Bundesverwaltungsgericht:
Da Abschiebungen nach Afghanistan derzeit nicht möglich sind, ist auch die Schubhaft in diesem Zeitraum rechtswidrig. Trotzdem werden nach wie vor Afghanen in Anhaltezentren festgehalten. Die Kritik an Innenminister Nehammer wird lauter.
Wien, 18. August 2021 | Um bevorstehende Abschiebungen zu sichern, wird gegenüber jenen Menschen die außer Landes gebracht werden sollen, eine Schubhaft verhängt. Aufgrund der aktuellen Lage in Afghanistan sind Abschiebungen dorthin derzeit aber nicht realisierbar. Somit fehlt auch für eine Schubhaft die rechtliche Grundlage, wie das österreichische Bundesverwaltungsgericht (BVwG) erklärt.
Schubhaft seit 04. August rechtswidrig
So ist das BVwG zum Schluss gekommen, dass Abschiebungen nach Afghanistan seit 04.08. nicht mehr realisierbar sind und in Folge auch eine Schubhaft rechtswidrig ist. Daher hat man am 09.08. Schubhaftbeschwerde stattgegeben. Konkret hat das Bundesverwaltungsgericht die Schubhaft bereits in jedenfalls drei Fällen für unzulässig erklärt. Es sei „anzunehmen“, dass auch für weitere Schubhäftlinge so entschieden wird.
Und was macht Karl Nehammer (ÖVP)? Abgesehen davon, dass der Innenminister trotz unmöglicher Umsetzung weiter an Abschiebungen festhält, scheint er auch in Sachen Schubhaft seinen eigenen Weg gehen zu wollen. Er stelle sich damit „über das Gesetz, um populistische Parteipolitik zu treiben“, wie Lukas Gahleitner-Gertz, Jurist und Sprecher bei der österreichischen Asylkoordination, auf Twitter darauf aufmerksam macht.
So, realtalk:
Was sagen Gerichte zu #Nehammer's tagelanger Realitätsverweigerung? #BVwG
Von substanzloser PR-Politik, Freiheitsentzug und strafrechtliche Verantwortung für ein Spiel, das wir alle bezahlen. #Schubhaft #Alpensalvini
1 Thread #Afghanistan #Abschiebestopp 1/12— Lukas Gahleitner-Gertz (@LukasGahleitner) August 17, 2021
BFA erschien nicht vor Gericht
Gegenüber ZackZack erklärt der Asylrechtsexperte, dass sich mit Stand 17.08 in Österreich noch mindestens zehn Afghanen in Schubhaft befinden, das würden Rechtsberatungsorganisationen bestätigen. Wie viele es jedoch genau sind, könne das Innenministerium nicht beantworten.
„Das BMI und Nehammer wussten spätestens seit 09.08. Bescheid und hätten den Freiheitsentzug bei Afghanen sofort beenden müssen. Dass das BMI keine genauen Zahlen nennen kann ist außerden ein Blödsinn, natürlich wissen sie wie viele Afghanen im Moment in Schubhaft sind.”
Bei einem der Abzuschiebenden hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) interveniert. Bei der Verhandlung am 09. August wurde rückwirkend beschlossen, dass Abschiebungen ab dem 04. August nicht realisierbar sind und die Schubhaft ab diesem Zeitpunkt daher rechtswidrig ist, so Gahleitner-Gertz weiter. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), jene Behörde, die Schubhaften verhängt, sei aber nicht zu dieser Gerichtsverhandlung erschienen. Was laut den Aussagen des Experten “eigenartig” sei. Die Aufgabe der BFA wäre es immerhin gewesen, die Aufrechterhaltung der Schubhaft bei dieser Person zu verteidigen.
“Wenn sie es nicht verteidigen können, dann müssen sie es sofort aufheben. Da sie nicht erschienen sind, ist die Person freizulassen”,
so der Jurist.
In jener Verhandlung hielt der Richter zudem fest, dass es sich wohl um eine rechtswidrige “Schubhaft auf Vorrat” handle. Also eine Art Sicherungshaft durch die Hintertüre, ohne gesetzliche Grundlage. Nehammer sei also verantwortlich, so Gahleitner-Gertz, dass Menschen seit 14 Tagen rechtswidrig in Schubhaft sitzen.
Nehammer will weiter abschieben
Am Mittwoch hat Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bekanntgegeben, weiter “nach europarechtlichen Möglichkeiten” nach Afghanistan abzuschieben. Dabei schlug er Abschiebezentren in den Nachbarländern Afghanistans vor. Die EU müsse den Zielländern “Rahmenbedingungen” geben und “Verhandlungen auf Augenhöhe” führen. Es sei wichtig, dass “Rechtstaatlichkeit glaubwürdig ist”, so der Innenminister weiter.
Auf die Frage, warum er glaube, dass die Nachbarstaaten des Krisenstaats, die ohnedies schon mit einer verstärkten Fluchtbewegung konfrontiert seien, auch noch Afghanen zurücknehmen, erklärte er: “Weil das die sinnvollste Hilfe ist.” Es sei dort auch noch “deutlich Luft nach oben”, was die Aufnahme der Schutzsuchenden betrifft. Eine “klare Einigkeit” unter den EU-Staaten gebe es darüber, dass sich die Migrationskrise von 2015 hier auf “keinen Fall wiederholen darf”, sagte Nehammer.
(mst)
Titelbild: APA Picturedesk