Die Welt im digitalen Wandel
Home Office, Contact Tracing, Online Shopping – Corona hat den weltweiten digitalen Wandel nochmal ordentlich angetrieben. Dieser ermöglicht große Chancen, birgt aber auch Gefahren, meint der ehemalige Dekan der Fakultät für Informatik an der TU Wien, Hannes Werthner.
Wien, 4. Februar 2021 | Wir erreichen den mittlerweile pensionierten Professor, aber immer noch sehr gefragten Experten Hannes Werthner zwischen seinen Vorträgen über digitalen Humanismus. Was das genau bedeutet und warum jeder beginnen sollte, sich mit Daten und Algorithmen zu beschäftigen, erklärt er im folgenden Interview.
ZackZack: Herr Professor, wie sehen Sie den durch die Pandemie noch einmal stark angetriebenen digitalen Wandel derzeit?
Hannes Werthner: Ohne die ganzen Tools, die wir durch die Informatik haben, hätten wir die ganze Pandemie wahrscheinlich wesentlich schwieriger überstanden. Nehmen wir nur die Forschung her: auch die schnelle Entwicklung eines Impfstoffes wurde mithilfe von informatischen Mitteln hergestellt.
Man erlebt einerseits eine Beschleunigung, denken Sie an die Kommunikationsmittel wie Zoom etc. oder an E-Commerce, der rasant wächst und für die Versorgung wichtig ist.
Wir erleben, wie wichtig die Digitalisierung für uns in dieser Zeit ist, andererseits leiden die sozialen Kontakte darunter, weil diese nie wirklich durchs Digitale ersetzt werden können.
ZZ: Sie warnen jedoch immer wieder vor dem Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Sind die Gefahren der Digitalisierung groß?
HW: Die Frage bei der Künstlichen Intelligenz ist, wie intelligent sie wirklich ist. KI ist die Automatisierung menschlichen Denkens bzw. die Simulation menschlicher Intelligenz. Wir sehen, dass hier Fehler gemacht werden und es zu Diskriminierungen kommen könnte. In der medizinischen Diagnostik haben wir aber zum Beispiel einen Bereich, wo der Mensch mit der KI nicht mehr mitkommt, etwa bei der Brustkrebserkennung. Im Endeffekt kommt es darauf an, wie man damit umgeht und wie man sie einsetzt.
ZZ: Große Sorgen bereiten den Menschen auch die rasant wachsenden Plattformen wie Facebook, Twitter, etc.
HW: Diese Plattformen müssen mittlerweile als öffentliches Gut verstanden werden, sie müssen daher auch der öffentlichen Verwaltung und dem öffentlichen Recht unterliegen. Wir müssen uns fragen, überlassen wir die Entscheidung darüber, was gelöscht wird, wirklich Twitter?
ZZ: Wie schaut’s mit Amazon aus?
HW: Ich glaube auch, dass sich in den nächsten Jahren die Anzahl der Geschäfte halbieren wird. Schauen Sie sich Ihr eigenes Kaufverhalten an. Es kommen Verkehrsprobleme auf uns zu, das ist eine Dynamik, die man sich gesamtgesellschaftlich anschauen muss.
ZZ: Dieses Problem haben Sie ja auch in ihrem Manifest für „Digitalen Humanismus“ aufgezeigt.
HW: Die Informatik ist mittlerweile so wichtig geworden, dass sie für den gesellschaftlichen und politischen Bereich entscheidend ist. Wenn wir das also mitgestalten wollen, müssen wir uns fragen, ob wir das auf einer demokratischen Ebene mit Rücksicht auf Menschenrechte machen wollen; oder überlassen wir es anderen, wo wir dann keinen Einfluss mehr haben. Jetzt haben wir die Chance, einzugreifen und etwas zu verändern. Es geht hier auch um Machtpolitik.
Univ.Prof.i.R. Dipl.-Ing. Dr.techn. Hannes Werthner war viele Jahre Dekan für die Fakultät für Informatik an der Technischen Universität Wien, und hat die rasante Entwicklung des Internets jahrelang verfolgt und analysiert. Im Mai 2019 hat er gemeinsam mit anderen namhaften Experten das “Wiener Manifest für digitalen Humanismus” verabschiedet, und ruft seitdem vehement zum Nachdenken und Handeln in diesem Feld auf. Auch auf Youtube klärt er die Menschen auf. (Bild: APA Picturedesk)
ZZ: Wie hoch stehen die Chancen, dass sich hier in den nächsten Jahren etwas verändert? Macht die EU genug dafür?
