Dienstag, Januar 21, 2025

Das System Pilnacek lebt weiter

Das ist ein Unterüberschrift

Der einst so mächtige Sektionschef Christian Pilnacek ist tief gefallen. Aber die österreichische Justiz hat dort, wo sie im Spannungsfeld von Politik und Medien arbeitet, ein strukturelles Problem. Das System Pilnacek lebt weiter. Sein bisher schlimmster Angriffe auf die Justiz beginnt gerade. Kommentar von

Thomas Walach

Wien, 02. April 2021 | “Wer unter Pil Justizminister ist, ist egal.” So sagte man in Justizkreisen. Scherz war das schon lange keiner mehr. Wer in Österreich angeklagt wurde und wer nicht, das entschied in letzter Konsequenz oft ein Mann oder sein Umfeld. Gerade bei den brisantesten Causen – Meinl-Bank, Eurofighter, Stadterweiterungsfonds, René Benkos “Chalet N.” – wenn die Politik ins Spiel kam, führten die Ermittler Kämpfe gegen Windmühlen. Die Staatsanwälte fühlten sich systematisch behindert, gingen gar soweit, den Sektionschef anzuzeigen. Eine schützende Hand schien über manche Beschuldigte gehalten zu werden. Dann wurde verzögert, eingestellt, “daschlogn”. Nutznießer des Systems sind bis heute vor allem ÖVP-nahe Geschäftsleute, Politiker und Beamte.

Vorschub leistet dem ein Konstruktionsfehler in der österreichischen Rechtsordnung: Seit der Reform der Staatsanwaltschaften 2008 sind die Staatsanwälte Ermittler, Ankläger und (Untersuchungs-)Richter in einer Person. Die Staatsanwaltschaft ist Teil der Judikative, aber dem Minister, und damit der Exekutive weisungsgebunden. Zusammen mit dem Umstand, dass parlemantarisches Selbsbewusstsein hierzulande gering ausgeprägt ist und das Parlament dank inoffiziellem Klubzwang stets abnickt, was die Regierung an Gesetzesvorlagen einbringt, bedeutet das für die österreichische Realverfassung: Die Regierung macht die Gesetze. Und sie entscheidet, wer angeklagt wird – und vor allem, wer nicht.

“Sollen wir die Weisung diktieren?”

Wem in der Justiz seine Karriere lieb war, der senkte den Kopf und machte mit. Wer aufbegehrte, musste Konsequenzen befürchten: Der fallführende Staatsanwalt in der Causa Eurofighter wurde angezeigt, sein Telefon illegal überwacht.

Als die Ermittler den Meinl-Bankmanager Peter Weinzierl verhaften wollten, verbot Pilnacek das in einer Dienstbesprechung. Der Satz landete im Protokoll. Pilnacek unternahm größte Anstrengungen, ihn von dort wieder verschwinden zu lassen. Das ist auf einem geheim aufgenommenen Tonband dokumentiert, das ZackZack vorliegt.

Verdeckte Weisungen waren an der Tagesordnung. Pilnacek und hohe Beamte machten klar, was sie wollen – ohne eine formelle Weisung zu erteilen, die ihr Einschreiten dokumentieren würde. Am Tonband heißt es zum Beispiel: “Kann das so akzeptiert werden, oder sollen wir die Weisung diktieren?”

Die organisierte Justiz

Christian Pilnacek hat dieses System auf die Spitze getrieben, aber er hat es, um die Worte Sebastian Kurz’ zu verwenden, “nicht erfunden”. An zentralen Schaltstellen der Justiz sitzen Personen, die alles in ihrer Macht stehende tun, um jene zu schützen, die “zur Familie gehören”, wie Gernot Blümel sagen würde. Dieses System ist älter als die türkise Bewegung. Viele seiner Vertreter machten unter ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter Karriere. Doch Türkis macht sich das System der “organisierten Justiz” (Peter Pilz) zunutze.

Fällt Pilnacek, rücken schnell andere nach. Jeder in der Justiz weiß, zu welchen Staatsanwaltschaften Causen verschoben werden müssen, die der ÖVP oder ihren Freunden unangenehm sind, um dort zufriedenstellend behandelt zu werden.

