Ob Oligarchen-Business, Kneissls Kniefall oder die jüngste Sputnik-Order: Wiens Nähe zu Moskau rückt immer wieder in den internationalen Fokus. Wie groß ist Putins Einfluss in Österreich?
Benjamin Weiser
Wien, 12. April 2021 | Österreich will den russischen Covid-Impfstoff Sputnik V spritzen lassen, notfalls auch ohne Zulassung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Für die einen ist das realpolitisch klug, für die anderen ein erneuter Kniefall vor Moskaus Autokraten.
Kontroverse um Sputnik V
Die Regierung wehrt sich: es dürfe „keine Scheuklappen“ geben, so ÖVP-Klubobmann August Wöginger im Ö1-„Journal zu Gast“. Kanzler Sebastian Kurz argumentiert, dass auch Deutschland bei Sputnik V nachziehe. Das Nachbarland sieht aber die EMA-Zulassung als Voraussetzung für die Beschaffung. Dass diese zeitnah kommen wird, gilt als unwahrscheinlich. Lässt sich Österreich von Wladimir Putin, unter Ausblendung der Geopolitik, instrumentalisieren? Immerhin hat es Kurz zuvor verpasst, das EU-Kontingent der bereits zugelassenen Impfstoffe auszuschöpfen. Hinzu kommt die unklare Datenlage, aufgrund derer die slowakische Arzneimittelbehörde die Zulassung für Sputnik in der Slowakei vorerst verweigert hat. Trotz mehrfacher Aufforderung seien etwa 80 Prozent der Daten nicht geliefert worden.
Österreich will den Stoff trotzdem. Der Vorstoß von Kurz „ist seit langem wieder eine Annäherung zwischen Österreich und Russland“, meint Russlandexperte Gerhard Mangott gegenüber ZackZack. Eine echte Wiederbelebung der Beziehungen sei das aber nicht, aufgrund ausländischen Drucks habe die Russlandnähe unter Türkis-Grün im Gegensatz zu Türkis-Blau nachgelassen.
Big Polit-Business
Unvergessen, die Selfies der FPÖ-Spitze am Roten Platz in Moskau oder der Kniefall von Ex-Außenministerin Karin Kneissl (ebenfalls FPÖ) vor Putin bei ihrer Hochzeit im August 2018. Die Aktion hat Kneissl zumindest finanziell nicht geschadet: ihr neuer Aufsichtsratsposten beim Ölriesen Rosneft soll der Ex-Ministerin 500.000 US-Dollar pro Jahr einbringen.
Dabei ist Kneissl nicht die erste ehemalige Wiener Staatsdienerin, die sich in Richtung Moskauer Einflusssphäre verabschiedet hat. Ex-SPÖ-Kanzler Christian Kern ist Aufsichtsrat bei den Staatsbahnen (RZD), Ex-ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling berät den Gasriesen Gazprom und Ex-ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel ist Aufsichtsrat bei Lukoil. Der Ölkonzern ließ im März mitteilen, man wolle das internationale Geschäft künftig in Wien bündeln. Dazu soll es mit 2022 einen brandneuen Standort am Schwarzenbergplatz geben.
Der Wiener Schwarzenbergplatz und seine unmittelbare Nachbarschaft haben östliches Flair: das Sowjetdenkmal, die Standorte von Sberbank Europe, Gazprom Neft, bald Lukoil International (derzeit Kantgasse), und in der nahegelegenen Schwindgasse residiert das Firmenreich von Oligarch Dmytro Firtasch. Im Bild: Putin bei einer Kranzniederlegung im Rahmen eines Arbeitsbesuches in Wien im Jahr 2018. Quelle: APA Picturedesk.
