Wirecard-/BVT-Affäre
Karl Nehammers Innenministerium verbreitete die Nachricht: Der ehemalige BVT-Abteilungsleiter W. habe bei den AG FAMA-Ermittlern des Bundeskriminalamts eine „Lebensbeichte“ abgelegt. Jetzt stellt sich heraus: Die „Lebensbeichte“ besteht aus einem Geständnis, Daten mit Hilfe eines – inzwischen verhafteten – Ex-BVT-Kollegen beschafft zu haben. Aber Nehammers Ermittler hatten offensichtlich ganz andere Ziele: die WKStA, Transparency International-Chef Georg Krakow und Ex-Innenminister Herbert Kickl. Wie die SOKO Ibiza hat die AG FAMA offensichtlich einen politischen Auftrag.
Wien, 30. Jänner 2021 | Am 23. Jänner um 8.52 Uhr ist Martin W. soweit. Die Beamten des Bundeskriminalamts haben den ehemaligen Abteilungsleiter des BVT aus seiner Zelle geholt. Er ist müde. „Geschlafen habe ich nicht gut.“
Am Vortag hatte seine Anwältin bei der ersten Vernehmung den Ermittlern noch klargemacht, dass es keine Aussage ohne vorherige Akteneinsicht geben könne. Aber am Morgen des 23. Jänner holen die Beamten W. ohne seine Anwältin aus dem Polizeilichen Anhaltezentrum an der Wiener Roßauer Lände. Sie spazieren mit ihm zu einer Einvernahme – hinter dem Rücken der Anwältin.
Die Ausschaltung der Anwältin
„Wir sind zu Fuß zum Einvernahmeraum gegangen, damit ich etwas Luft bekomme. Ich habe Kaffee erhalten“,
schildert W. das Angebot der Beamten, ihm nach einer schweren Nacht Erleichterung zu bieten. Die Kriminalbeamten der AG FAMA sind professionell geführt. Ihr Leiter Dieter C. ist ein persönlicher Vertrauter von Andreas Holzer, des türkisen Chefs des Bundeskriminalamts. C. dient unter Holzer in der SOKO Ibiza und sorgt dort gemeinsam mit seinem Chef dafür, dass nur die richtigen Spuren verfolgt werden.
Zu Beginn ist W. nicht klar, dass er in einer offiziellen Beschuldigtenvernehmung sitzt, in der von ihm ein Geständnis erwartet wird. „Ich werde jetzt von den Beamten zu einem Vorgespräch eingeladen.“ Dann passiert das Entscheidende:
„Ich gebe an, dass ich für dieses Vorgespräch meine Anwältin nicht benötige.“
Ohne Anwältin haben es die Vernehmer leicht. „Mir werden nun ein Großteil der belastenden Beweise im Vorgespräch geschildert. Nach Vorhalt dieser Belastungen und nach Abwägung der Beweislage meinerseits sehe ich ein, dass ich in letzter Zeit Fehler gemacht habe.“
Jetzt ist W. bereit: „Ich möchte wirklich nun an der Aufklärung mitwirken. Beginn dieser Zusammenarbeit ist die Weitergabe meiner Handyzugangsdaten. Es ist für mich in Ordnung.“
Dann verzichtet W. endgültig auf seine Anwältin. „Grundsätzlich habe ich mit meiner Anwältin vereinbart, dass wir zuerst Akteneinsicht nehmen. Ich bin jetzt trotzdem bereit, freiwillig eine Aussage zu machen.“
Dann beginnt W. mit seinem Geständnis. Bis 16.00 Uhr berichtet er über seine Arbeit für Wirecard-Manager Jan Marsalek, über den Flucht-Flug von Bad Vöslau nach Minsk und über die Rolle des Ex-FPÖ-Abgeordneten Thomas Schellenbacher.
Gegen WKStA statt gegen Wirecard
Um 20.20 Uhr setzen die beiden Beamten die Einvernahme von W. fort. Sie fragen ihn nach Treffen mit Journalisten und nach Johannes Peterlik, dem ehemaligen Generalsekretär im Außenministerium. Peterliks Frau war eine Kollegin von W. im BVT.
