Donnerstag, März 28, 2024

Not a Bot – Freiheit für die Liberalen

Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!

 

Daniel Wisser

Wien, 24. April 2021 | Dass in Österreich mit den NEOS mit großer Verspätung eine liberale Partei Fuß fassen konnte, grenzt an ein Wunder. Obwohl man nicht immer ganz schlau wird aus dieser Partei, die eigentlich eine Abspaltung der ÖVP ist. Es muss aber festgehalten werden, dass die NEOS parteiinternen Pluralismus leben, wie er bei den Grünen leider aufgegeben wurde. Und in Sachen Korruptionsbekämpfung, Aufdeckung und demokratische Kontrolle haben sich die NEOS in den letzten Jahren wirklich verdient gemacht.

Bleibt halt die Frage, ob die demokratische Kontrolle und die Menschenrechtspolitik einer Stephanie Krisper und die stramm kapitalistischen Thesen eines Gerald Loacker in derselben Partei Platz haben. Also, das ist offensichtlich möglich, denn sie sind ja in derselben Partei. Aber es stellt sich schon die Frage, ob die neoliberale Gesinnung des einen Flügels nicht just zu jenen demokratiefeindlichen Auswüchsen führt, die wir jetzt bei den Türkisen en masse beobachten und gegen die der andere Flügel der NEOS durch sein Engagement im Ibiza-Ausschuss vehement auftritt. So oder so: Österreich braucht die NEOS. Im Kampf um die Erhaltung von Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit brauchen wir auch die wirklichen Liberalen und die wirklichen Konservativen. In diesem Sinne kann Zulauf zu den NEOS nur etwas Gutes bedeuten.

Braune Spuren

Die Etablierung einer liberalen Partei in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine Geschichte von Fehlstarts. Der 1949 gegründete Verband der Unabhängigen und die 1955 gegründete FPÖ konnten und wollten keine überzeugende Abgrenzung zu rechtsextremer Gesinnung vornehmen. Die beiden ersten Parteivorsitzenden der FPÖ, Alois Reinthaller und Friedrich Peter, waren im Nationalsozialismus Angehörige der SS. Auch unter dem Vorsitz von Alexander Götz und später Norbert Steger, dessen Zeit die liberalste Periode der FPÖ markiert, blieben braune Spuren sichtbar – und das nicht nur bei Politikern der Kriegsgeneration: Jörg Haider machte schon vor seiner Übernahme der Partei deutlich, dass er an einer Abgrenzung zum Nationalsozialismus nicht interessiert war. Als 1985 ein Sturm der Kritik losbrach, weil der freiheitliche Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager den aus der Haft entlassenen Kriegsverbrecher und früheren SS-Major Walter Reder mit einem Handschlag willkommen hieß, begrüßte Haider das als vorbildliches Verhalten.

Und seit ebendieser Jörg Haider 1986 zum Parteiobmann gewählt wurde, sehen wir auch unter seinen Nachfolgern keine ernst zu nehmenden Schritte der FPÖ, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und eine liberale Partei zu werden – ganz im Gegenteil: Wie die ÖVP nicht christlich und nicht sozial ist, so sind auch die Freiheitlichen nicht freiheitlich.

Das Liberale Forum

Der bemerkenswerteste Versuch einer liberalen Abspaltung war wohl die Ära des Liberalen Forums, das entstand, als sich unter der Führung von Heide Schmidt 1993 fünf FPÖ-Mandatare zu einer eigenen Fraktion zusammenschlossen. Doch wie glaubwürdig konnte Schmidt sein, war sie doch in den sieben Jahren davor in der von Haider geführten FPÖ unter anderem Abgeordnete, Nationalratspräsidentin, Obmannstellvertreterin und Bundespräsidentschaftskandidatin gewesen? Selbst wenn man Schmidt ihre liberale Gesinnung abnahm, war ihre Zeit in der Haider-FPÖ einfach zu lange und für ihren Bekanntheitsgrad zu profitabel gewesen.

