Freitag, März 29, 2024

Experten: »Keine Rücktrittskultur in Österreich«

Experten:

Gesundheitsminister Rudolf Anschober trat aus Überlastung zurück – solch offene Eingeständnisse in der Spitzenpolitik sind selten, noch seltener sind Rücktritte wegen politischer Fehler.

Florian Bayer

Wien, 13.4.2021 | Mit Rudolf Anschober ist bereits das dritte Regierungsmitglied von Türkis-Grün zurückgetreten. Kultur-Staatssekretärin Ulrike Lunacek wurden ihre missglückten Auftritte und der Missmut von Künstlern und Kulturschaffenden zum Verhängnis, Christine Aschbacher die plagiierte Diplomarbeit.

Keinen Rücktritt gab es hingegen von Innenminister Karl Nehammer, nachdem bekannt wurde, dass seine Behörden gewarnt waren und den Wiener Terroranschlag möglicherweise verhindern hätten können. Auch Gernot Blümel, gegen den die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt, ist nach wie vor im Amt.

Dennoch: Mit drei Umbesetzungen infolge von Rücktritten ist diese Legislaturperiode durchaus ungewöhnlich, denn generell sind Rücktritte von Spitzenpolitikern hierzulande eine Seltenheit, besonders nach politischen Fehlern. „Österreich hat keine Rücktrittskultur“, sagt Politikwissenschaftler Fritz Plasser in Bezug auf die Schmid-Chats in der ZEIT.

Verantwortung wird selten wahrgenommen

„Rücktritte aufgrund von Fehlern und Versäumnissen sind äußerst selten“, sagt auch Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle von der FH Kärnten gegenüber ZackZack. Lunacek habe es sich mit Teilen der Kernwählerschaft vertan und sei so für die Grünen untragbar geworden. Aschbacher wiederum habe nie viel Rückhalt gehabt, weswegen es für Kurz leichter war, sie fallen zu lassen als etwa den amtierenden Finanzminister Gernot Blümel.

Dass eine Verantwortung „qua Amt“ wahrgenommen wird, gebe es in Österreich praktisch nicht, sagt die Politologin. Nicht selten werde Verantwortung für Fehler an Spitzenbeamte ausgelagert, wie im Fall von Clemens Martin Auer, der wegen politischer Versäumnisse bei der Impfstoffbeschaffung gehen musste. „Für missglückte Kommunikation im Ministerium trägt letztlich natürlich auch der Minister die Verantwortung“, sagt Stainer-Hämmerle in Bezug auf die diesbezügliche Begründung.

Entscheidend sei aber immer auch die Erwartungshaltung der Bevölkerung. Wenn Parteispitze oder der Koalitionspartner das Gefühl haben, jemand ist nicht mehr haltbar, kann es schnell gehen. Oft fehle aber dieser Druck, sagt Stainer-Hämmerle: „Viele Österreicher denken, Postenschacher gebe es ohnehin bei allen Parteien. Wenn dann entsprechende Fälle bekannt werden, führt das zwar zu größerer Politikverdrossenheit, wird aber nicht unbedingt zum Nachteil für die betroffene Partei.“

Hand in Hand mit fehlenden Rücktritten geht auch die kaum vorhandene Fehlerkultur. Kaum ein Regierungsmitglied räumt Fehler und Versäumnisse ein, auch wenn diese offenkundig sind. Dem gegenüber stehen andauernde Rücktrittsaufforderungen, berechtigt oder nicht, die zumeist „parteitaktisch“ motiviert sind, sagt Stainer-Hämmerle: „Wenn bei jedem Fehler gleich nach Rücktritt gerufen wird, gibt man dem betroffenen Politiker auch nicht die Chance, daraus zu lernen.“

Kaum Rücktritte wegen Krankheit

Relativ viele Rücktritte gab es zuletzt infolge politischer Rochaden – etwa Johanna Mikl-Leitner, die 2016 ihr Amt als Innenministerin aufgab, um Erwin Pröll in Niederösterreich nachzufolgen. Kanzler Werner Faymann (2016) sowie Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (2017) zogen sich wiederum aus parteiinternem Widerstand zurück.

Rücktritte aus gesundheitlichen Gründen sind aber am seltensten. Die letzten waren 2011 Josef Pröll (ÖVP) aufgrund einer Lungenembolie und Außenminister Alois Mock (ÖVP) 1995 wegen einer Parkinsonerkrankung. Sabine Oberhauser (SPÖ) starb 2017 als amtierende Gesundheitsministerin.

Aus dem Rücktritt Anschobers wegen Überlastung ergeben sich für Stainer-Hämmerle mehrere Fragen, die öffentlich diskutiert werden müssten: Dürfen Politiker krank werden? Welche Unterstützung hätte Anschober gebraucht? Wie kann man Fälle von Überlastung künftig verhindern?

