Freitag, April 19, 2024

»Ich brauche eine Hautcreme« – Hilfe gegen häusliche Gewalt durch getarnten Onlineshop

Hilfe gegen häusliche Gewalt durch getarnten Onlineshop

Wenn eine Bestellung für “Naturkosmetik” im wahrsten Sinne des Wortes die eigene Haut retten kann: Eine Initiative einer 18-jährigen Schülerin aus Polen.

Warschau, 27. April 2021 | Das Logo zeigt Blümchen auf rosa Hintergrund, der Name klingt harmlos: “Rumianki i bratki“. Zu Deutsch: Kamille und Stiefmütterchen. Doch hinter dem Internet-Auftritt eines vorgetäuschten Onlineshops für Naturkosmetik in Polen verbirgt sich ein Hilfsangebot für Opfer häuslicher Gewalt. Cremes, Salben, Deos für empfindliche Haut, gegen Reizungen oder blaue Flecken, die man über private Nachricht bestellen kann.

Bittet jemand im Chat um Beratung für eine passende Hautcreme, meldet sich statt einer Verkäuferin eine Psychologin oder Juristin und fragt, wie lange die “Hautprobleme” denn schon bestehen. Bei einer Bestellung steht anstatt des Pakets dann die Polizei vor der Tür. Denn eine Bestellung heißt: “Bitte, helfe mir, mein Leben ist in Gefahr!”

„Kosmetik, die die Haut rettet“

Ausgedacht hat sich diese Initiative eine 18-jährige Schülerin aus Warschau, Krystyna Paszko. Die EU hat ihr Projekt kürzlich mit dem Preis für zivile Solidarität und 10.000 Euro ausgezeichnet.

Die 18-jährige Polin Krysia Paszko, die den Onlineshop für Opfer von häuslicher Gewalt erstellte. / Foto: APA

Als im vergangenen Frühjahr der Lockdown begann, hörte Krystyna vom Anstieg häuslicher Gewalt. Sie postete ihre Idee auf Facebook. “Das sollte ein Projekt für meine Bekannten sein, ich habe gar nicht daran gedacht, das landesweit umzusetzen.” Innerhalb weniger Tage war das Echo dermaßen groß, dass die Schülerin das Warschauer “Zentrum für Frauenrechte” mit ins Boot holte. “Kosmetik, die die Haut rettet”, heißt es doppeldeutig auf der Seite des Onlineshops.

400 Frauen wurde bereits geholfen

Inspiriert wurde Krystyna von einer Initiative aus Frankreich. Weil es für die Opfer häuslicher Gewalt während des Lockdowns schwieriger ist, ohne Kontrolle des Täters einen Computer oder ein Telefon zu nutzen, richtete die Regierung dort ein Meldesystem in Apotheken ein. Mit dem Codewort “Maske 19” können sich Betroffene an den Apotheker oder die Apothekerin wenden, die dann die Polizei alarmiert. Das System “Alerte Pharmacie” werde auch nach dem Lockdown weiter aktiv bleiben, hieß es im Herbst. Prinzipiell sollen Betroffene Fälle häuslicher Gewalt in Apotheken melden können, auch ohne Passwort.

Besonders für jüngere Frauen sei der Weg zur Hilfe per Online-Chat leichter und natürlicher, findet Krystyna:

“Weil es ein Chat ist, lässt es sich besser geheimhalten, ein Telefongespräch kann man ja aus dem anderen Zimmer mithören.”

In mehr als 400 Fällen hat der vermeintliche Naturkosmetik-Shop schon konkrete Hilfe geleistet. Etwa zehn Prozent der Betroffenen sind Männer. Jugendliche, die sich in Polen als schwul, lesbisch, bisexuell oder transgender outen, müssten oft noch mit Schlägen von der Familie rechnen, sagt Krystyna.

„Häusliche Gewalt ist in Polen Tabu-Thema – selbst bei der Polizei“

Die Statistiken der Polizei in Polen würden zwar keinen Zuwachs bei der häuslichen Gewalt bedeuten, berichtet Joanna Gzyra-Iskander vom “Zentrum für Frauenrechte”. Das Zentrum betreibe aber auch ein Notfalltelefon. Dort ergebe sich ein anderes Bild:

“Im Jahr 2019 riefen uns rund 2.000 Betroffene an, im Jahr 2020 waren es mehr als 4.500.”

Wenden sich die Opfer häuslicher Gewalt in Polen direkt an die Polizei, machen sie gemischte Erfahrungen, weiß Gzyra-Iskander. Manche Beamte würden verständnisvoll reagieren und von einem neuen Recht Gebrauch machen, das seit November in Polen gilt. Die Polizei kann den Täter ohne Gerichtsentscheid aus der gemeinsamen Wohnung weisen – und ihm für zwei Wochen verbieten, sich diesem Ort zu nähern.

“Manche Opfer bekommen bei der Polizei aber auch Ratschläge wie: ‘Schließen Sie sich doch einfach in Ihrem Zimmer ein.'”