Dazu kam ein inhaltliches Problem: Die Schere zwischen der demokratischen und menschenrechtlichen Gesinnung und der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Partei machte eine glaubhafte politische Ausrichtung schwer. Erreichte man bei den Nationalratswahlen 1994 und 1995 etwas über 5 % der Stimmen, so konnte die Vier-Prozent-Hürde schon 1999 nicht mehr überwunden werden.

Einzige Partei des demokratischen Konservatismus

Die 2012 gegründeten NEOS, die später mit dem Liberalen Forum fusionierten, haben nun entscheidende Vorteile gegenüber ihrer Vorgängerpartei: Sie sind die einzige Partei eines demokratischen Konservativismus, die in Österreich übrigbleibt. Sie sind (auch in den Ländern) für die Koalition mit der SPÖ offen. Und sie betreiben Demokratiepolitik mit Ernsthaftigkeit, Anstand und Glaubwürdigkeit. Natürlich gibt es da auch andere Koalitionsoptionen: Als die NEOS vor Kurzem im Nationalrat mit der ÖVP und den Grünen gegen die Erhöhung des Arbeitslosengeldes stimmten, deutete sich diese Möglichkeit an. Doch es ist fraglich, ob wirtschaftspolitische Übereinstimmungen ausreichen, um die NEOS und die ÖVP zu verbinden.

Die Krise der Demokratie in Österreich hat die Wirtschaftspolitik, die jahrzehntelang im Zentrum der politischen Debatte stand, überrollt. Von Bruno Kreiskys Mallorca-Paket bis ins Jahr 2015 war die Finanzpolitik mit ihren Sparpaketen und dem Diktum des ausgeglichenen Budgets das Zentrum politischer Programmatik. Doch die ÖVP konnte über all diese Jahrzehnte hier nicht glaubhaft punkten. Und heute ist die Kompetenz der sogenannten Wirtschaftspartei, die nicht einmal in der Lage ist, in ihren Reihen eine Person zu finden, die die Funktion des Finanzministers wenigstens mit genügender Leistung ausüben kann, öffentlich blamiert. Der Präsident des Wirtschaftsbundes, einst mächtiger Mann der ÖVP, ist zu einer Lachnummer geworden.

Glaubhafte Einstellung zur EU

Das ist eine große Chance für die NEOS. Dass die ÖVP für Klein- und Mittelbetriebe keinen Finger mehr rührt, wird ihnen ebenfalls entgegenkommen. Auch die bejahende Einstellung zur Europäischen Union ist bei den NEOS glaubhaft, während die ÖVP sich innerhalb der Gemeinschaft weit nach rechts außen bewegt hat. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn die Pro-EU-Haltung auch konstruktive Kritik im Sinne einer dringend nötigen Reform der demokratischen Strukturen der EU und der Bewegung hin zu einer Sozial- und Ökologieunion auslösen würde. Punkte, in denen auch die SPÖ und die Grünen dringenden Handlungsbedarf haben.

Ich bin kein Anhänger der NEOS und kann es aufgrund ihres Wirtschaftsprogramms nicht sein und nicht werden. Ich gebe ihnen aber eine Chance. Die Chance, dass sie in Koalitionen mit anderen Parteien demokratischer Gesinnung die großen Probleme dieses Landes wenigstens einmal ehrlich benennen und ihre Bewältigung angehen.

An der Demokratie festhalten

Es ist klar: Alle sind müde. Müde von den zehrenden Monaten der Pandemie. Doch gerade das heißt, dass wir die Demokratie dieser Müdigkeit nicht opfern dürfen. Eine liberale oder konservative Partei, die an der Demokratie festhält, werden wir bei der Bewältigung der Krise brauchen. Und wenn es je eine liberale Partei in Österreich gab, dann sind es die NEOS. Den anderen muss die Freiheit, die sie in ihrem Namen tragen, erst gebracht werden.

