Donnerstag, April 18, 2024

Militärputsch in Myanmar

In Myanmar hat die Armee einen einjährigen Ausnahmezustand ausgerufen. Eine entsprechende Erklärung der Streitkräfte wurde am Montag im Fernsehen des südostasiatischen Landes verlesen. Zuvor hatte die Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) mitgeteilt, dass die bisherige De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi, Präsident Win Myint und weitere ranghohe Politiker des Landes von der Armee festgesetzt worden seien.

Wien, 01. Februar 2021 | Ob sie festgenommen oder unter Hausarrest genommen wurden, war vorerst unklar. Zwischen der zivilen Regierung und dem mächtigen Militär hatte es wegen Vorwürfen des Wahlbetrugs bei der Parlamentswahl vom November Spannungen gegeben. Die NLD hatte die Abstimmung klar gewonnen, das Militär weigert sich jedoch, das Ergebnis anzuerkennen. Das neue Parlament hätte erstmals am Montag zusammenkommen sollen, wegen zunehmender Spannungen im Land war die Sitzung aber auf Dienstag verschoben worden, wie die Zeitung “Myanmar Times” am Freitag berichtet hatte.

Bevölkerung soll Putsch nicht hinnehmen

Suu Kyi forderte in einer Erklärung die Bevölkerung auf, den Militärputsch im Land nicht hinzunehmen. Ihre Partei NLD veröffentlichte das Schriftstück mit Aussagen der Friedensnobelpreisträgerin am Montag auf Facebook. Die Machtübernahme der Armee zeige keinerlei Respekt für die Corona-Pandemie und ziele nur darauf ab, das Land wieder unter eine Militärdiktatur zu stellen, hieß es. “Die Öffentlichkeit ist dazu aufgerufen, sich dem Militärputsch voll und ganz zu widersetzen und sich entschieden dagegen zu wehren.”

Die Armee versuchte indes zu beschwichtigen und versprach Neuwahlen nach dem angekündigten, einjährigen Ausnahmezustand. Die Machtübergabe werde nach “freien und fairen allgemeinen Wahlen” erfolgen, erklärte das Militär am Montag im Online-Netzwerk Facebook. “Wir werden eine echte Mehrparteiendemokratie errichten”, hieß es weiter in der Erklärung des Militärs.

Danach sieht es zunächst aber nicht aus. Der frühere General und bisherige Vize-Präsident Myint Swe fungiere nun als Übergangsstaatsoberhaupt, hieß es am Montag im von der Armee kontrollierten Fernsehsender Myawaddy. Die eigentliche Macht liegt demnach bei Armeechef Min Aung Hlaing, der während des Notstands die oberste Befehlsgewalt innehat.

Putsch kündigte sich an

Es hatte seit Tagen Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch gegeben. Ein ranghoher Militärsprecher hatte in der vergangenen Woche vor Medienvertretern angedeutet, dass es zu einem Putsch kommen könnte, falls die Regierung nicht auf die Wahlbetrugs-Vorwürfe der Armee eingehen sollte. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres rief daraufhin dazu auf, jede Form von “Aufwiegelung oder Provokation” zu vermeiden und das Wahlergebnis anzuerkennen.

In der Nacht auf Montag verurteilte Guterres die Festnahme Suu Kyis und anderer myanmarischer Spitzenpolitiker durch das Militär scharf. Damit werde dem demokratischen Reformprozess in dem südostasiatischen Land ein “schwerer Schlag” versetzt, erklärte Guterres’ Sprecher Stephane Dujarric in New York. Der UNO-Sprecher appellierte an die Armee in Myanmar, den Ausgang der Parlamentswahl vom November zu respektieren und “demokratische Normen” zu beachten. Die Wahlen hätten der NLD ein klares Mandat verliehen und “den Willen des Volkes von Myanmar widergespiegelt, auf dem hart errungenen Pfad der demokratischen Reform weiterzugehen”, betonte Dujarric.

Auch EU-Ratspräsident Charles Michel und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilten die Machtübernahme des Militärs. Auch sie forderten auf Twitter am Montag die Freilassung aller Festgenommenen. “Das Ergebnis der Wahlen muss respektiert und demokratische Prozesse müssen wiederhergestellt werden.” Borrell kündigte den Menschen im Land zudem Unterstützung an. “Das myanmarische Volk will Demokratie. Die EU steht an seiner Seite”, schrieb er.

Das Außenministerium in Wien zeigte sich sehr besorgt über die Ereignisse in Myanmar. “Wir rufen die Armeeführung auf, sich an das demokratische Prozedere und die Rechtstaatlichkeit zu halten und alle zivil-politischen Vertreter freizulassen”, wurde mitgeteilt.

