Freitag, März 29, 2024

Belarus: Inhaftierter Regierungskritiker zu Interview gezwungen

Belarus:

Das belarussische Fernsehen hat ein aufgezeichnetes Interview mit dem inhaftierten Blogger Roman Protassewitsch ausgestrahlt, wo er unter anderem Machthaber Lukaschenko lobt. Alles deutet daraufhin, dass er zu den Aussagen gezwungen wurde.

Minsk, 04. Juni 2021 | Nach seiner Verhaftung infolge einer erzwungenen Landung hat der belarussische Regierungskritiker Roman Protassewitsch im Staatsfernsehen ein langes “Geständnis” abgelegt. Der Sender ONT strahlte ein eineinhalbstündiges “Interview” aus, in dem der 26 Jahre alte Blogger davon sprach, Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko organisiert zu haben. Zudem äußerte er auch noch Bewunderung für Lukaschenko.

Mutter vermutet “Foltermethoden”

Die Opposition vermutet, dass Protassewitsch zu dem Auftritt genötigt wurde. Seine Mutter bezeichnete das Interview am Freitag als Ergebnis von Folter. “Ich kann mir nicht einmal vorstellen, welchen Foltermethoden – sowohl psychischen als auch physischen – mein Sohn momentan ausgesetzt ist”, sagte Natalia Protassewitsch der Deutschen Presse-Agentur. Die 46-Jährige verwies auf dunkle Stellen, die an seinen Handgelenken zu sehen waren. “Schauen Sie einfach, was für tief eingeschnittene Handgelenke er hat, was für Entzündungen da zu sehen sind.” Die langen Ärmel seines Hemdes könnten weitere Misshandlungsspuren verdecken.

“Solche Aufnahmen entstehen immer unter Druck”

Auch Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hat Zweifel und meint, dass das Interview unter Folter zustande gekommen ist. “Mithilfe von Gewalt kann man Menschen dazu bringen, das zu sagen, was man will”, sagte Tichanowskaja am Freitag in Warschau. Es habe zuletzt viele Videos gegeben, in denen belarussische Oppositionelle sich selbst beschuldigten und ihre Aktionen bereuten. Diese Aufnahmen entstünden immer unter Druck. Daher hätten die Aussagen keine Bedeutung. “Die Aufgabe eines politischen Gefangenen ist, zu überleben.”

Mit teils zitternder Stimme erhob der Blogger in dem Interview, das am Donnerstagabend ausgestrahlt wurde, auch Anschuldigungen gegen andere Regierungskritiker. Massive Angst zeigte Protassewitsch vor einer etwaigen Auslieferung in die abtrünnige ukrainische “Luhansker Volksrepublik” (LNR), die im Zusammenhang mit einem Aufenthalt des Bloggers mit dem rechtsradikalen “Asow”-Regiment im ostukrainischen Frontgebiet ein “Strafverfahren” eingeleitet hat.

Protassewitsch brach in Tränen aus

Es falle ihm schwer dazu etwas zu sagen, erklärte Protassewitsch und blickte dabei auf den Boden. “Verständlich, dass ich das (die Auslieferung, Anm.) fürchte. Ich hoffe einzig, dass Alexander Grigorewitsch (Lukaschenko, Anm.) genug politischen Willen und Entscheidungskraft findet, mich nicht auszuliefern.” In der selbsterklärten “Volksrepublik” im Osten der Ukraine, die bisher von keinem anderen Staat anerkannt wurde, wäre auch eine Exekution des Bloggers durchaus möglich. Am Ende weinte der Mitbegründer des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta (Nechta).

Internationale Kritik

Kritik kam von Deutschland und Großbritannien. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert sprach am Freitag in Berlin von einem “vollkommen unwürdigen und unglaubwürdigen Geständnis-Interview”. “Das ist eine Schande für den Sender, der es ausstrahlt, und für die belarussische Führung, die nochmal ihre ganze Demokratieverachtung, und eigentlich muss man auch sagen, Menschenverachtung zeigt”, betonte Seibert. Der britische Außenminister Dominic Raab sagte: “Das verstörende Interview von Herrn Protassewitsch vergangene Nacht entstand eindeutig unter Zwang und in Gewahrsam”, twitterte Raab am Freitag. Er forderte, alle zur Verantwortung zu ziehen, die an der Produktion und Verbreitung des Videos beteiligt gewesen seien. “Die Verfolgung derjenigen, die Menschenrechte und Pressefreiheit in Belarus verteidigen, muss aufhören.”

