Donnerstag, März 28, 2024

Nach George Floyd: US-Bürgermeister will Polizei abschaffen

Nach George Floyd:

Ein Jahr nach Geoge Floyds Ermordung will der Bürgermeister der US-amerikanischen Stadt Ithaca statt der Polizei eine alternative Organisation bilden. Damit soll der Angst vor Polizeigewalt und Rassismus entgegengesetzt werden.

Ithaca, 28. Mai 2021 | Vor einem Jahr, am 25. Mai 2020, wurde der Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis vom weißen Polizeibeamten Derek Chauvin ermordet. In fast allen Städten der USA, aber auch weltweit, gingen Menschen auf die Straße, um gegen Polizeigewalt und Rassismus zu demonstrieren. Die Folgen der Proteste waren spürbar, so auch in der US-amerikanischen Stadt Ithaca. Dort haben die Proteste etwas Konkretes ausgelöst: Ein Experiment, das die Stadt entweder zum Vorbild oder zum abschreckenden Beispiel machen könnte.

Öffentliche Sicherheit – ohne Waffen

Ithaca liegt im Westen des Bundesstaates New York. Dort hat Bürgermeister Svante Myrick einen ambitionierten Plan: Er möchte seine Polizei abschaffen. Diese will Myrick durch eine neue Organisation ersetzen. Wie die “Süddeutsche Zeitung” berichtet, soll das Polizeiquartier, welches aus 63 Beamten besteht und ein Jahresbudget von 12,5 Millionen Dollar hat, ganz aufgelöst werden. Stattdessen will die Stadt eine Abteilung für öffentliche Sicherheit gründen, die nur noch zum Teil aus bewaffneten Mitarbeitern bestehen soll. Die anderen – sogenannte “community solution workers” – sollen ohne Waffe arbeiten.

“Ja, wir wagen hier gerade etwas”

Ithaca hat rund 35.000 Einwohner und ist nach Angaben des Bürgermeisters eine der am besten ausgebildeten Städte der USA. Neben der Eliteuniversität “Cornell University” sind noch zwei weitere Hochschulen hier angesiedelt. Das Milieu spiegelt sich auch in der Politik der Stadt wider. In einer eher konservativen Gegend regiert hier der junge Bürgermeister Myrick seit fast zehn Jahren. Er selbst hat an der Cornell University studiert, ist Demokrat und hat die letzte Wahl mit 76 Prozent der Stimmen gewonnen.
Myrick will mit der Abschaffung der Polizei eine neue Wirklichkeit schaffen, die den Forderungen der “Black Lives Matter”-Demonstranten gerecht wird. Bereits im Februar veröffentlichte er die Pläne für seine Stadt. Gegenüber der “Süddeutschen Zeitung” sagt er: “Ja, wir wagen hier gerade etwas.”

Für ein angstfreies Leben

Heute müsse die Polizei zu viele Aufgaben übernehmen, bei denen es keine bewaffneten Beamten brauche, sagt Myrick. Viele Verkehrskontrollen könnten auch unbewaffnete Mitarbeiter übernehmen. Dasselbe gelte für Meldungen über Einbrüche und Diebstähle. Selbst bei vielen Notrufen wäre es besser, es würden statt Polizisten mit Pistolen Mitarbeiter ausrücken, die für psychische und soziale Krisensituationen geschult sind – auch, um das Risiko einer Eskalation zu minimieren.

“Unser Ziel ist, dass alle Einwohner von Ithaca frei von Angst leben können”, sagt Myrick. Angst vor Kriminalität – aber eben auch Angst vor Polizeigewalt. Viele Menschen in Ithaca hätten laut “SZ” mit der Polizei gute Erfahrungen gemacht. Aber bei der schwarzen Bevölkerung und bei den Latinos, die jeweils etwa zehn Prozent der Einwohner ausmachen, sei das Misstrauen groß. Das hätten Umfragen und Bürgersprechstunden nach den Protesten im vergangenen Sommer gezeigt.

Kritik von beiden Seiten

Die Reaktionen auf das Projekt sind teilweise kritisch. Die Polizei spricht von einem radikalen Schritt, die öffentliche Sicherheit sei gefährdet. Auch werde eine Demoralisierung der Menschen befürchtet. Aber auch “Black Lives Matter”-Aktivisten äußern die Befürchtung, es könne sich bei Myricks Plan nur um eine PR-Aktion handeln. Ihre Hauptforderung, das Budget der Polizei radikal zu kürzen, bleibt nämlich unbeantwortet.