Der britische Außenminister Dominic Raab twitterte: “Großbritannien verurteilt den Ausnahmezustand in Myanmar und die rechtswidrige Inhaftierung von Vertretern der zivilen Regierung und der Bevölkerung durch das Militär.” Der Wille der Bevölkerung in Myanmar müsse respektiert werden. Großbritannien war einst Kolonialmacht im heutigen Myanmar.

Auch die US-Regierung hatte besorgt auf die Militärputsch-Berichte reagiert und die sofortige Freilassung von festgesetzten Politikern wie Suu Kyi gefordert. Alle Beteiligten, auch das Militär, müssten sich an demokratische Normen und Rechtsstaatsprinzipien halten, forderte das US-Außenministerium in einer Stellungnahme. Präsident Joe Biden sei von seinem Nationalen Sicherheitsberater Jake Sullivan über die Situation in dem südostasiatischen Land informiert worden. “Die Vereinigten Staaten lehnen alle Versuche ab, den Ausgang kürzlich abgehaltener Wahlen zu verändern oder den demokratischen Übergang in Myanmar zu behindern”, hieß es in der Stellungnahme. Es würden “Maßnahmen gegen die Verantwortlichen ergriffen, wenn diese Schritte nicht rückgängig gemacht werden”.

Der Nachbar China rief zur Aufrechterhaltung der Stabilität in Myanmar auf. “Wir hoffen, dass alle Seiten in Myanmar ihre Differenzen im Rahmen der Verfassung und des Rechtes bewältigen können, um die politische und soziale Stabilität aufrechtzuerhalten”, sagte Außenamtssprecher Wang Wenbin am Montag in Peking. Man bemühe sich noch um weitere Informationen zur Lage im Land.

Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi hatte sich bei der Parlamentswahl eine zweite Amtszeit in dem Land mit knapp 54 Millionen Einwohnern gesichert. Ihre Partei NLD holte nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit, die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 70 Prozent.

Doch auch nach der Wahl blieb Suu Kyi auf die Kooperation mit dem Militär angewiesen. Ein Viertel der Sitze in den Parlamentskammern blieb für die Streitkräfte reserviert. So steht es in der Verfassung von 2008, die die damalige Junta aufgesetzt hatte, um auch nach der Einleitung demokratischer Reformen nach Jahrzehnten an der Macht nicht völlig entmachtet zu werden.

Wegen einer anderen Klausel kann Suu Kyi nicht Präsidentin werden, sondern regiert als Staatsrätin und somit De-facto-Regierungschefin das Land. Ohne das Militär sind auch Verfassungsänderungen nicht möglich, zudem kontrolliert es die wichtigsten Ministerien.

Bereits einmal Militärherrschaft

Nach einem Putsch im Jahr 1962 stand das Land fast ein halbes Jahrhundert lang unter einer Militärherrschaft. Suu Kyi setzte sich in den 1980er-Jahren für einen gewaltlosen Demokratisierungsprozess ein und wurde deshalb 15 Jahre unter Hausarrest gestellt. 1991 erhielt sie für ihren Einsatz gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit den Friedensnobelpreis.

Im eigenen Land ist die 75-Jährige sehr beliebt. International ist die frühere Freiheitsikone mittlerweile aber umstritten. So sind die versprochenen demokratischen Reformen in dem buddhistisch geprägten Land bisher weitgehend ausgeblieben, und Suu Kyi zeigt inzwischen selbst einen immer autoritäreren Regierungsstil.

Vor allem wegen der staatlichen Diskriminierung der Rohingya und ihres Schweigens zur Gewalt gegen die muslimische Volksgruppe steht Suu Kyi international im Kreuzfeuer der Kritik. Mehr als eine Million Rohingya sind vor den Übergriffen des Militärs nach Bangladesch geflohen. In einem Völkermord-Verfahren in Den Haag hatte Suu Kyi die Vorwürfe 2019 zurückgewiesen. Von Genozid könne keine Rede sein, die Armee verteidige nur das Land gegen Angriffe bewaffneter Rebellen, sagte sie damals.

An der Legitimität der Parlamentswahl hatten Wahlbeobachter bereits im Vorfeld der Abstimmung Zweifel angemeldet. Grund: Die Wahlkommission hatte entschieden, dass in mehreren von ethnischen Minderheiten dominierten Konfliktregionen wegen Sicherheitsbedenken gar nicht gewählt werden durfte. Damit seien 1,5 Millionen Menschen von der Abstimmung ausgeschlossen worden, kritisierten Menschenrechtler im November.

Zudem konnten Hunderttausende in Myanmar verbliebene Rohingya nicht teilnehmen, nachdem ihnen bereits 1982 die Staatsbürgerschaft entzogen worden war. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sprach von einer Wahl mit “grundlegenden Mängeln”.

(apa/bf)

Titelbild: APA Picturedesk

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2 Kommentare

  1. Ich frab’ mich, ob Kurz und die Grünen eigendlich auch einen Putsch darstellen.

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