Von dort grüßt dann nicht nur das Heldendenkmal der Roten Armee, sondern jetzt schon Gazprom und die Europazentrale der russischen Sberbank. Während der Moskauer Mutterkonzern seit 2014 mit EU-Sanktionen belegt ist, gilt das nicht für die Sberbank Europe in Wien. Laut US-Think Tank CSIS sei auf Drängen Österreichs hin ein Schlupfloch in die EU-Verordnung betreffend Finanzsanktionen reinreklamiert worden. So können die Wien-Filialen der von Russland kontrollierten Banken an den Sanktionen vorbei agieren. Damals Finanzminister: Michael Spindelegger (ÖVP); Außenminister: Sebastian Kurz (ÖVP).
Putin-nahe Oligarchen und ihre Wiener Connections
Spindelegger, der einen Monat nach der Verordnung von allen Ämtern zurücktrat, kassierte aufgrund seines darauffolgenden Engagements in der „Agentur zur Modernisierung der Ukraine“ Kritik. Grund: der ukrainische Oligarch Dmytro Firtasch, den die USA wegen angeblicher Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe ausgeliefert haben wollen (er selbst bestreitet die Vorwürfe), ist Financier der mittlerweile nicht mehr aktiven Agentur. Überhaupt pflegt der Putin-nahe Milliardär auch über PR-Berater Daniel Kapp, Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter und den Vermieter seiner Hietzinger Luxusvilla, Kurz-Großspender Alexander Schütz, beste Verbindungen in türkise Kreise. Ex-FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer ist einer seiner Anwälte und Firtaschs Zugang in blaue Gefilde.
Dass Bundeskanzler Kurz nach seinem letzten Israel-Besuch mit Firtaschs Privatjet (ZackZack deckte auf) heimflog, war für das Kanzleramt „nicht von Relevanz“. NEOS-Außenpolitiker Helmut Brandstätter sieht das anders: „Es gilt wohl auch für Firtasch die Unschuldsvermutung, aber ich hätte mich in den Flieger nicht reingesetzt. Das ist eine Frage der politischen Intelligenz, eine Frage der politischen Moral“, so der Oppositionspolitiker.
Firtasch ist nicht der einzige Putin-nahe Oligarch, der an Österreich Gefallen findet. Auch der Arm Oleg Deripaskas reicht über Kurz-Unterstützer Siegried Wolf nach Wien. Letzterer musste jüngst eine Schlappe bei der MAN-Belegschaft in Steyr hinnehmen, diese stimmte gegen eine Übernahme des Investors. Wolf ist Aufsichtsratsvorsitzender der Sberbank Europe in Wien, fährt gerne leidenschaftliche Kampagnen gegen die EU-Sanktionen (“Diktat der USA”) und bezeichnet sich offen als Putinfreund. Für Österreich wünscht er sich “ein bissl mehr russische Demokratur”. Er war Boss von Deripaskas Autozulieferer Russian Machines und hält zehn Prozent Anteile an der GAZ, Russlands größtem Autokonzern.
Wie ZackZack als erstes Medium berichtete, hatte Bundeskanzler Kurz überlegt, Wolf zum ÖBAG-Aufsichtsratschef zu machen. Die mögliche negative Außenwirkung der Personalie machte dem Kanzler zu schaffen: „Kurz scheisst sich voll an“, so ÖBAG-Schmid an seine Assistentin per Chat.
In welchem Verhältnis stehen eigentlich Sebastian Kurz und Siegfried Wolf – also jener Manager, Millionär und Schlossbesitzer dessen mit Lohnkürzung und Kündigungen durchzogenes Übernahmeangebot die Arbeiter_innen bei #MAN #Steyr vorgestern mutig abgelehnt haben? (Thread)
— Lukas Oberndorfer (@L_Oberndorfer) April 10, 2021
In welchem Verhältnis Kurz und Wolf zueinanderstehen, hat Politikwissenschaftler Lukas Oberndorfer auf Twitter analysiert. So schreibt er: “Wolf war einer jener Industriellen, die Kurz 2017 den Weg zur Kanzlerschaft ebneten. Bei den Millstätter-Gesprächen, einer Netzwerktagung zwischen ÖVP und Unternehmen, war er einer der ersten, die sich offen für Neuwahlen aussprachen.”