Austritt aus der Istanbul-Konvention

Was Frauenrechtlerinnen in Polen beunruhigt: Die nationalkonservative Regierung in Polen machte letztes Jahr Schlagzeilen, weil sie sich aus der sogenannten Istanbul-Konvention, dem internationalen Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, zurückziehen wollte.

Das bestätigt auch Außenpolitik-Sprecherin der Grünen in Österreich und Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedic gegenüber ZackZack:

„Polens Austritt aus der Istanbul-Konvention ist sehr besorgniserregend, weil die häusliche Gewalt auch pandemiebedingt steigt. Es gibt in Polen wenig staatliche Angebote, die dem entgegensteuern. Gewalt wird einfach tabuisiert. Es gibt Firmen struktureller Gewalt – wie das Unmöglichmachen von Abtreibungen – was Frauen zur Verzweiflung bringt“,

mahnt Ewa Ernst-Dziedzic.

Die Istanbul-Konvention war 2011 vom Europarat ausgearbeitet worden und sollte einen europaweiten Rechtsrahmen schaffen, um Gewalt gegen Frauen zu verhüten und zu bekämpfen. Erdogan selbst hatte die Konvention in Istanbul – dem Ort der finalen Einigung – unterschrieben, damals noch als Ministerpräsident. Später wurde sie in der Türkei zwar auch entsprechend ratifiziert, laut der Organisation “Wir werden Frauenmorde stoppen” aber nie angewendet.

(jz/apa)

Titelbild: APA Picturedesk

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18 Kommentare

  1. “Schaust aus wie eine Nutte” – Wolfgang Fellner vor Gericht…
    Delikater Gerichtstermin für Wolfgang Fellner in Wien: Eine Ex-Mitarbeiterin wirft dem “Österreich”-Chef sexuelle Belästigung vor. Fellner bestreitet…., geht doch!

  2. Die Gewalt gegen Frauen ist überall, ein gesellschaftliches Problem. Diese Regierung hat sich darin klar und peinlich in vielen bekannt gewordenen Beispielen geoutet. Auch Übergriffe passieren überall, da bleiben leider auch Redaktionen nicht ausgespart die wiederum der Regierung nicht nur finanziell, politisch und auch gesinnungsmäßig hörig sind.

    Streng Vertraulich
    Mit 66 Jahren fängt das Klagen an.
    Wenn ein Mann nicht mehr anders kann.
    In der Hierarchie mancher Medien herrscht Frust.
    Hörigkeit am Medientropf steigt manchen in den Kopf.
    Vor Gericht ist Grapschen, auch mit Bluthochdruck, kein Entschuldigungsgrund. Kündigung und Verunglimpfung einer Mitarbeiterin ist in diesem Land auch aus der Regierung wohl bekannt. Danach sucht mann eine neue, leicht lenkbar für die Quote.

    Und 24 Stunden täglich grapscht das Murmeltier

    • Das wäre Brutalität, kommt es vielleicht jetzt auch noch zu einer weiteren Klage?
      Goliath24 gegen Der David?

  3. Hier noch ein Tipp für alle Frauen die nicht warten wollen bis sich endlich etwas ändert: Die Polizei bietet teilweise Selbstverteidigungskurse für Frauen an. Da werden ganz konkrete Gefahrensituationen trainiert. Auch die rechtliche Situation erörtert usw. Ich persönlich kann nur sagen, es macht richtig Spaß wie in meinem Fall von einem Cobra Beamten zu lernen wie man einen Gegner auf die Matte schickt. Sehr zu empfehlen. 😉

  4. Ich bin hin- und hergerissen.

    Positiv: Dass die junge Frau so eine Idee hat und diese dann umsetzt und damit anderen Frauen hilft, lässt Hoffnung keimen.

    Negativ: Die vier Wände, die Gewalt und Missbrauch verstecken. Aber auch Gleichgültigkeit. Ich meine die Gleichgültigkeit der nicht Betroffenen. Aber die vier Wände haben auch den Effekt, dass die Täter oft unentdeckt bleiben, selbst von Menschen, die den Opfern helfen würden. Den Satz “Ich konnte mir das gar nicht vorstellen” kann man als faule Ausrede abtun, aber er trifft meiner Meinung schon den Kern. Die meisten Menschen glauben verständlicherweise an das Gute, sonst müssten sie und ich dauerhaft verzweifeln. Und das ist das Pfund der Täter, die dann einfach behaupten können “es war nicht so, wie es die Frau/Mann/Kind behauptet”.

    Und dann ist da eben noch die männliche Elite, die ihr eigenes Geschlecht schützt und die Frauen als Sexspielzeug, Mama, Dienerin, Untergebene und auch zynischerweise Schutzbefohlene betrachtet.

