Mittwoch, April 24, 2024

Not a Bot – Meinten Sie die Freiheit, die ich meine?

Meinten Sie die Freiheit, die ich meine?

Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!

Daniel Wisser

Wien, 6. Februar 2021 | Ende der 1980er Jahre war ich Schüler in einem Gymnasium im mittleren Burgenland. Damals sah ich, was die Freiheit, eine neue Freiheit, in Europa bewirkte: Nach der Grenzöffnung kamen täglich viele Menschen aus Ungarn in die kleine Bezirkshauptstadt Oberpullendorf. Ich kann mich genau erinnern, dass man sie schon an ihren Autos erkannte. Die meisten davon hatten bei der Rückfahrt eine Waschmaschine oder einen Geschirrspüler auf dem Dachträger. Und ich erinnere mich an die Händler des kleinen Städtchens, die sich über steigenden Umsatz freuten. Das hielt sie aber nicht davon ab, an den Stammtischen über die vielen Ungarn und die Invasion aus dem Nachbarland zu klagen und zu spotten.

Die politische Ordnung der Welt kannte damals drei Staatsformen: Demokratien, kommunistische Staaten (die sich als Demokratien bezeichneten, aber Pseudo-Demokratien mit totalitären Zügen waren) und offen totalitäre Staaten, also Diktaturen und absolute Monarchien.

Als unter Gorbatschow Perestroika und Glasnost begannen, war zunächst nicht klar, wie sich der Reformkurs auf die Länder des Warschauer Pakts auswirken würde. Begrüßt aber wurde die Aufbruchsstimmung in den kommunistischen Staaten im Westen von progressiven und konservativen Parteien zugleich; es war vielleicht bis heute das letzte Mal, dass bei uns so breiter Konsens herrschte. Denn plötzlich im Jahr 1989, als der Zerfall des Kommunismus nicht mehr aufzuhalten war, geschah etwas Seltsames: Die westlichen Demokratien, die jahrzehntelang von diesem Augenblick geträumt hatten, wurden von der Demokratisierung im Osten nicht etwa beflügelt, sondern begannen die eigene Entwicklung zu bremsen. Der Befund des deutschen Soziologen Harald Welzer lautet: »1989 ist das Jahr, mit dem die Modernisierung aufhörte.«

Mutlos und tatenlos sahen sie dem sogenannten Privatisierungsprozess unter Boris Jelzin zu, der nichts anderes als ein Korruptionsprozess war. Er schuf jene Oligarchen und Oligarchien, die heute weltweiten Einfluss haben, und die die Völker des Ostens stärker ausbeuten und korrupter sind, als es das kommunistische Regime je war. Zur selben Zeit wurden rechtspopulistische und rechtsextreme Tendenzen in den westlichen Demokratien stärker. Ob in Italien, Deutschland, Frankreich oder Österreich – in verschiedenen Varianten wurden Extremisten, Populisten und Politclowns laut, deren Doppelmoral völlig offensichtlich war: Sie stellten sich als Verteidiger der Freiheit dar und forderten dabei große Freiheitseinschränkungen. Sie stellten sich als Parteien des kleinen Mannes dar und machten Politik für Großunternehmer und Reiche.

Im Zuge der Verwandlung der Ostblockstaaten entstanden in den westlichen Demokratien weitere Probleme: Die Diktaturen, die sie im Kalten Krieg für Stellvertreterkriege hochgerüstet hatten, war ihnen nun lästig geworden. Zum Teil wandten diese sich nun gegen den Westen, der nun (wie etwa 1991 im Irak) mit den eigenen Waffen gegen die eigenen Waffen, die man dem Feind jahrzehntelang geliefert hatte, in den Krieg zog. Zweitens blickten die westlichen Kapitalisten neidisch in den Osten und sahen, um wieviel einfacher es dort war, die Bedingungen für Profitsteigerung zu schaffen.

Hatten Großkonzerne und Reiche im Westen bis dahin auf konservative Parteien gesetzt und von ihnen erwartet, die Macht des Staates zurückzudrängen, Steuern und Abgaben zu senken und den Handel zu liberalisieren, ging ihnen diese Entwicklung mit Blick auf die Oligarchien nun nicht mehr schnell genug.