HW: Da wird sich einiges tun. Ich glaube, dass wir sogar vor einer Zerschlagung von Google, Amazon und Co. stehen. Diese Unternehmen stellen ja mittlerweile Monopole in der Wirtschaft dar, da muss man eingreifen. Das hat es in der Geschichte oft gegeben, schauen Sie sich AT&T oder die Stahl- und Erdölmonopole an.
ZZ: Aber an diesen Plattformen und ihrer Reichweite hängen ja mittlerweile Existenzen. Künstler, kleinere Medien, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
HW: Es wird mehrere Alternativen geben müssen. Mittlerweile werden Start-ups in diesem Bereich von den Konzernen aufgekauft, bevor sie überhaupt groß werden können. Das ist innovationshemmend. Man wird diese Macht in den nächsten fünf bis zehn Jahren stark reglementieren müssen. Die reichsten Unternehmen sind mittlerweile mit großem Abstand Internetkonzerne aus den USA oder China.
ZZ: Apropos China. Viele Experten sind angesichts des rasanten technischen Fortschritts beunruhigt, wenn sie in den fernen Osten schauen.
HW: Das System China hat ein Ablaufdatum. Wirtschaftliche Entwicklung und Reichtum sind langfristig immer mit demokratischen Institutionen verbunden. Auf Dauer wird es keine autoritären Systeme mit einer hohen wirtschaftlichen Entwicklung geben. Schauen Sie sich nur den großen Anteil von Armut in Ländern wie China oder Indien an.
ZZ: Und die in Frage zu stellenden Überwachungsmaßnahmen? Der wohl bekannteste Whistleblower Edward Snowden warnte kürzlich vor ähnlichen Methoden in Europa, die sich in der Folge des Contact Tracings zur Bekämpfung der Pandemie entwickeln würden.
HW: In der EU läuft das anders. Unsere Corona-App in Österreich zum Beispiel ist privacy secure, also die Privatshpäre bleibt geschützt, da haben wir gut aufgepasst. Es hat sich aber was anderes gezeigt: Ohne Google und Apple hätte das ganze gar nicht funktioniert, und da hat man die Macht dieser Konzerne gesehen. Die haben entschieden, was hier läuft, nicht die Staaten. Ich selbst bin ein absoluter Verfechter der Privatsphäre und finde die Arbeit von Vereinen wie epicenter.works wichtig.
Man muss in dieser Frage aber schon auch bei sich selbst anfangen. Wir haben Angst vor staatlicher Überwachung, posten auf den Plattformen aber mittlerweile so gut wie alles aus unserem Leben.
ZZ: Weil Sie epicenter.works angesprochen haben. Die Organisation setzt sich momentan vehement gegen neue Gesetze wie den Uploadfilter oder das Leistungsschutzrecht ein.
HW: Ich glaube, dass Thomas Lohninger und sein Team recht haben. Es ist klar, wenn die großen Unternehmen nachher belangt werden können für das, was sie raufstellen lassen, dann werden sie das gar nicht erst tun.
ZZ: Vor allem in der Medienbranche sorgt man sich angesichts der heutigen Online-Informationsflut, ob das klassische Modell des Journalismus ausgedient hat. Sehen Sie das auch so?
HW: Ich glaube, dass Qualität nach wie vor zählt und dass Algorithmen nicht entscheiden können, was gut oder schlecht ist. Auch die Moderation der Inhalte kann nicht über Algorithmen funktionieren, so weit sind wir noch lange nicht. Das wahre Problem ist ja, dass die Medienlandschaft kein wirkliches Businessmodell hat, sondern Kosten spart, wo es geht und so gar keinen Qualitätsjournalismus mehr machen kann. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
ZZ: Zum Abschluss: Wie kann man denn als einzelner Mensch zu einer positiven digitalen Entwicklung beitragen?
HW: Indem man beginnt, sich selbst damit zu beschäftigen und genau schaut, was man in den sozialen Medien macht und wie die eigenen Daten von den Unternehmen verwendet werden. Man merkt aber, wie dieses Bewusstsein in der Bevölkerung wächst und sich Menschen übers Internet dazu zusammenschließen.
ZZ: Werden Kinder und Jugendliche in der Schule ihrer Meinung nach ausreichend aufgeklärt zu diesem Thema?
HW: Nein, im Informatikunterricht gehört noch viel getan. Ein Vorschlag: Warum helfen Informatik- oder Lehramtsstudenten nicht den vielen derzeit überforderten Lehrern beim Online-Unterricht? Das wär doch schon mal was.
Das Interview führte Markus Steurer.
Titelbild: APA Picturedesk