Donnerstag, März 28, 2024

Not a Bot – Regen ist kein Applaus

Regen ist kein Applaus

Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!

Wien, 12. Juni 2021 | Um eine sehr kluge, verdeckte Form des Rassismus oder Nationalismus geht es heute. Den Rassismus der Schlaumeier. Ich bin wohl nicht befugt, viel dazu zu sagen, aber ich kenne eine Menge von Betroffenen, die mir das Problem immer wieder schildern. Es handelt sich um Schriftsteller*innen oder im weitesten Sinn Künstler*innen mit dem berühmten »Migrationshintergrund«. Das heißt, sie selbst oder ihre Eltern sind nach Österreich eingewandert. Befassen sich diese Künstler*innen in ihren Werken mit den Themen Einwanderung, Flucht, Fremdsein etc., so werden sie gefeiert. Schreiben sie über etwas anderes, richtet man ihnen aus, sie sollten doch besser wieder über Einwanderung, Flucht, Fremdsein etc. schreiben.

»Es ist der umgekehrte Rassismus«, hat einmal eine betroffene Filmemacherin zu mir gesagt. Ich bin im Burgenland aufgewachsen und habe oft erlebt, dass die Planer eines Musikfestivals gesagt haben: »Wir brauchen unbedingt auch eine kroatische Band.« Es ging dabei also nicht um die Musik dieser Band, sondern darum, dass sie kroatisch war. Ähnlich ergeht es auch der österreichischen Literatur, wenn sie sich partout als österreichisch und nicht als Teil der deutschsprachigen Literatur begreifen will. Wer sich zum Sonderfall macht, delegitimiert sein Selbstverständnis. Wenn man jemand zum Sonderfall macht, spricht man ihm damit die Freiheit ab, sich selbst zu definieren. Ich habe zur Diskussion weiter nichts zu sagen und möchte quasi als Coda eine kleine Erzählung anschließen, die ich allen widme, die sich betroffen fühlen – mich selbst eingeschlossen.

Der Regen

… and the rain sounds like a round of applause … (Tom Waits)

Die Band Mütter der Porzellankiste ist heute niemandem mehr bekannt. Kein einziger ihrer Songs hat überlebt und drei ihrer vier Mitglieder sind schon verstorben. Dennoch tourte die Band in den Neunzigerjahren in Afrika und Asien und war in aller Welt bekannt.

Die Mütter der Porzellankiste hatten nur etwa ein Dutzend Fans. Im Jahr 1975 wurden sie zu einem Open-Air-Konzert eingeladen. Am Nachmittag machten sie ihren Soundcheck, saßen dann stundenlang nervös herum und veränderten die Liste der Songs, die sie spielen wollten, noch ein wenig, bis plötzlich ein Gewitter aufzog und unaufhörlicher Regen einsetzte, sodass das Konzert abgesagt werden musste. Das wäre noch nicht bemerkenswert gewesen, hätte sich dieselbe Situation bei ihren nächsten zehn Einladungen zu Open-Air-Auftritten nicht genauso wiederholt. Jedes Mal regnet es. Und wie!

Als die Mütter wieder einmal zu einem Auftritt unter freiem Himmel eingeladen wurden, sagten sie dem Manager der Veranstaltungsfirma scherzend, der Auftritt werde ohnehin nicht stattfinden, da es kurz davor stark zu regnen beginnen werde. Genau so kam es. Der Manager hieß Berti Hercz und war von der akkuraten Wettervorhersage der Band beeindruckt. Als es im Jahr 1976 zu einer großen Hitzewelle kam und die Bauern des Landes klagten, dass große Teile der Ernte zerstört werden würden, überzeugte Hercz den Bürgermeister einer steirischen Gemeinde davon, die Mütter der Porzellankiste für ein örtliches Freiluftfest zu engagieren.

Der Bürgermeister lachte über den Vorschlag und das Demo-Band überzeugte ihn nicht. Berti Hercz aber erklärte, die Band würde ohnehin nicht auftreten. Und so wurden die Mütter im Programm nach zwei Blasmusikkapellen platziert. Beim Soundcheck beklagte sich die Band über die mangelnde technische Ausstattung. Sie konnten nicht fassen, worauf sie sich da eingelassen hatten. Das Publikum war bereits um die Mittagszeit betrunken, grölte und schrie und die Band hatte die schlimmsten Befürchtungen. Doch schon eine halbe Stunde vor dem geplanten Auftritt der Mütter zogen schwarze Wolken auf. Der aufkommende Wind warf die ersten Betrunkenen um und zwanzig Minuten später fiel der Regen so stark, dass er Biergläser genauso überlaufen ließ wie die Trichter der Hörner und Tuben.

