.

Eine Krankheit der Demokratie

Das trifft auch auf die Identitären, Sellners, Clowns und Clowningers zu, die bei diesen Demonstrationen in der ersten Reihe marschieren. Es geht ihnen um Selbstdarstellung. Auf wessen Kosten diese Selbstdarstellung geht, ist ihnen völlig egal. Sie sind die Ersten auf den Rednerpulten und die Letzten, die politische Verantwortung übernehmen. Der Populismus und Faschismus dieser Aufwiegler und Demagogen ist eine Krankheit der Demokratie. Doch die Demokratie greift – im Gegensatz zu ihnen – bei ihrer Bekämpfung nicht zu undemokratischen Methoden. Als Demokraten müssen wir auch Demokratiefeinden ihre demokratischen Rechte zubilligen und sogar dafür kämpfen, dass sie ihnen nicht genommen werden.

Der Zweck heiligt höchstens noch die Waschmittel

Es ist ein Unterschied, ob jemand sich selbst nicht gegen Covid-19 impfen lassen will, oder ob er andere davon überzeugen und dazu bringen will, sich nicht gegen Covid-19 impfen zu lassen. Das Demonstrationsrecht darf niemandem verwehrt werden. Aber das Recht, sich gegen Zwangsmissionierung und gegen vorsätzliche Gefährdung zur Wehr zu setzen, darf man auch niemandem nehmen.

Wenn Impfgegner sagen: »Nun gut, da waren eben auch dubiose politische Figuren dabei, aber so haben wir wenigstens viel mediale Aufmerksamkeit bekommen«, dann möchte ich mit Helmut Qualtinger antworten: »Der Zweck heiligt höchstens noch die Waschmittel.« Und selbst bei heiligen Waschmitteln weiß ich nicht, was drinnen ist.

Rücksicht und Respekt

Wir erleben schon diesen Winter, wie das Tragen von Masken die Erkältungserkrankungen massiv zurückgedrängt hat. In Japan tragen erkältete Menschen seit Jahrzehnten NMS: Das zeigt Rücksicht und Respekt für andere. Es wäre schön, wenn sich das auch bei uns durchsetzen würde. Ich demonstriere dafür, und das ganz allein, indem ich auch dann NMS trage, wenn die Umstehenden sagen: »Runter mit dem Ding! Hier ist keine Maskenpflicht!«

Ich habe noch etwas vor

Ich hoffe, dass Menschen, die sich nicht impfen lassen, weil sie nicht wissen, was in der Impfung drinnen ist, genau wissen, was in der Covid-19-Infektion drinnen ist. Ich jedenfalls habe mich bereits zur Impfung eingetragen und bin der Stadt Wien dankbar für die hilfreiche Information und perfekte Organisation der Impfung. Und auch wenn Covid-19 — wie viele sagen — »nur eine Grippe« ist, selbst dann lasse ich mich impfen, wie ich mich auch von der Stadt Wien (gratis) gegen Grippe habe impfen lassen. Der Zweck? Ich will damit andere und mich schützen. Und ich will mein soziales Leben und die Grundlage meiner wirtschaftlichen Existenz wieder zurück. Ich habe nämlich noch einiges vor. Dieser Zweck heiligt das Waschmittel namens Impfung.

Titelbild: APA Picturedesk

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7 Kommentare

  1. Ich verstehe die Aufregung der Impfgegner nicht, entweder man entscheidet sich für oder gegen die Impfung. Warum man versucht jemand Anderen davon zu überzeugen die Coronaimpfung auch abzulehnen? Vermutlich weil man sich selber seiner Sache gar nicht so sicher ist….altbekanntes Verhalten. Was die Sellners, Straches usw .betrifft…..leider hatten solche Leute immer sehr feine Antennen für das was in der Bevölkerung vorgeht im Gegensatz zu unseren Regierenden…….Die Rufe nach einer Impfpflicht von einigen Landeshauptleuten waren kontraproduktiv. Viele Menschen fühlten sich dadurch sogar ihres eigenen Körpers beraubt….

  2. Ja und was macht man, wenn man die Rüsselpest schon hatte? Impfen? Warum? Warum nicht? Wann gibt’s mal Antikörpertests, damit man weiß, ob man noch immun ist?

    • JA! – Doch Lesen ist eine elemantare Kulturtechnik. Im Hinblick auf die Bilder, die uns am 6. Januar 21 vom Capitol Hill in Washington DC erreichten, müssen begründete Zweifel entstehen, wieviele unserer ZeitgenossInnen jener elementaren Kulturtechnik noch fähig sind?
      (Vom Schreiben ganz zu schweigen. Siehe dazu etwa ‘wissenschaftliche’ Arbeiten, die es nicht unbedingt ihrer Qualität wegen in die Medien schafften … – Oder: siehe auch Foren anderswo. 🙂

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