Der Kommentar spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider. Mehr vom Autor finden Sie hier.

Titelbild: APA Picturedesk

Redaktion
Redaktion
Die ZackZack Redaktion
LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

39 Kommentare

  1. Die NEOS machen gute Opposition – intelligent, inhaltlich gut und oft sogar unterhaltsam.

    Einen Offenbarungseid oppositioneller Parteien gibts meistens erst in einer Regierungsbeteiligung.
    An den Taten, nicht an den Worten erkennt man die Wahrheit.

    Die Kluft zwischen Worten und Taten war noch nie so offensichtlich wie bei der gegenwärtigen Regierung.
    Messen wir die an ihren Taten, fällt die Bilanz ziemlich miseabel aus.

  2. AKTUELL
    https://mein.aufstehn.at/p/thomas-s…-untragbar
    Obige Petition gegen den untragbaren Vorstand der ÖBAG
    sollte man unterzeichnen. Ich wünsche den Initiatoren mindestens
    2500 Unterschriften. Ein Shitstorm gegen diesen Rüpel sollte noch
    weit mehr Unterstützer finden.
    Schluss mit „JOBS A LA CARTE“ für die Lakaien von Kurz.

  3. Bei den Neos weis man wirklich nicht wie man dran ist. Einerseits gibt es echt kranke und perverse Ideen wie z.B. die sogenannte “Pensionsautomatik” andererseits dient z.B. Bildung bei den Neos der Selbstverwirklichung und dazu ein glückliches Leben zu führen (lt. Meindl Reisinger).Ganz in krassem Gegensatz zur ÖVP deren Bildungspolitik ausschließlich dazu dient Wirtschaftssklaven heran zu züchten und eine Elite die diese Sklaven befehligt. Bei der FPÖ habe ich mich schon immer gefragt was das Wort “Freiheit” im Namen bedeuten soll. Ein unpassenderes Wort für eine solche Partei gibt es wohl kaum. Die “Freiheitlichen” waren und sind für mich in erster Linie nur eines, braun von ihren Anfängen bis heute. Das ist ihr Alleinstellungsmerkmal und dafür werden sie gewählt, ob man das wahrhaben will oder nicht.

  4. Die Neos machen ihre Sache nicht schlecht. Klar… der Loacker übertreibt es sehr oft.
    Aber alleine ihr Zugang zu Transparenz ist kein schlechter.
    Das passt schon…. Rot und Rosa.
    Vielleicht denken die Grünen ( Basis) mal bisserl nach.

      • Die sind eine Wirtschaftspartei, und wahrscheinlich würden die sich gegenseitig die Zehen lecken, wenn sie mit der Övp in der Regierung sind

        • Ich trau denen auch nicht über den Weg. Was mich besonders stört ist das ewige Gejammere darüber das die Jungen keine Pension mehr bekommen würden weil ihnen die Alten angeblich alles wegfressen, weil sie in der Rente in Saus und Braus leben. Besonders ärgerlich ist das wenn es von einem Abgeordneten kommt der mit Mitte Zwanzig ein sattes Gehalt von 9.000,– brutto bekommt. Für mich ist das nicht besonders vertrauenserweckend weil hackeln bis 70 halte ich für eine Illusion.

  5. bin im grossen und ganzen sehr einverstanden.
    ich glaube, dass rot-pink in wien eine möglichkeit zeigt, die verhältnisse in österreich zum besseren zu verändern.
    wahrscheinlich wird es auch jene teile der grünen brauchen, die sich jetzt nicht zu sehr an türkis verkaufen.

