NEOS-Mandatar Sepp Schellhorn kündigte am Donnerstag überraschend seinen Rücktritt aus der Politik an. Gegenüber ZackZack äußerte er sich in einem langen Statement.
Wien, 24. Juni 2021 | Es kommt durchaus überraschend: Sepp Schellhorn, Wirtschaftssprecher der NEOS, kündigte seinen Rückzug aus der Politik an. Er beendet mit heutigem Tage alle politischen Aktivitäten und werde sich um seine Betriebe kümmern.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich beende mit heutigem Tag sämtliche politische Aktivitäten(damit auch mein Engagement auf Twitter) Ich verlasse die politische Arena, weil ich zum einen meine ganze Kraft für meine Betriebe und meine Mitarbeiterinnen & Mitarbeiter brauche #thread— Sepp Schellhorn (@pepssch) June 24, 2021
Schellhorn war kurz nach dem erstmaligen Einzug der NEOS in den Nationalrat nachgerückt und gehörte diesem seit fast sieben Jahren an. Der 54-Jährige fungierte unter anderem als Wirtschafts- und Kultursprecher des Klubs.
In einer Aussendung erklärte er, seine Belegschaft in der gegenwärtigen Situation eines Fachkräfte-Mangels nicht länger alleine lassen zu wollen: “Gerade in der Gastronomie arbeiten wir derzeit alle am Anschlag mit leider wenig Perspektive auf Besserung.”
Er habe in den letzten Monaten der Pandemie hunderte persönliche Gespräche geführt und tausende Emails von Unternehmern in Nöten beantwortet, die ihm auch selber “an die Nieren gegangen sind”. Der “anhaltende Klassenkampf gegen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als vermeintliche Ausbeuter” und die zunehmend kräfteraubende Stimmung in der Politik hätten ihn zuletzt in seinem persönlichen Entschluss bestärkt.
Klubobfrau Beate Meinl Reisinger dankte Schellhorn als “kräftigste Stimme und größtes Herz für Unternehmertum und Menschlichkeit” im Nationalrat und weit darüber hinaus: “Was er und seine Familie in den letzten Jahren geleistet haben, hat meinen allerhöchsten Respekt und meine Bewunderung”, erinnert die pinke Parteichefin auch an Schellhorns persönlichen Einsatz in der Flüchtlingsfrage und für die Möglichkeit einer Lehre für junge Asylwerber.
Sein Mandat im Nationalrat übernimmt die Innsbrucker Gemeinderätin und Tirolerin Julia Seidl, die jüngst schon in den Vorstand der Bundespartei gewählt worden war.
Hier das ganze Statement von Sepp Schellhorn:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich beende mit heutigem Tag sämtliche politische Aktivitäten (und damit auch mein Engagement auf Twitter). Ich verlasse die politische Arena, weil ich zum einen meine ganze Kraft für meine Betriebe und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauche. Wir haben einen massiven Mangel an Fachkräften und ich will sie in dieser Situation nicht alleine lassen. Wir alle in der Gastro arbeiten aktuell am Anschlag mit wenig Perspektive auf Änderung.
Ich verlasse die Politik aber auch, weil sie mir nur mehr Kraft raubt und mittlerweile eine Überdosis an Gift freisetzt.
Wenn man vielen Menschen begegnet und sich die Wege fürs erste trennen, gilt es sich zu bedanken. Besonders wichtig sind die Menschen, die mich aushalten mussten: das ist im Parlament vor allem die Supermanagerin Barbara Hanak, die Inhaltegeber Matthias Pirngruber, Armin Hübner, Christina Aumayr-Hajek , Lukas Sustala und die vielen anderen, die meine Wertschätzung genießen. Nicht zu vergessen sind dabei auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Parlamentsdirektion – sie sorgen dafür, dass der Maschinenraum der Demokratie selbst bei so mancher Überhitzung rund weiterläuft.
In der Wirtschaftspolitik bin ich besonders für die vielen, vielen Begegnungen im Stillen dankbar. Alleine in der Zeit der Lockdowns habe ich 400 persönliche Gespräche mit Unternehmer_innen geführt. Ich habe in der Zeit über 2000 Mails beantwortet, die mir Menschen in unternehmerischen Nöten geschrieben haben – die mir auch wirklich „an die Nieren“ gegangen sind. Die von einer politischen Seite gern skizzierten „Ausbeuter“ waren übrigens nicht darunter, sondern Menschen, die über die Sorge um ihren Betrieb und ihre Mitarbeiter_innen schlaflos geworden sind. (und ja, ich will das gar nicht weg reden: Trotteln gibt’s in der Unternehmerschaft genauso wie in allen Gesellschaftsbereichen auch…). Ach, wenn wir diese abstruse Trennung von Menschen und Unternehmern doch endlich loswerden könnten!
In der Kulturpolitik, das gebe ich zu, liegt mein großer Schmerz. Ich habe ihr in den letzten verrückten Monaten zu wenig von der Aufmerksamkeit, die ich für nötig erachte, gewidmet. Es fehlt aber auch massiv Verständnis für diese so wichtige Materie in allen Parteien. Wobei ich „Einzeltäter“, wie den wunderbaren Thomas Drozda, davon eindeutig ausnehmen möchte. Die österreichische Kultur hat keine Politik und hätte sie so bitter Not. Dabei geht es nicht um Staatskunst, ganz im Gegenteil: Es geht um einen fairen Rahmen, in dem man sich als Künstlerin und Künstler FREI bewegen kann. Martin Kusej und Jasper Sharp sei hier als kraftvolle Impulsgeber, streitbare und wahre Freunde gedankt.