Festnahme nach Ryanair-“Entführung”

Protassewitsch war vor knapp zwei Wochen in Minsk an Bord eines Ryanair-Passagierflugzeugs festgenommen worden, das Machthaber Lukaschenko vom Kurs abbringen und dann zur Landung zwingen ließ. Ebenso wie seine russische Freundin Sofia Sapega sitzt er seitdem in Haft. Vergangene Woche war er schon einmal im Staatsfernsehen vorgeführt worden. Der Vorfall hat den Konflikt zwischen der ehemaligen Sowjetrepublik und dem Westen verschärft. Die EU und die USA verhängten seither neue Sanktionen gegen Belarus.

“Eine größere Qual kann man als Mutter nicht erleiden”

Protassewitschs Mutter forderte unterdessen, unabhängige Ärzte zu ihrem Sohn zu lassen. “Die sollten auch Blutanalysen machen, was man ihm spritzt.” Bisher seien alle Anträge aber abgelehnt worden. Auch die Anwältin des Bloggers seien diese Woche nicht vorgelassen worden. Die Mutter zeigte sich überzeugt, dass der Machtapparat Druck auf Familie, Freunde und Mitstreiter ausüben wolle. Zu dem Interview sagte sie, Lukaschenkos Apparat ziele auf die schmerzhaftesten Stellen. “Eine größere Qual kann man als Mutter vermutlich nicht erleiden.”

Die belarussische Justiz wirft dem Blogger vor, im vergangenen Jahr zu Massenprotesten gegen Lukaschenko aufgerufen zu haben. Nach der weithin als gefälscht geltenden Präsidentenwahl vom 9. August waren teils Hunderttausende gegen den immer wieder als “letzten Diktator Europas” kritisierten Lukaschenko auf die Straße gegangen. Inzwischen gibt es kaum noch Proteste.

(apa/mst)

Titelbild: APA Picturedesk

Markus Steurer
Markus Steurer
Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.
LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

26 Kommentare

  1. Allzu lange wird er nicht gefoltert worden sein. Reicht zu wissen, dass lukaschenko die Macht hat, seine Freundin freizulassen oder sie jahrelang ins Gefängnis zu stecken. Und selbst bei Einwilligung des fake-Interviews weiss er noch immer nicht, ob sie als Frau oder als lebendes Stück Fleisch rauskommen wird.

  2. In Österreich ist es schlimmer!
    Hier werden Staatsmedien auch gezwungen über etwas n i c h t zu berichten, wenn der Name eines Chefredakteurs in irgendwelchen Chatprotokollen vorkommt.

  3. Gleich zu Beginn: Ich verurteile dieses Kidnapping und ich verurteile Folter. Trotzdem frage ich mich: Wurde das Flugzeug wegen Bombendrohung gezwungen zu landen oder durch ein belarusisches Militärflugzeug? Beides zusammen passt nicht. Doch wenn es um Belarus oder Russland geht, gibt es kein logisches Denken mehr, kein Abwarten von Untersuchungen (übrigens ähnlich wie bei Corona)

    Wieso landete der Pilot nicht im näheren Vilnius, das immerhin zur EU gehört? Ich fürchte, wir werden wieder einmal belogen. Wieder wird mit verschiedenem Maß gemessen, Hass gesät und gespalten. Das geschieht auch subtil mit der Aussage: ehemaligen Sowjetrepublik.

    Roosevelt: „In der Politik geschieht nichts zufällig, Wenn etwas geschieht, können Sie sicher sein, dass es genau so geplant war.“

    Wann gibt es scharfe Sanktionen gegen Saudi-Arabien? Gegen die USA?

    • Zu Ihrer ersten Frage:
      Der weissrussische Machthaber behauptete, dass eine Bombendrohung aus der Schweiz zur eskortierten „Notlandung“ habe führen müssen (interessant: die Schweiz gehört nicht zur EU). Die Schweiz verwehrt sich gegen diese Behauptung. Eine „Bombendrohung“ sei 24 Minuten nach der erzwungenen Landung eingegangen. Dies ergaben entsprechende Recherchen. Unklar bleibt, woher und durch wen.

      Der Zweck dieser Aktion scheint klar zu sein. Er ist nichts weiter als eine Machtdemonstration gegen die eigene Bevölkerung. Russland „eilt zu Hilfe“. Was denn sonst? Soll Russland warten bis die „vereinten freien Staaten“ vor der Haustüre sitzen?