    aber grundsätzlich:
    allerdings besteht die notwendigkeit “liberal” zu definieren.
    liberal ist nicht gleich liberal.
    wie liberal ist liberal, wenn „der markt“ bzw. die wirtschaft und nicht der mensch und seine freiheit im mittelpunkt einer gesellschaft steht?
    wie liberal ist liberal, wenn damit sehr oft nur die eigene (oder der sich zugehörig fühlenden gruppe) freiheit gemeint ist, ohne die mögliche oder unmögliche entscheidungsfreiheit anderer mitzudenken?

    https://www.hagerhard.at/blog/2017/04/wie-liberal-ist-liberal/

  6. Was liberal verspricht kann neoliberal nicht halten. Ebenso wenig wie Erzkonservative in Österreich nicht viel anfangen können mit christlich sozialen Inhalten. Aber am absurdesten ist trotzdem noch dass Verfassungsfeinde wie die FPÖ mit ihrem Parteinamen suggerieren wollen dass sie was mit Freiheit am Hut haben.

      • Hätte der Jörgl nicht seinen Alko Unfall gehabt, würde er im Häfn auf KHG warten.

      • Definition von Freiheit: Zustand, in dem man frei von bestimmten persönlichen oder gesellschaftlichen, als Zwang empfundenen Bindungen oder Verpflichtungen unabhängig ist und sich in seinen Entscheidungen o. Ä. nicht eingeschränkt fühlt.

        Das passt doch für den Jörgl. Der war also doch ein wahrer “Freiheitlicher”. Ob das allerdings für das Amt eines Landeshauptmanns und Verantwortungsträgers auch gepasst hat bezweifle ich.

        • Stand so was ähnliches auch in seinem Buch “Die Freiheit die ich meine” geschrieben? Muss zugeben dass ich gar nicht weiß was da drinsteht 🙄

          • Keine Ahnung, hab die Definition von google und der Rest ist von mir frei erfunden…muss gestehen das ich von Wisser noch nie ein Buch gelesen habe. Aber seine Gedankengänge sind ganz die meinen. Ich halte den Mann für einen extrem scharfsinnigen politischen Beobachter.

          • Jörg Haider hat 1993 dieses Buch geschrieben. Habs aber nicht gelesen und mich auch nicht weiter darüber erkundigt, da ich mir dachte dass da sicher sehr viel rechtslastiger Schmarrn drinnensteht.
            Mir liegt Hr. Wisser auch recht gut. Natürlich beeinflusst davon dass ich politisch mit ihm auf einer Wellenlänge bin, so weit ich dies bis jetzt beurteilen kann.

          • Ach, hab nicht gescheckt das sie den Jörgl meinen. Wäre mir aber gar nicht in den Sinn gekommen von dem ein Buch zu lesen. Kann mir vorstellen, wie der Inhalt ausschaut. Man kann alles so verdrehen, dass es in die eigene Weltanschauung passt auch wenn die noch so abwegig ist. Ich befürchte genau das hat der Jörgl in seinem Buch getan. Unter dem Motto “ich mach mir die Welt so wie sie mir gefällt”. Oder besser gesagt “wie sie mir von Kindesbeinen an eingeimpft wurde” weil genau das ist beim Haider passiert glaube ich.

    • Würdest Du Belege für die Verfassungsfeindlichkeit der Blauen bringen?
      Müßten sie als Verfassungsfeinde verboten werden?
      MMn sind Die Blauen zurzeit die einzigen, die wenigstens ein bissl was für den Erhalt unserer persönlichen Freiheit tun.

      • Blau bringt es nicht. Mehrmals probiert ( erstmals unter Kreisky)
        Mehrmals gescheitert. Die braune Kacke schimmert immer durchs Blau durch.

      • Ich hatte noch nie den Eindruck, dass sich die Freiheitlichen für unsere persönliche Freiheit einsetzen. Ganz im Gegenteil, Freiheit gibts bei denen nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen und wenn es ihren politischen Zielen im Sinne von Propaganda dienlich ist.

Kommentarfunktion ist geschlossen.

Jetzt: Polizeiäffäre "Pilnacek"

Denn: ZackZack bist auch DU!