Donnerstag, März 28, 2024

Gastkommentar: Je suis »Pöbel«

Gastkommentar:

Martin Kreutner, Mitinitiator des Antikorruptionsvolksbegehrens, ist Kummer gewohnt. Warum er jetzt genug hat von der “unverschämt kuschelig-korruptiven Klüngelei ganz oben” erklärt er im ZackZack-Gastkommentar.

Martin Kreutner

Wien, 21. Juni 2021 | Man hat schon einiges erlebt, in knapp dreißig Jahren in der Arena der Korruptionsbekämpfung. Auch das Morituri te salutant… denn international gilt das einheitliche Phänomen: Die Schwierigkeiten einer Antikorruptionsdienstelle fangen (interessanterweise?, naheliegenderweise?) immer dann an, wenn sie erfolgreich wird. Ring a bell? (Und: natürlich gilt die Unschuldsvermutung).

Dabei steht Österreich doch ganz gut da. Sagt man. Sagen auch viele Indizes. Auch wenn man diesen Indizes ihrerseits eine gewisse Versteinerungstendenz nachsagt: einmal oben, immer oben; einmal unten, … Und dann bilden sie halt oft nicht das ganze Bild ab. Das Bild unter der strahlenden Oberfläche. Das klandestine Bild.

Ja, Österreichs Verwaltung, seine Polizei, sein Zoll (wo noch vorhanden), seine Spitäler und Bildungseinrichtungen sind grosso modo sauber. Und sie sind in den letzten Jahrzehnten auch noch viel sauberer geworden – von der „Alltagskorruption“. Chapeau et merci! Das würde sogar ich unterschreiben. Wir wissen es dankend zu schätzen. Wir Österreicher, die vielen Touristen, die ausländischen Investoren.

Korruption im Kleinen und im Großen

Dabei ist alleine schon das Wort „Alltagskorruption“ eigentlich völlig fehl am Platz, ist gefährlich, wie es eine sehr geschätzte Mitproponentin unseres Volksbegehrens – frei zitiert – richtigerweise festgehalten hat. Denn es geht in Österreich nicht um das (aus Not „erkaufte“) blanke Überleben, es geht nicht um das (aus Hunger „erbettelte“) Ergattern letzter Lebensmittel, um das (aus Unterdrückung „unterlegte“) Überwinden einer Grenze in die Freiheit. Es geht bei uns wohl viel eher um diese folkloristische Verniedlichung eines bloß vermeintlichen „Immer schon“ (?), „als ob Korruption etwas Alltägliches oder Normales wäre“ . Ist es das, das letztere? Und glauben wir, wollen wir das wirklich?

Ich bin noch nie so oft von Fachkollegen und -kolleginnen aus dem Ausland aktiv angesprochen worden wie in den letzten zwei Jahren, insbesondere den vergangenen Monaten: Was ist los bei Euch in Österreich? Angesprochen auf die andere, die viel gefährlichere Form der (alpenrepubliksverniedlichten) „Alltagskorruption“. Nicht jene der „petty corruption“, der Kleinkorruption, sondern jene der zunehmend unverschämt kuschelig-korruptiven Klüngelei ganz oben. (Und: natürlich gilt die Unschuldsvermutung).

Die liebe Familie

Dort, wo die Grenzen zwischen den Staatsgewalten zu verschwimmen drohen; dort, wo angeblich Chefredaktionen auftanzen lassen oder ihrerseits zum Auftanzen vorgeladen werden; dort, wo Befangenheiten ausgesessen werden; dort, wo man im staatsnahen Bereich Aufsichtsräte und Ausschreibungen nach „Eh-alles-Manier“ sich selber aus- und einzurichten scheint; dort, wo nicht mehr Ethik und Moral als Maxime dienen, sondern – gerade noch – das Strafrecht; dort, wo ein damit düpiertes Staatsoberhaupt benötigt wird, höchstgerichtlichen Entscheidungen (noch?) zum Durchbruch zu verhelfen. Und dort, wo sich selbstdefinierte „Familie“ über Pöbel, Tiere, Justiz, Kirche und Müllfrauen erhebt. What next?

Dort beginnt der Rechtsstaat zu wanken – nicht durch saloppe Diktion, sondern durch solch Denken. Schleichend, aber ganz konkret; jenseits unangebrachter Verniedlichung und jenseits folkloristischer Verharmlosung. Und insbesondere deswegen haben mich die internationalen Kollegen und Kolleginnen kontaktiert: Was ist los bei Euch in Österreich?

Je suis „Pöbel“, nous sommes Österreich. Auch deswegen machen wir das Volksbegehren: www.antikorruptionsbegehren.at

Martin Kreutner ist Österreichs führender Antikorruptionsexperte. Von 2001 bis 2010 bis leitete er das Büro für interne Angelegenheiten im Innenministerium. Er war Dekan der Antikorruptionsakademie IACA, arbeitete für Interpol, den Europarat und Transparency International. Kreutner ist einer von 12 Initiatoren des Antikorruptionsvolksbegehrens.