Unter diesem Druck standen auch sozialistische Parteien, die erkennen mussten, dass das Wechselspiel zwischen konservativer und sozialdemokratischer Regierung, das in vielen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg für ein gewisse Balance gesorgt hatte, zu kippen drohte. Zum Großteil vollzogen die sozialistischen Parteien, meist unter charismatischen Chefs, eine starke Bewegung zur Mitte, um genug Stimmen zu bekommen – z.B. die SPD unter Schröder, die Labour Party unter Blair oder die SPÖ unter Vranitzky. Sie mussten damit rechnen, dass programmtreue Linke die Parteien verließen und es zu Parteiabspaltungen kam. Das war allerdings verglichen mit der Abwanderung der Wähler zu den Rechtspopulisten ihr kleineres Problem.

Diese Entwicklung kam zwischen 2008 und 2015 zu einem Ende: Die Megakonzerne und Superreichen wandten sich von den Konservativen ab und setzten stattdessen auf Rechtspopulisten und Politclowns, schrille Quereinsteiger, die traditionelle Parteien umkrempelten und keine Berührungsängste mit Rechtsextremen hatten. In vielen Ländern haben konservative Parteien heute Programmatik, Diktion und sogar Slogans von rechtsextremen Parteien übernommen. Sie sind deshalb so dynamisch, weil sie kein Programm haben, bzw. ihr Handeln eine einzige Maxime hat: Sie müssen Politik für Megakonzerne und Superreiche machen und sich gleichzeitig als Advokaten des kleinen Mannes darstellen. Das schaffen sie nur, indem sie Unterschicht und Mittelschicht spalten. Nicht materielle Lage und soziale Interessen des Einzelnen sind ausschlaggebend, sondern Herkunft, Hautfarbe und Religion. Ihr Geschäft ist also das Geschäft des Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus.

Haben die konservativen Parteien im Westen den Menschen in kommunistischen Ländern des Ostens zur Zeit des Kalten Krieges noch Freiheit versprochen, wenn sie ihr politisches System überwinden, so bauen sie nun in ihren eigenen Ländern die Freiheit der Menschen nach und nach ab. Meinungs- und Pressefreiheit werden eingeschränkt, die Korruption steigt und große Glücksspiel-, Finanz-, Waffen-, Technologie- und Immobilienkonzerne werden so mächtig, dass die Staatschefs und Finanzminister der Staaten zu Besprechungen in das Wohnzimmer eines Konzernbosses diktiert werden, wo sie erfahren, was sie als Nächstes zu tun haben.

Gleichzeitig verwandelt sich die frühere Verachtung für die Länder des Ostens in Bewunderung. Dass Sebastian Kurz und H. C. Strache beide Victor Orbán bewundern, ist kein Geheimnis. Die Außenministerin des Kabinetts Kurz I. fiel sogar vor Wladimir Putin in die Knie. Eine peinliche und einzigartige Unterwerfungsgeste in der Diplomatie des freien Österreich.

Wenn wir heute von der Freiheit sprechen, müssen wir die Vorgänge der späten 1980er-Jahre genau untersuchen und studieren. Wir müssen uns fragen, ob Europa wirklich schon am Ziel angekommen ist. Wir müssen uns ob der Vorgänge in Russland, Weißrussland, Polen und Ungarn, aber auch ob des politischen Klimas in Österreich, Großbritannien und Italien fragen, welche Freiheit uns in Wahlkampfreden der selbsternannten Volksparteien und Freiheitlichen versprochen wird. Und ob wir nicht eine andere Freiheit wollen.

Titelbild: APA Picturedesk

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Markus Steurer
Markus Steurer
Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.
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21 Kommentare

  1. Wisser zu heissen, ist eine schwer tragbare Bürde – hier wohl viel zu schwer!

    Seit mehr als 15 Jahren entwickeln sich die Mitte-Parteien Europas – allen voran die Merkel-CDU nach links und fördern gleichzeitig die Banken, Großkonzerne und Globalisten.
    Alle SPÖ-Chefs seit Gusenbauer haben dabei mitgemacht, Rendi-Wagner macht es sogar in der Opposition extrem weiter.
    Das Zwischenspiel von Kurz war dem Druck von Patrioten und FPÖ ab 2015 geschuldet, schon damals geplant mit deren Schwächung durch die Ibiza-Falle.
    Die FPÖ hatte den Wahlerfolg 2017 auch ihrem Einsatz für “Direkte Demokratie – die Freiheit die ich meine” zu verdanken.
    Wo bitte sind Freiheitliche oder Mitte-Rechte jetzt am Abbau der Freiheit beteiligt???