  5. Um etwas gegen die massive Gewalt in unserer Gesellschaft zu tun müssten wir anfangen, Gefühle benennen zu lernen und die auch WERTFREI zu sehen. Das Problem ist halt, dass schon Experten wie Reinhard Haller (vor ein paar Tagen auf Ö1) Schwierigkeiten haben und ständig von “negativen Gefühlen” sprechen. Was führt denn zu Gewalt? Man sieht’s ja hier auch immer wieder im Forum: Wenn sich jemand nicht adäquat ausdrücken kann, wird er/sie beleidigend. Wir müssen etwas gegen diese “Sprachlosigkeit” (in diesem Zusammenhang hauptsächlich bei Männern) tun! Am besten schon in der Schule, vielleicht ab der Unterstufe? Aber sobald man hier (bei Gefühlen) anfängt, in Kompetenzen zu denken, wird man scheitern …

    • … in unserer Zeit ist Gewalt allzeit präsent, sogar “harmlose” Schlagzeilen, in den Medien, werden mit entsprechenden Ausdrücken aufgepeppt. Meist Männer, besonders solche, welche in einer “intellektuellen Konfrontation” nicht bestehen können, gehen recht schnell zur physischen oder verbalen Gewalt über.
      Es ist sehr schade das die Menschen heute noch immer den Weg der Schimpansen gehen, wobei die Bonobos ein unglaublich vorteilhaftes Vorbild sein könnten.

      • Ja, leider. Es gibt aber noch viele andere Formen der “stillen” Gewalt. Es gibt Institutsleiter (Uni-Professoren), die sich gekränkt fühlen, wenn sie geistig unterlegen sind und dann z.B. einen Vertrag nicht mehr verlängern. Generell scheint mir der Druck in der Gesellschaft viel zu hoch (z.B. Angst um Arbeitsplatz). Aber das mit den Rollenbildern müsste man auch ‘mal hinterfragen. Ich habe vor ein paar Jahren mit einer Schwedin gesprochen, die in einem Kinderheim gearbeitet hat. Das, was sie über die vielen “kleinen” gescheiterten Existenzen erzählt hat, ist erschreckend. So etwas wird gerne ausgeblendet. Und bei allem, was noch zu tun ist: Feministinnen (hier fehlt kein Sternchen) müssen auch anfangen, sich um Männer zu kümmern!

        • Ich darf das sagen und fordern, weil ich mich als bekennender Feminist um die Anliegen der Frauen kümmere. Abgesehen davon gibt’s noch viel zu viele Frauen (oder Sprechpuppen), die dieses kranke System für sich ausnützen. Zum NACHTEIL für viele andere Frauen.

          P.S. Falls ich hier etwas zu kryptisch oder pointiert bin, bitte gegebenenfalls nachfragen. Mir fällt dazu einfach viel zu viel ein …

          • zum PS: Ihre Fähigkeit Gedanken in Sprache zu “gießen” möchte ich haben, es ist wirklich sehr erfrischend das es so jemanden noch gibt,,,,

        • Macht, Menschen üben Macht aus und wollen immer mehr Macht erlangen…., das oft ohne Rücksicht auf Verluste.
          Ihre beschriebenen Mechanismen gelten ins besonders in der Industrie auch sehr stark, in allen Ebenen, sogar ganz “unten” am Fließband.
          Es wird bei Jeder Gelegenheit ein “Schuldiger” gesucht, die Ursache, oder das Problem, sind dabei vollkommen nebensächlich…
          Von den “Geschlechterrollen” möchte ich da garnicht reden, es ist eine Katastrophe.
          … meine “besten Kumpels” sind durchwegs Frauen, allerdings ohne eine sexuelle Komponente. Ich fühle mich im Umfeld von Frauen weit wohler als unter Männern.
          In Führungssituationen ist es unglaublich viel besser Frauen in der “Mannschaft” zu haben, die Qualität der Kommunikation, und Sprachhygiene nehmen stark zu.

          • Die Mischung von Frauen und Männern hat sich auch bei der Polizei (müsste im Buch von Leslie Holmes nachschauen, in welchem Land das war) bewährt: Bei “gemischten” Streifen ist die Korruption stark gesunken. Das mit den Männerrunden ist so eine Sache, weil sich dann keiner über Gefühle sprechen traut. Das kann man meist nur in Kleingruppen machen 😉

          • Männer, die gütigen Beschützer, zumindest macht es mit Männern was wenn “gleichgestellte” Frauen anwesend sind. In der Österreichischen Polizei gibt es zum Glück auch schon viele Frauen, auf der Straße sind sie annähernd gleichwertig, im Back-Office haben sie leider nichts zu melden, nichtmal wenn sie die Ranghöheren sind. Das ist jetzt nicht nur ein Vermutung von mir…
            Frauen sind meist genial, sie können “um die Ecke” denken, ist manchmal sehr verwirrend, aber am ende des Tages ist es eine unglaublich gute “Lernhilfe” wenn man sich darauf einlässt…
            Physikerinnen, sie nutzen diese Fähigkeit sehr gut, das lässt mitunter die Alphas der Disziplin sehr alt aussehen…

  6. Sternzeit: -51690,62 …. wir schreiben das Jahr 2021, Frauen müssen ihr Leben, mithilfe getarnter Webseiten, retten.
    Welcher Planet, Helium Prime? – nein, Erde. Kann nicht sein…👽♨️

    • Ah, Frau Lindorfer, Sie sind zurück :-). Ja, es ist traurig, da müsste (auch bei uns) viel mehr geschehen …

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