„Anschober hätte womöglich personelle Unterstützung, zum Beispiel durch einen Staatssekretär im Gesundheitsministerium, gebraucht“, sagt die Politologin. Wiewohl es Anschober selbst war, der Schlüsselpositionen wie die Generaldirekton für öffentliche Gesundheit über Monate unbesetzt ließ. Auch bei den Rechtsexperten war das Ministerium personell lange schlecht aufgestellt, wie fehlerhafte und teils verfassungswidrige Gesetzestexte mehrmals zeigten.

„Allein gefühlt“

Dass sich Anschober laut Pressekonferenz letztlich „allein gefühlt“ habe, wertet Stainer-Hämmerle jedenfalls als subtile Kritik am Koalitionspartner: „Zwei große politische Fouls gab es zuletzt: Das Vorpreschen bei den Massentests vor Weihnachten. Und das wohl nicht abgestimmte Versprechen, alle Österreicher binnen 100 Tagen (bis Anfang Juli) durchzuimpfen.“ Auch ließ Kurz Anschober just in dessen Krankenstand über die Medien ausrichten, dass der Spitzenbeamte Clemens Martin Auer gehen müsse.

Dass sich Anschober in seiner Abschieds-Pressekonferenz weder bei Kurz, noch beim Regierungspartner ÖVP bedankt habe, spreche laut Stainer-Hämmerle Bände.

Titelbild: APA Picturedesk

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28 Kommentare

  1. Es ist halt im Grunde eine Charakterfrage.

    Manche können sich trotz selten peinlicher Veröffentlichungen noch immer in den Spiegel schauen, auch wenn sie dabei kotzen müssen.

    Andere haben halt höhere Anforderungen an sich selbst und an das Bild, dass sie nach außen abgeben.

    Und bei der Bussi-Bussi Truppe liegt die Latte ganz weit unten, schon im tiefsten Parteiensumpf.

  2. Die Rücktrittskultur von Politikern ist abhängig von der Mentalität und Anspruch der Bevölkerung. Hierzulande ist die diesbezügliche Mentalität wie Leidensfähigkeit hinlänglich bekannt und der Anspruch an Anstand wird in gewohnter Manier gemessen an der eigenen Ignoranz.

  3. Die meisten sind rücksichtslose Sesselkleber ohne Charakter, wie sollte es da eine Rücktrittskultur geben? Dafür bräuchte es Moral & das ist ein unbekanntes Wort bei dieser Buberlpartie!

  4. Ich habe so satt, dass Anschober als das arme alleingelassene Opfer dargestellt wird. Er ist erwachsen und man sollte glauben, dass die Verantwortung eines Minister Posten vorher bekannt gewesen sein sollte. Er hätte schon vor einem Jahr zurück treten sollen. Und nein, ich meine das nicht persönlich sondern beruflich. Ist ja kein Ponyhof, die Politik – oder doch?

    • Naja, sich als anständiger Mensch n einem Intrigantenstadl bestehend aus Populisten und Lobbyisten zu bewegen und durch zu setzen ist nicht einfach, da musst du auch korrupt, egoistisch, arroganter Soziopath oder einfach nur “ein Schwein” sein, oder eben untergehen

    • …. und allein gelassen, gemobbt und zu jeder Gelegenheit Pügel zwischen die Beine geworfen hat man ihm nachweislich.
      Anschober ist ein guter Kerl den man als Fussabtreter missbraucht hat und ALLE haben es billigend zugelassen und dabei zugesehen, anstatt dieses GEMEINSAM zu veranstalten, von dem die Regierung so gerne spricht

      • und damit ist klar, gute Politik war nie das Ziel der Grünen. Ein Posten für Anschober (und so manch andere) um das ging es. Als klar wurde, er kann es nicht, wurde trotzdem weiter gewurstelt.

    • Sehe ich auch so. Es war von Anfang an klar, d er diesen Job nicht kann, aber d schnöde Mammon war halt doch lockender

      • Hätte er von Anfang an sagen sollen dass er es nicht kann? Wer hat das jemals gemacht als auserwählter Kandidat.
        Vielleicht wäre seine Performance eine Andere gewesen (auch im sozialem) wenn nicht die Bekämpfung der Pandemie, von der zu dieser Zeit noch keiner was ahnte, alles Andere in den Schatten stellte. Das mit dem schnöden Mannon ist jetzt wieder nur herabwürdigend. Ich empfinde es überdies als bösartig ihm das jetzt noch nachzuwerfen wo er von selber das Handtuch warf. Unterstellen sie dies lieber jemanden, der trotz allem auf seinen Sessel kleben bleibt, obwohl vieles dagegen spricht. Da gabs und gibt es ja etliche in unserem Land.