Titelbild: APA Picturedesk

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35 Kommentare

  1. Verwaltung, Polizei, Zoll, Spitäler und Bildungseinrichtungen sind ihrer Meinung nach also in Ordnung? Ferner kann man der Realität des Durchschnittsösterreichers nicht sein Herr Gastautor.

  2. ……sondern durch solch Denken.
    So ist es.
    Achte auf deine Gedanken, sie sind der Beginn deiner Taten.

  3. Immaterielle Korruption

    Wenn es ein Punktesystem gibt, wenn man Sex mit FunktionärInnen hat, dann ist das Anfüttern des “Mind-Sets”. Man hat Sex dann nicht einfach, weil er Spaß macht, sondern weil er an anderer Stelle Punkte bringt. Was auch immer die Punkte einem einbringen mögen, sie sind Korruption, weil ein Gegenwert (Punkte) abseits der Begegnung eingebracht wird. Das Intime wird einer Teilöffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Das eigene Intime und eines unbeteiligten Dritten.

    Man gewöhnt sich daran, lernt, dass man seine Meriten “woanders” abholen kann, wenn man sich auf das Spiel einlässt. Man übermittelt einer Organisation auch Informationen (wer wofür empfänglich ist), die auch zu Erpressungen führen können.

    Das Punktesystem suggeriert auch, dass man mit dem Punktesammeln “drin” ist, dazugehört, anders eine Karriere nicht zu machen ist. Und wer da einmal “drin” ist, kommt auch schwer hinaus: Die geschenkten Informationen sind ein permanentes Druckmittel.

  4. Die österreichische Justiz ist durch und durch Korrupt! Ich habe unzählige Beweise wie sich Amtsträger an der Vertuschung von einem unglaublichen Skandal in Vorarlberg beteiligt haben. Wer mehr erfahren oder darüber berichten möchte “Zwei-Klassen-Justiz” googeln …

  5. Ich hab den Eindruck, es geht in Wirklichkeit darum, die Empörung und Genervtheit des Volkes zu instrumentalisieren, um den Kanzler straffrei stellen zu können.

    Wie das geht? Wovon ich spreche?

    Siehe Vorschlag (In der PK war es Vorschlag 3) im Volksbegehren demnach gefordert wird, dass Verstöße in einem U-Ausschuss künftig nicht mehr dem Strafgesetz unterliegen sollen!!!!
    (Aufgepasst, könnt glatt untergehen, neben so vielen tollen Vorschlägen!)

    Desweiteren sollen wir(!!!) unterschreiben, dass Persönlichkeitsrechte für Politiker in Zukunft besser abgesichert werden sollen, obwohl sie nun einmal in der Öffentlichkeit stehen, und das auf eigenen Wunsch!

    Was soll das???

    Herr Kreutner, nehmen Sie die faulen Eier raus, aus der Liste und beweisen Sie, dass Sie es ernst meinen.

    • Meinen Sie diesen Punkt? :
      “Die Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse ist weiters dahingehend abzuändern, als grund- und menschenrechtlichen, datenschutzrechtlichen Erwägungen sowie dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werden muss. Dabei ist ein Maßstab zu wählen, welcher vergleichbar nicht unter jenem der Strafprozessordnung (StPO) liegt.”

      • Nein, der Vorschlag den ich anspreche ist “Vorschlag 3″,in der PK von Kreutner.

        Weiter spricht er auch davon, dass”für jeden Gusto etwas dabei ist” u. A. auch für die Bundesregierung. (Ist das dann nicht ein”Geschäft”???)

        Wenigstens macht er kein Geheimnis draus. Umso erstaunlicher, dass das kaum jemand anspricht und der Großteil offenbar nur das hört, was er hören will.

        • Der Vorschlag 3 von Kreutner in der PK ist ganz genau das, was ich oben geschrieben habe und wie er auch auf der HP steht.

          https://antikorruptionsbegehren.at/der-inhalt/#01

          Er sagt auch nicht, dass für jeden Gusto etwas dabei ist, sondern dass er hofft, dass die insgesamt 72 Vorschläge den Gusto des Parlaments, der Regierung und aller Österreicher trifft.

          Ich hab mich bemüht, aber ich kann Ihre Befürchtungen beim besten Willen nicht herauslesen oder hören.

  6. In Ö wird man auf Korruption besonders seitens jener Partei, die seit 30 Jahren den tiefsten Sumpf anlegt, bereits im Kleinen konditioniert. Aktuelles Beispiel: Man beschließt sinnwidrige, der Situation und dem Weitblick nicht angepasste Corona-Regeln und lockert oder verschärft sie, wie man gerade lustig ist und es der Quote dient. Was passiert? Diese Regel werden – wo es möglich ist – komplett negiert (kenne 3 ländliche Ortschaften). Niemand findet etwas dabei, Polizisten sind mit der Gastro dort auf du und du. Man lernt also: “Schau auf dich, ich schau auf mich’. Das ist insofern interessant, als man dann bei größeren Übertretungen bis hin zu den ganz großen das Gespür für Moral verliert, steuerbar wird. Da sind wir jetzt. Die Chats haben es widergespiegelt, doch viele tun sie als mit einer Handbewegung ab, weil sie bereits brainwashed sind. Bleiben wir immer wachsam!