Doch das System bekommt zweifellos Risse. Ausgerechnet an dem Tag, als die Korruptionsermittler die Handys von Sektionschef Pilnacek und dem nunmehrigen Verfassungsrichter Brandstetter sicherstellten, hatte das Handy des Wiener Oberstaatsanwalts Fuchs einen überraschenden Defekt, sodass der sich gezwungen sah, das Handy physisch zu vernichten. Gegen Fuchs wird mittlerweile ebenso ermittelt wie gegen Pilnacek und Brandstetter.

Regierung will Persilschein für Korruption

Just in dieser Situation will die Regierung das Gesetz ändern. Razzien bei Behörden sollen künftig verboten sein. Die Ermittler sollen sich Beweise nur noch im Zuge der Amtshilfe verschaffen dürfen: “Hallo, liebe Kollegen. Wir ermitteln wegen Korruptionsverdachts gegen euch. Würdet ihr uns bitte alles zukommen lassen, was euch belastet?” In einem Land, wo Festplatten unter falschem Namen geschreddert werden, Minister nicht wissen, ob sie Laptops besaßen und die Gattin des Finanzministers mit dem Computer im Kinderwagen spazieren geht, während daheim eine Hausdurchsuchung läuft, kann das nur heißen:

Politische Korruption wird nicht mehr verfolgt.

Vorgeblicher Anlass ist die rechtswidrige Hausdurchsuchung im BVT, mit der sich die WKStA bis auf die Knochen blamiert hatte. Doch mit Verweis auf das Urteil des Oberlandesgerichts Wien in diesem konkreten Fall alle Hausdurchsuchungen bei Behörden zu verbieten, ist absurd. Wir schaffen auch nicht alle medizinischen Eingriffe ab, weil bei einem ein Kunstfehler passierte.

Die Initiative dazu kommt – seltsam genug – aus dem nicht zuständigen Innenministerium. Es wäre aber lebensfremd, anzunehmen, dass die organisierte Justiz dazu keinen Beitrag leistete. Pilnacek beriet die ÖVP ja selbst bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen und den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen. An diesen liegt es, den bisher schwersten Angriff auf den Rechtsstaat zu verhindern. Doch Grünen-Klubchefin Sigi Maurer verteidigt das Vorhaben wacker. Sie sieht kein Problem. Ist sie wirklich derart ahnungslos, oder bereits Teil des Systems?

Justizministerin Alma Zadic hat bisher zögerlich agiert, wenn es darum ging, gegen das System Pilnacek vorzugehen. Die entschlossensten Schritte, die wichtigsten Maßnahmen – gerade auch im Kleinen und abseits der öffentlichen Wahrnehmung – erfolgten, als Werner Kogler interimistisch das Ressort führte. Auch den jetzigen Vorstoß verteidigte Zadic, wenngleich mit deutlich weniger Verve als Maurer. Mag sein, dass im Justizminsterium hinter den Kulissen ganz anders gesprochen wird.

Wer bleibt jetzt standhaft?

Für die ÖVP geht es um alles. Gegen Blümel wird ermittelt, Anzeigen gegen Kurz wegen falscher Beweisaussage sind für den Kanzler äußerst gefährlich. Um das Justizministerium unter Kontrolle zu bekommen, muss die ÖVP entweder Neuwahlen vom Zaun brechen; wegen der Coronakrise geht das aber frühestens im Herbst. Oder sie bringt Zadic auf Linie. Von der Justizministerin hängt gerade sehr viel ab.

Eine weitere wichtige Rolle spielen die Medien. Sie haben bisher großteils versagt. Nun, da die Beweise für illegale Handlungen Pilnaceks erdrückend werden, wenden sich plötzlich auch Journalisten gegen den Sektionschef, die ihn zuvor stets verteidigt hatten. Die öffentliche Überraschung über das, was alle längst wussten, ist nun groß. Dass – und vor allem wer – von Pilnacek regelmäßig mit Informationen versorgt worden war, ist in Österreichs Journalismus offenes Geheimnis.

Das System Pilnacek ist nicht ein Mann. Es ist das politisch-mediale System Österreichs. Es ist “eine Hand wäscht die andere”, “eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus”, Verhaberung, Freunderlwirtschaft. Bis dieses System Geschichte ist, werden noch viele Handys die Donau hinunter schwimmen.

Titelbild: APA Picturedesk

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