    • Kogler und Komplizen wollten Rudi eine ruhige Legislaturperiode samt arbeitsarmem Super-Einkommen zuschanzen, als Geschenk für seinen unermüdlichen Einsatz, Österreich flächendeckend zu islamisieren. Zum Zeitpunkt der Regierungsbildung und Angelobung wussten weder die grünen Gönner noch der Beschenkte, dass kurze Zeit später der Corona-Tsunami über sie hereinbrechen würde. Von da an erschlug ihn nicht nur die Arbeit, auch der Messias und seine Bande nagten durchgehend an seinen Nerven. Das Ergebnis kennen wir, nun ist er Geschichte. Sein Nachfolger lässt jedenfalls auch meine Haare zu Berge stehen……

  5. Bei unserer türkisen Sekte wird’s keinen Rücktritt geben.
    Wie wär’s mit Rücktreten?

  6. Überlastung ist wirklich ein guter Grund, zurückzutreten. Unfähigkeit wäre aber ein noch triftigerer Grund, die Amtsgeschäfte niederzulegen um sie in die Hände fähigerer Leute zu legen. Aber die türkise Elite, die ich jetzt meine, fühlt sich garantiert nicht angesprochen.

  7. Ich bin gespannt wie lange das Wahlvolk noch braucht um zu erkennen, daß mit dieser von Wirtschaftsverbrechern, Intriganten, Rotzbuben und anderen völlig inkompetenten Typen durchsetzten ÖVP kein koalieren möglich ist. Diesen Sauhaufen sofort aufzulösen, wäre die Pflicht von der Schlafmütze in der Hofburg. Auf was wartet der noch ???? Kurz kann sich zu Tode siegen bei allen anstehenden Wahlen, wenn keine Partei mehr eine Koalition mit dem Rotzbuben eingeht, sondern Rot, Blau, Pink, Grün es gemeinsam versuchen, ist das immer noch die bessere Variante als der jetzige Wahnsinn. Die ÖVP gehört auf die Oppositionsbank und zwar die nächsten Jahrzente. Weg mit diesem verlogenem, korrupten Pack. Sind 35% der Österreicher wirklich so vertrottelt oder skrupellos und moralisch unter dem Hund. Ich bin 63 Jahre alt aber so eine Scheiße wie jetzt habe ich in unserem schönen Land noch nie erlebt.

    • Um Ihre Frage zu beantworten: ich denke, es sind 30% Unterbelichtete/Doofe und 5% Kurz-Klientel.

    • Denen ist es einfach wurscht. Der Grossteil wählt schwarz von Kindesbeinen an.

    • Ich stimme lhnen in allen Punkten zu!
      Meine lieben Eltern und Großeltern – würden sich im Grabe umdrehen, sie wären entsetzt, was heute geschieht. Alles, was die Menschen dieser Generationen nach dem 2. WK aufgebaut haben, von einer Bande fahrlässig in verbrecherischer Weise verraten.

  8. MMn wurde Anschober “alleine gelassen” und das nicht nur vom Regierungspartner, denn während ihm Kurz und Co zu jeder Gelegenheit Knüppel zwischen die Beine geworfen haben und er von den Landesfürsten sabotiert wurde, stellten sich Maurer und Co dämlich grinsend mit Wöginger und Co vor die Kamera und lobhudelten über die gute Zusammenarbeit.

    Auch wenn Anschober nicht immer alles richtig gemacht hat, er war immer von Herzen bemüht das Richtige zu tun, wollte es allen Recht machen und niemanden auf der Strecke lassen und das hat ihm die eigene Gesundheit gekostet.

    Das Einzige was man ihm zur Last legen kann ist, dass er sich gegen den Willen des Regierungspartners, die Populisten und Lobbyisten nicht durchsetzen konnte, immer um Konsens bemüht, auf Kommunikation setzte, und nicht das Ruder in die Hand nahm, sich ohne Widerworte zu dulden durchsetzte und sagte wo’s lang geht… einfach “zu lieb”

    Es recht zu machen Jedermann
    Ist etwas was niemand kann

    • … und nochmals Danke, dass wir in dieser Zeit nicht Hartinger-Klein am Ruder hatten, nicht mal dran denken, was da passiert wäre

        • Ja stimmt, und solche würden niemals von selber zurücktreten. Entweder weil sie als Politiker über null Charakter verfügen, sie über dies gar nicht selber entscheiden können, oder eben gar keine Politiker sind und sich daher diese Frage gar nicht stellt.

  9. Da ich im Hintergrund die Frau Plagiatsbacher sehe: Weiß man schon, ob sie überhaupt eine Defense hatte oder ein Kuvert genügte. Wenn Defense, wo: Bratislava oder Wien. In welcher Sprache? Seepockensprache? Wenn in Wien dann doch hoffentlich nicht in den Räumlichkeiten und mit der Infrastruktur des Ministeriums.

  10. Dafür brauchts Experten? Na fesch. Journalisten kommen da nicht von alleine drauf?

  11. Das hat aber natürlich auch mit den Medien zu tun. Diese können den entsprechenden Druck aufbauen, wenn sie wollen, echte Journalisten würden nachhaken, selbst nachforschen, ob es noch mehr gibt, richtig unangenehm werden. Warum das nicht passiert, kann man an den hübschen, ganzseitigen Werbeinseraten der Ministerien erkennen.

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