    • Also ich hab selten so eine gute Zusammenfassung der Politischen Entwicklungen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gelesen. Super Artikel. Eine Entwicklung von Parteien nach links findet in Europa auf keinen Fall statt. Ich glaube da sind sie in diesem Universum der einzige der das behauptet. Sie können sich die FPÖ schönreden wie sie wollen. Das ist ein Haufen von Hetzern und Spaltern. Und Freiheit gibt es bei der FPÖ auch nur für gewisse Gruppen und die anderen werden in ihrer Freiheit beschnitten. Die Patrioten von denen sie reden sind zusammen mit der FPÖ für das schlechte Klima in diesem Land und die Gräben in der Bevölkerung verantwortlich. Die “Ibiza Falle” hat nur die grenzenlose Korruption und Einfältigkeit von Strache gezeigt.

      • Selten zuvor was Dämlicheres gelesen – unfähig irgendwelche logischen Schlüsse zu ziehen!

  2. Ein ganz ausgezeichneter Artikel. Klar und präzise, ohne überflüssige politologische Doppelaxel. Danke dafür!

    Trotzdem bleibt ein unangenehmes Gefühl.
    Weil es diesmal wirklich wir selbst sind, die mittendrin stecken: in der unangenehmen Realität, die in den letzten beiden Absätzen ausgeführt wurden.
    Ungarn? Polen? UK?
    Es hat sich ausgekrittelt.
    Jetzt sind wir selber dran.

    • … deswegen mußten die Rechten in Österreich aus der Regierung gedrängt werden – in Italien fast gleichzeitig vom Sizilianer Matarella (Staatspräsident) weggeputscht , damit die Linken überall in Europa die “Plandemie” einleiten konnten?

      Ist das die Freiheit, die Ihr wollt???

      • Die FPÖ ist über ihre eigene Dummheit und Korruption gestolpert, sehen sie das doch ein. Niemand hat sie aus der Regierung gedrängt. Die “Linken” sind jetzt auch noch schuld an der Pandemie? Sagen sie glauben sie eigentlich selber an das was sie da schreiben?

        • Die Dummheit von Gudenus ist bestätigt – Strache hätte auch nicht reinfallen müssen.
          Aber das was die beiden angedacht haben, hat Kurz umgesetzt und es in schlimmster Weise genutzt. Und die Grünen sind unkritisch dabei, die Roten auch nicht dagegen, sondern Rendi-Wagner lobbyiert fanatisch für die Pharma-Wirtschaft und unterstützt die “Plandemie”.
          Frau Lindorfer, Sie kapieren gar nix!

  3. Zitat Anfang
    Und ob wir nicht eine andere Freiheit wollen.
    Zitat Ende.

    Die Sache ist klar und eindeutig beantwortbär.
    NAZIS VERPISST EUCH UND HALTEZ MAUL
    WIR HAM AUCH SCHON LANGE SATT
    SCHEISSEGAL WO IHR AUCH AUFTAUCHT
    JAGEN WIR EUCH AUS DER STADT
    HINTER EUREN BLAUEN AUGEN
    LEUCHTET HELL DIE BRAUNE SEELE
    LIEBER STERB ICH BEVOR ICH DIE
    SCHEISS FREIHEITLICHEN/ÖVPLER WÄHLE!

    (frei nach Dreideutige Aussage – Strache verpiss’ dich!)

    https://www.derstandard.at/story/2000120862974/auch-kurz-muss-verantwortung-fuer-das-ischgler-ausreisechaos-uebernehmen#posting-1060214833

    • Sie haben mir aus der Seele geredet. Wir erleben derzeit das dunkelste Kapitel unserer Nachkriegsgeschichte.

