Freitag, März 29, 2024

Wochenstart mit Mirwais Wakil

Wochenstart mit

Herr Wakil, hat die afghanische Armee nicht gegen die Taliban gekämpft?

 

Wien, 22. August 2021 |

Kurz gesagt: Das hat sie. Bis zur letzten Patrone!

Lange Erklärung: Die afghanische Armee bestand aus vielen verschiedenen Sektoren. Die für diesen Kontext wichtigsten sind die Kommandos, die Brigaden und die Luftwaffe. (Die afghanische Armee wurde in weitere Fraktionen gegliedert, die für diesen Kontext aber unerheblich sind. Das sind zB die verschiedenen regionalen, oft tribal basierten, Gruppen, die Polizei, die verschiedenen Geheimdiensttruppen.)

Konträr zur öffentlichen Auffassung, führte die afghanische Armee seit 2014 selbstständig den Krieg. Die ausländischen NATO/US-Truppen bildeten die afghanische Armee lediglich an gesicherten Stützpunkten aus und unterstützten sie während ihrer Kämpfe aus der Luft.

Besonders evident wird dies in den Todes-Statistiken, die die afghanische Armee seit ihrer Übernahme zu verzeichnen hatte: Alleine im letzten Jahr starben mehr afghanische Soldaten als NATO-Soldaten während des gesamten Krieges. Seit 2001 starben 3.586 internationale Kräfte – bei den afghanischen Soldaten waren es mindestens 66.000.

In vielen Instanzen steckten junge Soldaten ohne Nahrung und Munition im tiefen Gebirge Afghanistans fest. Viele von ihnen wurden monatelang nicht bezahlt. Ihre Familien hungerten in den Städten, während sie irgendwo im Nirgendwo der unendlich weiten Berglandschaften feststeckten und ebenso hungerten bzw. verhungerten. In Anbetracht dieser Tatsachen sank die Kampfmoral der Soldaten – zumal sie wussten, dass die korrupten Politiker*innen in Kabul (Druglords, Warlords) währenddessen damit beschäftigt waren, Villen in Dubai und London zu kaufen.

Stellen Sie sich vor: Sie werden von Taliban-Truppen umringt, haben ihre gesamte Munition bereits verbraucht. Sie haben Luftunterstützung, Verpflegung und Munitionsnachschub angefordert – und warten seit Tagen bzw. Wochen vergeblich darauf. Was tun Sie?

Die Taliban-Strategie bestand darin, das ganze Land gleichzeitig anzugreifen und die leicht zu erobernden Positionen zu umzingeln. Hier muss erwähnt werden, dass mindestens die Hälfte des Landes bereits seit Jahren faktisch unter der Kontrolle der Taliban stand. Das bedeutet, dass diese Bereiche von ihnen kontrolliert und besteuert wurden.

Die Spezialeinheiten und die Luftwaffe waren schon lange überfordert und zahlenmäßig unterbesetzt, konnten bestimmte Regionen also überhaupt nicht unterstützen. Die Regierung konzentrierte sich darauf, große Städte zu verteidigen – was jedoch bedeutete, dass alle anderen kleinen Kontrollpunkte und Stellungen realistischerweise zum Scheitern verurteilt waren.

Würden Sie versuchen, für sich und Ihre Familie einen Kapitulationsvertrag auszuverhandeln? Würden Sie sich und Ihre Familie opfern für Politiker*innen, von denen Sie genau wissen, dass sie jederzeit in ein Flugzeug steigen und das Land zurücklassen können – und würden?

Einige Soldaten kämpften tatsächlich bis zum letzten Atemzug. Einige haben mit den Taliban einen Deal geschlossen. Einige wechselten die Seiten und traten den Taliban bei. Hier muss man wissen: Die Taliban sind vieles, aber nicht korrupt – was wiederum für viele junge Männer eine Art Sicherheit darstellt. Die Taliban haben nämlich wahrlich nicht die Herzen der Bevölkerung erobert – die Kabuler Korruption hat den Afghan*innen die Entscheidung abgenommen. (Mindestens ein Drittel der US-Gelder kam nachweislich nicht an, sondern landete in den privaten Taschen der afghanischen Regierungsmitglieder. Bei einem Budget von einigen Billionen US-Dollar kann man nur erahnen, welche unvorstellbaren Summen das waren.)

Nach vielen Opfern und einem erbitterten Kampf für die Polizei, die Spezialeinheiten und die Luftwaffe verlor die afghanische Armee. Aber sie kämpfte.

Mirwais Wakil ist Außenpolitikexperte und schreibt gerade seine Dissertation an der Universität Wien. Er hat Politikwissenschaft, Soziologie, