Dokumente belegen engen Umgang des Wirecard-CEO zu Kanzler Kurz. Sicher ist: sie waren per Du und trafen sich im Rahmen einer vornehmen Dinner-Runde – Monate nach den ersten schweren Vorwürfen gegen den Konzern. Ein Mail des Kanzlers könnte brisant werden: Gab es Vorschläge von Großspender Braun, die Kurz umsetzen wollte?
Benjamin Weiser und Hans-Martin Tillack
Wien, 24. April 2021 | Die Wirecard-Affäre hat Österreich endgültig erreicht. Etliche Dokumente, die ZackZack vorliegen, lassen an der Distanzierungsstrategie von Kanzler Sebastian Kurz zu ÖVP-Großspender Markus Braun zweifeln.
Kurz zu Braun: „Auswahl der Vorschläge rasch umsetzen“
Für 27. März 2019 lädt der ÖVP-nahe Lobbyist Wolfgang Rosam zu einem Dinner „für HBK Sebastian Kurz und Susanne Thier“ in sein Schloss-ähnliches Anwesen in Wien-Hietzing. Mit dabei: der derzeit inhaftierte Wirecard-CEO Markus Braun samt Gattin, sowie vier weitere Konzernchefs mit ihren Frauen. Eine kleine, exklusive Runde für den Bundeskanzler. Rosam sagt dazu, das sei eine sehr private Einladung gewesen. Warum wird der Kanzler dann in seiner offiziellen Funktion (HBK für „Herr Bundeskanzler“, Anm.) gelistet? Das habe nichts zu bedeuten, so Rosam.
Einen Monat später, am 26. April 2019, schreibt Kurz an Braun. „Lieber Markus“ – so lädt Kurz den Wirecard-Boss zu einer Runde des sogenannten ThinkAustria Sounding Boards im Juni ins Kanzleramt nach Wien ein, wie interner Mailverkehr aus der Wirecard AG belegt. Kurz erwähnt ein erstes Treffen des Beratergremiums, das ein halbes Jahr zuvor stattgefunden habe. Man kannte sich also schon vor dem Rosam-Dinner und war spätestens im April 2019 per Du.
(14. November 2018: Kick-off Meeting des ThinkAustria Sounding Boards. Womöglich zugeschaltet per TV: Markus Braun. Quelle: Twitter/BKA.)
Im Mail an Braun fügt Kurz hinzu:
„Dank Deiner Unterstützung konnten wir in verschiedenen Themenfeldern zahlreiche gute Ideen generieren und erarbeiten“.
Eine „Auswahl der Vorschläge“ wolle man „nun konkretisieren, um sie rasch umzusetzen.“
Im Lichte des Ibiza-Ausschusses, der die mutmaßliche Käuflichkeit der Regierung Kurz I beleuchtet, eine brisante Aussage. Die Denkfabrik ThinkAustria stehe im Verdacht, „die Großspender der ÖVP quasi betreut zu haben“, so Jan Krainer, SPÖ-Fraktionsführer im Ausschuss, bei der Befragung von Eva Schütz. Sie war stellvertretende Kabinettschefin bei Ex-Finanzminister Hartwig Löger, wurde unter Türkis-Blau Aufsichtsrätin der ÖBB-Infra.
Massive Vorwürfe gegen Wirecard vor Kurz-Braun-Dinner
Auffällig sind die Kontakte zwischen Kurz und Braun von Ende März und im April 2019 auch deshalb, weil seit Ende Jänner 2019 massive Vorwürfe der englischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ („FT“) gegenüber Wirecard im Raum stehen. Es geht um den Verdacht von Scheingeschäften und Manipulationen, insbesondere in der Asien-Zentrale in Singapur. Der Konzern weist diese Vorwürfe zunächst pauschal zurück.
Aufgrund der Berichte fällt der Wirecard-Aktienkurs dramatisch, es beginnt eine PR-Kampagne gegen die aufdeckenden „FT“-Journalisten. Der Deutsche Bank-Aufsichtsrat und ebenfalls ÖVP-Großspender, Alexander Schütz, schreibt am 17. Februar 2019 an seinen Freund Braun: „Macht diese Zeitung fertig !! :-)“
Am 26. März 2019 räumt Wirecard ein, „einzelne lokale Angestellte in Singapur“ könnten sich „möglicherweise nach lokalem Recht strafbar gemacht haben“- einen Tag, bevor Kurz im Rahmen des Dinners auf Braun trifft. Braun allerdings investierte rechtzeitig in Kurz: 70.000 Euro Spenden flossen für den Wahlkampf 2017 in die Kassen der ÖVP.
Das Kanzleramt ließ eine ZackZack-Anfrage unbeantwortet. Braun weist bis heute alle Vorwürfe zu Wirecard zurück. Auf konkrete Anfrage zu seinem Verhältnis zu Kurz reagierte Brauns Anwältin nicht.
Strolz: Kontakt zwischen Kurz und Braun wohl seit 2015/2016
Wirecard-Chef Braun schien zuvor allerdings eher mit den Neos zu sympathisieren. Im Januar 2017 tauschten sich der damalige Neos-Klubobmann Matthias Strolz und Markus Braun per Mail aus. Strolz berichtete, dass er „jetzt ebenfalls bei Wirecard investiert“ sei, und Braun lobte einen TV-Auftritt von Strolz als „sehr gut“ – besonders „den Punkt, dass Abgabensenkungen und eine Gesamtsenkung der Staatsquote für euch Koalitionsbedingung“ seien. Es folgten ein Zwinkersmiley und ein Verweis auf den ÖVP-Mann Kurz:
„In Sachen Kurz sollten wir noch einmal reden“,
schrieb Braun. Was war damit gemeint? Strolz: „Irgendwann 2015/16 wurde im gelegentlichen Austausch klar, dass Markus Braun sich enger mit Sebastian Kurz austauscht. Er wechselte dann auch als Spender zu den Türkisen.“ Braun habe hier selbst einen direkten Zugang, vermutlich über bürgerliche Kreise in Wien, erhalten.
(Auszug aus dem U-Ausschuss-Protokoll von Sebastian Kurz, der Brauns ÖVP-Spenden zu relativieren versuchte. Faksimile.)
Zudem nimmt Strolz an, „dass Braun auch von den Gesprächen Kurz – Griss – Strolz mitbekommen hatte.“ Es ging um die Möglichkeit einer bürgerlich-liberalen Plattform nach dem Vorbild des französischen Präsidenten Macron und seiner Partei „En Marche“. Im Herbst 2016 brach man die Gespräche ab, weil klar wurde, dass „mit Kurz keine tragfähige Vertrauensbasis erreichbar ist“.
Dass Braun vor dem Pressestunde-Lob Wünsche bei Strolz deponiert haben könnte, weist dieser zurück: NEOS hätten schon seit 2012 die Entlastung des Faktors Arbeit und steuerliche Entlastung gefordert, „damit den Menschen mehr Netto vom Brutto bleibt.“ Mit Braun habe es durchaus inhaltliche Übereinstimmungen gegeben, „andere Vorschläge waren mir mitunter ‚zu steil‘ oder wir lagen hier auseinander.“ Strolz sehe sich als wertebasierten Liberalen, Braun aber eher als Libertären an. Er halte derartige Ansichten für zu kaltschnäuzig und zu sozial unempathisch.
Wie eng auch der Umgang war, den Braun mit einem befreundeten ÖVP-Großspender, Amtsträgern und Wiener Wirtschaftsmagnaten pflegte, lesen sie bald auf ZackZack.
Titelbild: APA Picturedesk