    • Ein starkes Stück:
      1. Nazis so zu verniedlichen bzw. freiheitlich gesinnte Menschen und Patrioten denen gleichzusetzen.
      2. Der grüne BP, die Grünen, die pseudorechte ÖVP-Globalisten-Bande und die fanatische Pharma- Lobbyistin Rendi- Wagner mit ihrer SPÖ als “Plandemie- Betreiber”!
      3. Schlafschafe – aufwachen – Ihr könnt Euer “Unwissen” nicht mehr als Entschuldigung verwenden!

  4. Am ziel ist die EU noch lange nicht angekommen. Am Ziel steht Sklaverei für die Massen.

    • Nein, denn dagegen wird’s immer Menschen geben, die aufstehen! Und wer sollte es denn sein, der ein “finales” Ziel formuliert? Eine “Superintelligenz”? Blickt man zurück in die Geschichte, war die Dauer der “Reiche” immer indirekt proportiional zur angekündeten Größe …

      • Haben sie dafür ein konkretes Beispiel? (Im Bezug auf die Reiche)

      • Och, da gibt’s schon brauchbare Ansätze: “Schulden abarbeiten”, z.B., läßt sich passend umformuliert schon verkaufen. HartzIV ist nichts anderes als billigste Arbeitskräfte für Sklaventreiber bereitstellen. Das soziale Umfeld muss nur passend angepasst werden – na, da ist die ÖVP ja eh voll dran.

        Zu den Reichen: Ja, alle Reiche zerfallen – irgendwann. Ich will aber nicht in so einer “Zeitenwende” leben, das war noch nie besonders gesund. Da gibt’s den Fluch “Mögest du in ineressanten Zeiten leben”.

      • Unsinn – die Eliten sind mittlerweile so reich an allem (Geld, Gold, Immobilien, Aktien, Unternehmen, geistigem Eigentum, etc.), daß wir alles davon abkoppeln müssen, um ihre Macht zu begrenzen.
        Wir brauchen neue Medien, die nicht mit Geld erpressbar sind, wir brauchen Politiker mit Bezug zu ihren Wählern, die direktdemokratisch kontrollierbar sind.

    • Sie treffen perfekt ins Schwarze!
      Wenn wir jetzt nicht dagegen ankämpfen und verhindern, daß die Nationalstaaten weiter geschwächt werden, wird es später kaum mehr möglich sein.

  5. Als die Berliner Mauer fiel saß ich vor dem Fernseher und hab geheult wie ein Schlosshund. Damals dachte ich jetzt wird alles gut. Ich habe immer bedauert, dass die DDR kein eigener souveräner Staat wurde sondern anstandslos an die BRD angeschlossen. Damals dachte ich immer “welch eine vertane Chance um etwas völlig neues zu schaffen”. Bis heute denke ich das ich damit recht hatte.

  6. Was ist Freiheit? Ich erinnere mich an eine Anektote bei einer Veranstaltung (vor ca. 10 Jahren) im Salzkammergut, bei der hochrangige Vertreter der WKO, des AMS und der AK am Podium saßen und diskutierten. Und zwar mit einem wirklichen Intellektuellen, einem ehemaligeń Hallstätter, der in die Welt hinaus zog und Professor wurde und über die Zukunft der Arbeit nachdenkt. Nachdem besonders der WKOler meinte, man habe die Freiheit, Leistung zu erbringen, wollte ich genauer wissen und fragte, was er meint. Natürlich habe ich auf Erich Fromm und die verschiedenen Freiheiten verwiesen. Der Professor verstand meinen Einwand und verwandelte ihn in eine Schlusspointe, die das Publikum (waren sicher um die 200 Personen) zum lauten Lachen brachte:

    • Sinngemäß meinte er (der Professor): “Stellen Sie sich vor, sie wären Vegetarier und hätten die Wahl zwischen Schweinefleisch und Rindfleisch.” Wieviel Freiheit gäbe es bei so einer (Aus-)Wahl?

      Damals war ich ziemlich nervös und hätte mich fast nicht fragen getraut. Aber wenn wirklich so eine Kapazität am Podium ist, braucht man sich auch keine Sorgen machen, wenn die Frage nicht so präzise ist, wie man sie später –mit viel mehr Erfahrung– stellen könnte …

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