      Es geht fortgesetzt um die Weltherrschaft. Der grösste Aggressor ist bestrebt, uns für seine versprochene Freiheit und Demokratie bei der Stange zu halten. Nur ihr Donald hat es drastisch verraten. Seine Vorgänger gelten als „Ehrenmänner“.

  4. Ein kleiner Tipp!

    Es sollten sich einige hier mal über Weißrussland informieren.Aber nicht bei den bekannten Hetzblattl (MSM).
    Und dann sollten sie mal über DIESE EU nachdenken……..

  5. „Wir wissen, dass Putin kein Demokrat ist, er ist ein Diktator, der an der Macht bleiben möchte, um jeden Preis. Wir wissen auch, dass es an uns liegt, ihn zu stoppen. Was immer auch der Westen sagen mag, Putin zerstört das Konzept der Demokratie.“
    ―Garri Kimowitsch Kasparow

    … und er beschützt Lukaschenko, das ist gefährlich für die Welt…

    Protassewitsch hat keine Chance das zu überstehen, ohne die Hilfe der westlichen Welt. 😢

    • Ja und die westliche Welt hat leider nur eines im Sinn, ihr wirtschaftliches Fortkommen. Wenn ein Putin oder Lukaschenko dafür dienlich sind dann verschließen die Regierungen eben gelegentlich die Augen vor Grausamkeiten und Menschenrechtsverletzungen. Das ist ist traurige Wahrheit.

      • …. gelegentlich? Diesbezüglich leiden die meisten an Makuladegeneration… 😭

  6. Totalsanktionen, einreiseverbote, kontensperre für luka und konsorten.

  7. Orwell 2021!
    Lukaschenko spuckt den Bürger*innen ins Gesicht.
    Auf die Antwort der USA bin ich neugierig. Oder waren das nur leere Versprechungen?

  8. Ich habe mir das Video auszugsweise angesehen. Es dreht einem den Magen um. Ein geschundenes Häuflein Mensch, verhört von einem Sadisten – und das nennt sich: Interview. Diese als Werbebotschaft fürs Regime verkaufte Lebensverachtung, das sollte uns Mahnung sein, also wohin es führt, wird einem *starken Mann* oder *großen Reformer* hinterhergelaufen – und irgendwann sind Presse und Justiz nur noch Empfehlempfänger.

    Was fürchten Typen wie Lukaschenko oder Putin eigentlich derart massiv? Was ist so schlimm dran, Macht, und somit Kontrolle abzugeben? Angst vor Vergeltung? Oder das Fallen in ein unendliches Dunkel ohne Boden, da außerstande, wem zu vertrauen?

    • Warum muss ein starker Mann gleich ein böser Mann sein?
      Zudem war noch nie ein starker Mann allein an der Macht.
      Die hatten und haben allesamt Gleichgesinnte als Helferlein.

      Bei uns ist es auch nicht besser. Bei uns bekommt man keine aufs Maul, aber wird anders fertiggemacht – mit demokratischen Mittel eben: Geld und soziale Ächtung.

      • Ja, aber wir haben immerhin die Möglichkeit diese Leute abzuwählen. In Russland gibt es keine freien Wahlen und auch keine Opposition weil die wird nach Scheinprozessen eingesperrt und gefoltert, genauso wie die Demonstranten. Putin und Lukaschenko sind keine “starken Männer” sondern psychisch gestörte Despoten. Ein starker Herrscher würde dafür sorgen, dass es allen Menschen die er regiert gut geht und er hätte es auch nicht nötig vor der Meinung andersdenkender Angst zu haben und sie zu unterdrücken, das unterscheidet ihn von einem Despoten.

    • Wenn Sie fragen, was Lukaschenko und Putin so massiv fürchten, sollte Sie auch fragen, was die USA so fürchten. Glauben Sie, dass es in Guantanamo und anderen Geheimgefängnissen der USA freundlicher zuging und zugeht?

      Wovor fürchten sich die USA, wenn sie Julian Assange ausgeliefert haben wollen? Und wie wird man mit ihm umgehen? Seit Ende 2018 befasst sich der UN-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer, mit dem Fall. Nicht nur er bezeichnet diese Verfolgung als Folter. In seinem Buch beschreibt er auch, wie er sich mit dem Einsatz für Assange nach und nach bei den meisten Regierungen unbeliebt gemacht hat und die Schweiz eigentlich das letzte Land ist, von dem er sich noch wirklich unterstützt fühlt.