Aber Myrick ist zuversichtlich: “Die Polizei wird einige Zeit brauchen, aber das ist ein Weg, den wir mit ihnen gehen wollen.” Auch auf die restliche Kritik antwortet er schnell. Es solle nicht darum gehen, an Sicherheit zu sparen. Das Budget müsse eher größer werden.

In Großbritannien: Unbewaffnete Polizei nichts Neues

In Großbritannien hingegen ist unbewaffnete Polizeiarbeit nichts Neues. Die Tradition dahinter ist 180 Jahre alt. Rund 90 Prozent der “Bobbies” – so werden Polizisten dort genannt – , tragen in der britischen Hauptstadt keine Schusswaffen. Um Sorgen rund um die Bürgerrechte zu begegnen, wurden ethische Prinzipien beschrieben, die bis heute unter dem Begriff “policing by consent” bekannt sind. Demnach basiert die Legitimität der Polizeiarbeit auf einer Einwilligung der Bürger, die erwarten dürfen, dass die Ordnungshüter transparent und moralisch vorgehen und rechenschaftspflichtig sind. Wie die “Neue Zürcher Zeitung” berichtet, gebe es bis heute aus der Bevölkerung herbei geholte “special constables”, die auf freiwilliger und teilzeitlicher Basis Ordnungskräfte unterstützen.

“Anders als in China oder Singapur haben wir keine Polizeikultur, die auf Zwang basiert. Auch im Corona-Lockdown setzen wir immer zuerst auf physische Präsenz und auf das Gespräch, um die Leute zu einer Verhaltensänderung zu bringen, Eskalation und Zwang sind stets letztes Mittel”,

so Polizeichef Sharath Ranjan in einem Interview mit der NZZ.

Nur ein drittel wünscht sich Schusswaffen

Dass die Polizisten in Großbritannien keine Schusswaffen tragen, sei Ausdruck eines traditionellen Vertrauensverhältnisses zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Staatsgewalt. Routinemäßig sind die sogenannten “Bobbies” mit Handschellen, Schutzweste, Pfefferspray und Schlagstock ausgerüstet. Die Häufung von Terroranschlägen hat zu einer verstärkten Präsenz bewaffneter Beamter geführt und die alte Debatte um die generelle Bewaffnung der Polizei neu entfacht. Im vergangenen Jahr überwältigte ein unbewaffneter Polizist einen Attentäter, der in einem Park in der Stadt Reading drei Menschen erstochen hatte. Bei einem Anschlag auf der Westminster-Brücke im Jahr 2017 erlag ein Wachtmeister seinen Stichwunden, nachdem er sich unbewaffnet einem terroristischen Messerstecher in den Weg gestellt hatte.

Trotz diesen Gefahren ergab eine Umfrage des Polizeiverbands für England und Wales, dass nur ein Drittel aller Polizisten eine routinemäßige Ausstattung mit Schusswaffen wünscht.

Im amerikanischen Ithaca blieb die Zahl der Gewaltverbrechen im Jahr 2020 stabil – womit sich die Lage für Bürgermeister Myrick etwas entspannt. In zwei Jahren soll seine Reform abgeschlossen sein. Er hofft, mit seinem Vorstoß auch Vorbild für viele andere Städte zu werden.

(jz)

Titelbild: APA Picturedesk

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7 Kommentare

    • die meisten Polizisten sind eh rechte ewig Gestrige. Marionetten in Uniform, die wie Hundis auf Belohnung warten, für tunichtgut.

  1. Judge Dredd oder was?
    Die Ausbildung ist wichtig, egal, wie man die Vögel nennt.

    • ….und Köpfe wo “Ausbildung” auch rein geht…..
      Es kann nicht sein das jeder “Dorfgendarm” bewaffnet ist, wie Kapitän Blackbeard, Edward Teach

  2. Super Sheriff- Alle auf die Knie! Wie wäre es eine ordentliche Auswahl UND eine ordentliche Ausbildung anzubieten? Ich kann mich noch gut an die Filme Police Academy erinnern und ja die Waren sicher überspitzt und chaotisch jedoch liegt da sicher auch ein Fünkchen Wahrheit irgendwo im Hintergrund. Es ist also kein Wunder dass nicht nur geeignete Kandidaten in den Polizeidienst gestellt werden.

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