Gegen 21.00 Uhr wechseln die Beamten endgültig das Thema. Es geht jetzt nicht mehr um die anhängigen Strafverfahren von Wirecard bis Schellenbacher. Es geht um “das BVT”. Die beiden Ermittler stellen eine Frage, die zeigt, was ihre Auftraggeber wirklich interessiert:
„Sie waren einer der Hauptbelastungszeugen der WKStA im sogenannten BVT-Verfahren. Haben Sie im Vorfeld der Hausdurchsuchung im BVT aktiv Zeugen vermittelt bzw. bekamen Sie den Auftrag weitere Hauptbelastungszeugen zu finden? Wenn ja, von welcher Seite erging dieses Ersuchen?“
W. antwortet kurz und bündig: „Nein“.
Aber die Ermittler verfolgen ihre politische Spur weiter. Schon längst geht es nicht mehr um den Vorwurf von Straftaten, sondern um die politischen Gegner der ÖVP.
„Sie sind persönlich Georg Krakow (Vorstand von Transparency International, Anm. d. Red.) bekannt, dieser war im Zuge Ihrer Aussage als Zeuge bei der WKStA auch Ihre Vertrauensperson. Eine ‘Info von Jan’ vom xx.xx.201x besagt, dass Krakow bereit wäre, eine Führungsposition im BVT zu übernehmen. Gab es von Ihrer Seite dsbzgl. Gespräche über eine Neuausrichtung des BVT verbunden mit personellen wie strukturellen Vorschlägen Ihrerseits?”
W. bleibt wortkarg: „Er war meine Vertrauensperson“.
Die nächste Frage verrät, dass die Beamten einen klaren politischen Auftrag haben.
„Sagt Ihnen das Projekt Pyramide etwas?“ – „Nein.“ – „Kennen Sie Klaus Dieter Fritsche persönlich? Haben Sie Informationen darüber, wer Fritsche dem BMI (Kabinett Kickl) bez. des Projekt Neuausrichtung im BVT vermittelte?“
Fritsche (CSU) war ab 2014 als parlamentarischer Staatssekretär für die deutschen Nachrichtendienste zuständig. Im März 2018 holte ihn Innenminister Kickl als Berater für seine geplante BVT-Reform nach Wien. In Chats rund um Kickls BVT-Reformprojekt „Pyramide“ taucht immer wieder der Name „Jan“ auf.
Die Vernehmung hat jetzt längst nicht mehr mit Wirecard und Schellenbacher zu tun. Die Beamten haben offensichtlich einen politischen Auftrag. Sie sollen belastende Spuren zur WKStA, zur FPÖ und zu anderen Gegnern verfolgen.
Mit dem Bundeskriminalamt führt jetzt auch die falsche Behörde die Vernehmung. Für Ermittlungen zu möglichen Amtsdelikten gibt es im BMI das BAK, das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung. Das BAK hat nur einen Nachteil: Im Gegensatz zum Bundeskriminalamt hat die ÖVP keinen direkten Zugriff darauf.
Aus Gesundheitszentrum abgeholt
Am 27. Jänner 2021 ist W. längst auf freiem Fuß. Nach seiner Vormittags-Behandlung im niederösterreichischen Gesundheitszentrum Senftenberg stehen plötzlich wieder die zwei Ermittler in der Vorhalle des Medical Center. Um 10.00 Uhr hat die Anwältin von W. die Ermittler telefonisch informiert, „dass jegliche Kontaktaufnahme zu W. nur noch im Wege der Kanzlei durchzuführen wäre.“ Aber die Beamten pfeifen auf die Anwältin und nehmen W. um 16.15 Uhr einfach mit. Um 16.59 Uhr wird er wieder in der Wasagasse einvernommen. Seine Anwältin ist wieder ausgeschaltet worden.
(red)
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