  7. There are three things that can’t be beat​,
    death,
    taxes, and
    corruption!

      • Solange wir die Verantwortung an andere abgeben (müssen, weil das System so gestrickt is), können Sie sich erheben und unterschreiben was Sie wollen, doch die drei genannten Dinge werden Sie, werden wir nicht los.

        • Wenn mehr sich gegen dieses System auflehnen und mittels Wählerstimme ein Signal setzen, kann man auch dieses System langsam ändern. Man müsste mehr die Nichtwähler ins Boot holen.

          • Wie schrieb es User ‘EndeGelande’ schon mehrmals,
            ‘ würden Wahlen (Volksbegehren) wirklich etwas ändern, wären sie bereits verboten.’

    • Den Tod loswerden? Na, das gebe wahrlich eine Katastrophe!

      Steuern loswerden? Ich bin dagegen (obwohl ich nicht wenig zahle), denn wie sollte sonst öffentliche Infrastruktur usw finanziert werden. Verbesserungsbedarf gibt es natürlich auch hier.

      Korruption loswerden? Kein einfaches Unterfangen und zur Gänze wohl auch kaum machbar, aber es gibt Bereiche, da ist was machbar und es ist gut, dass immer mehr Menschen aufschreien! Ich will den Kopf nicht in den Sand stecken!

      • Sie brauchen sich in allen 3 Fällen keine Sorgen machen, Sie werden nichts von alledem los, wurscht ob Kopf im Sand oder nicht!

    • Regarding the second and the third point in Austria you are quite right…unfortunately

  8. Je suis „Pöbel“ aussi, mais merde alors, ils sont une famille corrompue.

  9. Der Einzige, der aktuell hiner Gittern sitzt, das ist der, der mit dem Ibiza-Video den ganzen Sumpf der Korruption in Österreich ans Tageslicht gebracht hat. Postenschacher, die ÖBAG-Chats wären ansonsten nie an die Öffentlichkeit gelangt.Eigentlich sollte man ihn auf der Stelle freilassen und ihm einen Orden umhängen.

  10. Je suis Tier.

    Gut, dass es diese Initiative und diese Tageszeitung gibt.
    Nur, Machtstrukturen, Korruption und Denken in Hierarchien sind noch viel tiefer in unseren Köpfen verwurzelt.

  11. die wienerische variante des “je suis” ist jene vom 2. november:
    schleich die du oaschloch!
    und im falle der korrupten – noch immer die unschuldsvermutung in anspruch nehmenden – türkisen find ich das auch viel passender.

    die sich bei uns zeigenden umstände erinnern frappant an die zustände in italien zu beginn der 90er.

    https://www.hagerhard.at/blog/2021/06/mani-pulite/

  12. Bisher haben sich nur die politisch korrupten Spitzen der Polizei zu Wort gemeldet. Jetzt kommentiert bei uns der Polizist, der am erfolgreichsten Korruption bekämpft hat – und deswegen bekämpft worden ist.

    • **** wo ein damit düpiertes Staatsoberhaupt benötigt wird, ****

      das kann ich so nicht nachvollziehen! Ich gehe davon aus, dass ein VdB ein intelligenter Mensch ist und wenn er wollte/könnte (?) diese Regierung “aufgehen lassen kann”.

      Denn das bei türkis alles im Argen liegt … mein lieber Jolly das kreischen schon die Ratten im Untergrund ..

      Also, woran liegt es bei VdB ???

      • Senilität?
        Alles mögliche tun, damit diese veganen Beidln am Trog bleiben?
        Nikotintoxication des Gehirns?
        Ma waaß es ned…

  13. Gott sei dank gibt es menschen, denen der rechtsstaat etwas wert ist.
    Im gegensatz zu den selbsternannten werteschwurblern.

    • Wenn ich 10 bis 20 tausend Euro Gehalt oder Pension kassiere im Monat, kann ich auch mutig meine Meinung vertreten.

      • Auch andere, die selbst noch in diesem System hängen, raus wollen aber nicht können (Jobverlust würde drohen usw), stehen zumindest anonym auf und zeigen an: die Belege zur Wahlkampfkostenüberschreitung, die schwarze Justizsprecherin…. es geht schon was weiter!

  14. “unverschämt kuschelig-korruptiven Klüngelei ganz oben”. Warum so förmlich. Korrupte A….. oder schwarze Mafia reicht. Kriminelle Vereinigung und alle schwarzen Mafia Mitglieder ins Häfn.

    • Zumindest in offiziellen kommentaren ist eine gewisse form angebracht. Es sollen sich ja auch viele angesprochen fühlen und identifizieren können.
      Denken kann ja jeder, was er will.

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