Die Mütter der Porzellankiste schafften es in alle Zeitungen, allerdings wurde nicht im Kulturteil über sie berichtet, sondern auf der Wetter-Seite. Ihr Terminkalender war plötzlich voll. Sie tourten von Dorf zu Dorf, von Bezirk zu Bezirk, ohne ihre Songs Never Again, Don’t Run Me Down, Again and Again, Through the Eye of the Needle, Before We Start und andere je vor Publikum zu spielen. Und alle Bürgermeister der Orte, in denen die Mütter auftreten sollten, aber wetterbedingt nicht auftraten, konnten sagen, ihre Gemeinde habe alles richtig gemacht und sei besser durch die Dürreperiode gekommen als jede andere.

Doch Berti Hercz hatte mit den Müttern der Porzellankiste eine internationale Karriere vor. Und so gingen die nächsten Tourneen in die Länder Afrikas und Asiens. Anstrengend war es für ihn nur, wenn ihm die Band neue Songs vorspielen wollte oder verlangte, dass Teile der Gage für Aufnahmen in einem renommierten Tonstudio in London verwendet werden sollten. Die erste Unzufriedenheit von Gitarrist und Leadsänger Franz Sommerer zeigte sich darin, dass er vorschlug, die Konzerte der Mütter nur anzukündigen und gar nicht an den Ort zu fahren, wo sie stattfinden sollten.

Berti Hercz wollte das tatsächlich ausprobieren, aber nur, weil er insgeheim vorhatte, die Band dann an einem Tag an mehreren Orten gleichzeitig zu buchen und so ein Vielfaches der Tagesgage zu kassieren. In Drafi in Griechenland wurden vier Männer als Doppelgänger für die Mütter bestellt. Sie mussten, nachdem es vor dem Konzert nicht zu regnen begonnen hatte, auf die Bühne und versuchten, einen Song zu spielen. Sie wurden aber von den Einheimischen sofort als Einheimische erkannt und mit trockenen Erdklumpen und Steinen beworfen.

Je mehr Berti Hercz versuchte, den vier Bandmitgliedern das Leben in Flugzeugen und Fünf-Sterne-Hotels schmackhaft zu machen, desto stärker wurden ihr Heimweh und ihre Trinksucht. Als Franz Sommerer das erste Mal in eine Klinik eingeliefert wurde, stellte Hercz fest, dass bei Konzerten mit nur drei Bandmitgliedern der Regen nicht mehr so stark fiel wie sonst. Der schwache Regen wurde ausgebuht und Hercz befürchtete einen schweren Imageverlust. Er legte Sommerer nahe, mit dem Trinken aufzuhören. Sommerer brüllte ihn an, er sei ein Rockstar und lasse es sich nicht gefallen, dass sein Drogenkonsum kritisiert werde.

Im Jahr 1981 zerbrach die Band, Sommerer verstarb ein Jahr später und der Schlagzeuger erlag einem Krebsleiden. Die beiden anderen Bandmitglieder zogen sich aus dem Musikgeschäft zurück. Erwin Niederschremsinger, der Bassist, schrieb im Jahr 1986 einen Artikel über die Geschichte der Mütter der Porzellankiste für die Bezirkszeitung Hartberg. Er starb 1988. Am Leben ist heute nur noch der Keyboarder der Mütter. Sein Name fällt mir leider nicht mehr ein.

Titelbild: APA Picturedesk

Redaktion
Redaktion
Die ZackZack Redaktion
LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

6 Kommentare

  1. Leider sind die Menschen heutzutage ständig auf der Suche nach dem “Sonderfall”. Als Sonderfall angesehen zu werden ist irgendwie kränkend weil man das Gefühl hat die Leute wollen nicht die Person die dahintersteckt sondern die Sensation die sie vordergründig sehen. Diese Suche nach dem Besonderen hat wohl auch etwas zu tun mit der Suchen nach Idolen an denen man sich festhalten kann. Diese Suche ist eine normale Entwicklungsstufe Heranwachsender die sehr, sehr viele Menschen aber nie überwinden…..

    • …. was nicht (mehr) verstanden wird ist, Jeder Mensch ist ein “Sonderfall”!
      Viele eifern anderen nach und verlieren dadurch ihre Individualität, Menschen sind sich (Ihres) Selbst nicht mehr bewusst, die (eigentliche) Vielfalt wird zu einem Brei…
      Heranwachsente orientieren sich an YT-Influencern, in China (wo anders auch) gibt es Einheitskleidung, Einheitsdenken ist die Folge davon….. Ein “Sonderfall” wird zur Kuriosität, nicht mehr Normalität, so wie es sein sollte….😖

    • Erinnert mich auch ein wenig an den Geschichtenerzähler in Michael Endes “Momo”, der berühmt (gemacht) wurde, aber dessen Geschichten immer “hohler” wurden und die niemanden mehr berührt haben. Echte Vielfalt kann nur im Kopf der Zuhörer*innen entstehen …

  2. Danke Herr Wisser. Das ist eine sehr schöne, tiefgründige und berührende Geschichte.

Kommentarfunktion ist geschlossen.

Jetzt: Polizeiäffäre "Pilnacek"

Denn: ZackZack bist auch DU!