Ein großes Danke meinen Mitstreiter_innen und Freund_innen, wie André Heller, Birgit Minichmayr, Ernst Molden, Anna Mabo (Marboe), Thomas Maurer, Julya Rabinowich, Josef Hader, Florian Scheuba, Marc Janko, Paul Ivic und vielen anderen, die sich mit mir vor Weihnachten am Ballhausplatz versammelt haben, um die Aufnahme von Kindern und Familien aus Moria zu erkämpfen. Ganz im Sinn meines großen politischen Kampfes um Menschlichkeit und Miteinander.
Denn wenn Menschen in Not sind, dann müssen wir hingreifen. Ich beherberge und begleite mit meiner Familie seit Jahrzehnten Flüchtlinge. Besonders intensiv war die Erfahrung 2015, als ich 30 Flüchtlinge am Parkplatz von Bad Gastein empfangen durfte und sie für einige Monate beherbergt habe. Der Bürgermeister hat gewettert, die Supermarktkassiererin den Einkauf den Geflüchteten verweigert, aber viel mehr Menschen haben mit mir daran gearbeitet, den jungen Menschen eine Zukunft zu schaffen. Stellvertretend dafür sei Roland Trettl und Roland Dolschek gedankt, mit denen ich in meinen Skihütten Flüchtlingsburschen Kochen und Servieren beigebracht habe. Ein Großteil konnte dadurch in das Arbeitsleben in Österreich finden. Sie tragen jetzt mit Steuern ihren Beitrag fürs Land bei.
Weil ich Gräben auch sonst hasse, möchte ich mich auch bei meinen Lieblingsvertreter_innen aus anderen Parteien bedanken:
In der ÖVP gilt mein Dank Gernot Blümel. Er hat es eigentlich nicht Not, sich türkise Socken anzuziehen. Er ist wesentlich klüger, als seine Budgets vermuten lassen und außerdem hat er Witz. Wir hatten immer eine sehr wertschätzende Gesprächsebene. Danke dafür.
Bei den Grünen denke ich gleich einmal an die großartige Eva Blimlinger. Ich finde es ewig schad, dass diese kluge Frau nicht Kulturministerin wurde. Wobei ich schon bemerken darf, dass ich auch mit Staatssekretärin Mayer ein großartiges Zusammenarbeiten hatte.
In der SPÖ möchte ich besonders meinem Wutbruder an der Wirtschaftsfront, Christoph Matznetter, danken. Manchmal übersieht man in seinem lautstarken Auftreten die Nuancen und die Tiefe seines Antriebs. Und ein Extradank für so manche Tschick am Josefsplatz… und manchen geistig, historischen Ausflug.
Bei der FPÖ möchte ich Marlene Swazek hervorheben. Ich muss zugeben: Beim Landtagswahlkampf in Salzburg hat sie mich anfänglich ganz schön ins Schwitzen gebracht. Sie ist jedenfalls eine faire und menschliche Gegnerin gewesen, der ich alles Gute (wenn auch nicht allzu viele Prozente) wünsche.
Mein besonderer Dank gilt natürlich NEOS. Meine tiefe Bewunderung für Matthias, den Impulsgeber. Beate, dir wünsche ich – sowie der ganzen Bewegung – weiterhin so viel Beharrlichkeit, Unbeugsamkeit und Kampf für die Dinge, die zählen: Mensch, Umwelt, Wirtschaft. Und leider das noch immer nicht Selbstverständliche: saubere und ehrliche Politik. Ich danke Dir und dem ganzen Team für Eure Freundschaft und Unterstützung.
Abschließend muss ich eingestehen, dass manchmal meine Zunge oder mein Twitterfinger schneller schossen als der sorgfältige Gedanke. Besonders deppert war da einmal ein Wortgefecht mit Maria Fekter. Ich schieße gleich verbal noch einen Blumenstrauß der Entschuldigung nach.
Ich danke auch allen Journalistinnen und Journalisten, die mich immer fair behandelt haben.
Zum Schluss das allergrößte „Danke“ an meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie haben mir in all den Jahren den Rücken freigehalten.
Das oben angesprochene Gift war mir in den letzten Monaten überdosiert. Obwohl ich schon in den letzten Jahren mit 23 Betriebsüberprüfungen die ganze Wucht der politischen Übermacht (besonders der ÖVP) zu spüren bekommen habe, so hat der Kampf der Ertrinkenden den Ton noch einmal verschärft. Auf allen Seiten? Ja, aber Ursache und Wirkung muss hier schon sauber getrennt werden.
Österreich, seine Menschen und Unternehmen gehören sich selbst. Wir gehören keinen Kasten, Kammern, Chatgruppen oder „Freundes“-kreisen. Österreich, das ist eine Wucht, wenn es sich nicht mit sich selbst beschäftigt, sondern weit aufmacht für die Welt, für Neues und Anderes.
Mein Feuer für das Land brennt weiter – wo ich es noch einsetzen werde, wird die Zeit beantworten.
Wenn Sie mögen, bleiben Sie mir gewogen.
Danke.
Ihr
Sepp Schellhorn
(bf/apa)
Titelbild: APA Picturedesk