      Ein zumindest bemerkenswerter Artikel von Ulrich Heyden darf wohl in Mainstream-Medien nicht beachtet werden: Ist der weißrussische Blogger Roman Protasewitsch kein Freiheitsheld, sondern ein verkappter Nazi? https://www.nachdenkseiten.de/?p=72928

      • Wer sprechen hier über einen.Diktator in Weissrussland. Und Ihnen fällt nichts anderes ein als mantramässig den Westen ( USA) als den grössten Feind der Menschen darzustellen.
        Warum?

        • Weil mantramäßig immer die Regierungen, die der USA und der NATO nicht passen, als die einzigen Bösewichte dargestellt werden und als die einzigen Feinde der Demokratie und der Menschenrechte. Haben Sie sich schon einmal die lange Liste der völkerrechtswidrigen Kriege der USA angeschaut? Immer auf Lügen basierend! Es geht nicht um Demokratie, es geht nicht um Menschenrechte, es geht um Interessen, um Macht und Geld. Ich verabscheue Folter genauso wie Sie. Aber Folter wird eben auch von den USA angewendet und ihren Verbündeten wie Saud-Arabien.
          Julian Assange wird psychisch in GB gefoltert. Wo bleibt da der Aufschrei von Deutschland, Frankreich und anderen demokratischen und menschenrechtsfreundlichen Staaten? Es wird mit mehr als zweierlei Maß gemessen.
          Wäre Snowden in der Maschine von Evo Morales gesessen, wäre er längst in den USA und würde dort gefoltert werden wie Chelsea Elizabeth Manning (Bradley Edward Manning).

          • Das mag alles so stimmen, aber hier geht’s doch einwandfrei um Weissrussland. Wir beklagen immer bei unserem Kanzler sein Mantra: aber die anderen…..
            Sie machen es genau so. Die USA mag nicht heilig sein. Aber Wahlen werden da nicht gefälscht oder die Opposition niedergeknüppelt.

          • Wikipedia US-Präsidentschaftswahlkampf_2000:
            Die Wahl wurde ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Bush und Gore, so dass der Ausgang schließlich nur noch vom Ergebnis im Bundesstaat Florida abhing. Die dortige Auszählung, ein Vorsprung von 537 Stimmen, war jedoch stark umstritten. Die von Al Gore verlangte, von Floridas Staatsgericht eingeleitete Neuauszählung wurde durch ein Urteil des damalig überwiegend republikanisch besetzten Supreme Courts mit der Mehrheit von fünf zu vier Richterstimmen für verfassungswidrig erklärt, weil unordentlich und in den verschiedenen Distrikten des Bundesstaates uneinheitlich organisiert gezählt worden sei. Eine verfassungsgemäße Neuauszählung sei nicht mehr innerhalb der vorgesehenen Frist zu gewährleisten, deshalb sei jede Neuauszählung zu stoppen.
            Spiegel.de: 03.11.2017 · Wurde Hillary Clinton im Vorwahlkampf der Demokraten gegenüber Bernie Sanders bevorteilt? Ex-Parteichefin Brazile sagt: ja. Sie spricht in einem Buch von “interner Korruption”

            Wie Kurz alle und alles angreift, um von seinen Fehlern abzulenken, so tun das die NATO, die USA und die EU.

            Ja, es geht um Weißrussland und es geht um Folter. Das ist schrecklich. Aber die Millionen Tote, die auf die völkerrechtswidrigen Kriege gehen, zählen für mich zumindest mehr als eine USA, wo Wahlen angeblich nicht gefälscht werden und die Opposition nicht niedergeknüppelt wird, dafür aber Schwarze.

    • Diese Menschen denken nicht wie wir. Putin wurde von einer weltweit anerkannten Psychiaterin einmal als Psychopath bezeichnet. Solche schweren Persönlichkeitsstörungen sind anlagebedingt, die sind nicht heilbar und diese Menschen sind auch nicht zu irgendeiner Einsicht fähig. Und Lukaschenko ist mit Sicherheit auch nicht normal. Aber leider landen solche Menschen sehr oft in aller höchsten Ämtern und Posten. Namhafte Firmen versuchen mittlerweile sogar mittels psychiatrischen Profilern solche Leute von ihren Chefetagen fernzuhalten.

Kommentarfunktion ist geschlossen.

Jetzt: Polizeiäffäre "Pilnacek"

Denn: ZackZack bist auch DU!