Geschäftspartner Deripaska ist noch umstrittener als Wolf selbst: so soll der russische Industriemogul US-Medien zufolge das Bindeglied zwischen Trump und Putin rund um die US-Wahlen 2016 gewesen sein. Laut Dokumenten bezahlte er Trump-Wahlkampfmanager Paul Manafort für Lobbytätigkeiten. Die USA froren Deripaskas Vermögenswerte ein. Deripaska selbst bestreitet alle Vorwürfe. Falls die MAN-Pläne Wolfs nochmal schlagend werden sollten, sei das laut Brandstätter (NEOS) ein Risiko: „Wenn die USA hier Sanktionen verhängen, wird es schnell wieder problematisch.“
Österreichs Vermittlerrolle unglaubwürdig
Österreichs Anti-Sanktions-Haltung könnte bald wieder für Aufregung sorgen. Die Ukraine wirft Russland neues Säbelrassen vor. Russische Separatisten sollen die Angriffe an der ostukrainischen Front verschärft haben. Russland hingegen wirft der Ukraine vor, einen Angriff auf die Gebiete unter russischer Kontrolle zu planen. Russlandexperte Gerhard Mangott ist hinsichtlich neuer Sanktionsforderungen skeptisch: „Manche Beobachter argumentieren, der offensichtliche Misserfolg der EU-Sanktionen sei darauf zurückzuführen, dass die Maßnahmen nicht radikal genug sind. Ich würde vielmehr argumentieren, dass sich Großmächte durch Sanktionen historisch gesehen nahezu nie gebeugt haben.“
Ukraines Präsident Woldymyr Selenskyj wirbt unterdessen vehement für einen NATO-Beitritt der Ukraine. Osteuropa-Expertin Maya Janik betont gegenüber ZackZack, die NATO-Mitgliedschaft sei ein strategisches Ziel der Ukraine. „Ein Beitritt der Ukraine zur NATO ist in absehbarer Zeit aber sehr unwahrscheinlich“, weil er von der Mehrheit der Verbündeten abgelehnt werde. Der Grund dafür liege darin, dass die NATO laut Vertrag der Ukraine im Ernstfall militärisch beistehen müsste. „Der Westen hat allerdings kein Interesse daran, in einen militärischen Konflikt mit Russland hineingezogen zu werden“, so Janik.
Putin und Kurz 2018 in Wien. Die Freude dürfte wegen Sputnik V aktuell wieder groß sein. Quelle: APA Picturedesk.
Wie sollen sich die EU und Österreich verhalten? Für NEOS-Brandstätter ist eine klare Haltung wichtig: „Man kann nicht die OMV bei Nord Stream unterstützen oder sich von Putins Impfstoffen bezirzen lassen, und gleichzeitig eine klare Linie gegen russische Provokationen ziehen.“ Dass Österreich glaubwürdiger Vermittler sein kann, ist laut Experten nicht zu erwarten. Für Mangott habe das Mantra des „Brückenbauers“ unter Türkis-Blau eine „deutliche Selbstüberschätzung der Möglichkeiten unseres Landes“ dargestellt. „Überdies hatte das Auswirkungen darauf, wie Österreich von manchen Mitgliedsstaaten der EU wahrgenommen wurde. Unser Land wurde von nicht wenigen als ‚trojanisches Pferd‘ Russlands in der EU bezeichnet“, so Mangott weiter.
Dass Kurz zuletzt von der „Kyiv Post“ infolge seines Fluges im Oligarchen-Jet zu „Ukraines Feind der Woche“ gekürt wurde, dürfte die Vermittlerrolle nun unmöglich gemacht haben. Für Putin bleibt Österreich indes weiterhin attraktiv – vor allem dann, wenn aufgrund des Sputnik-Deals bald die Rubel rollen werden.
Titelbild: APA Picturedesk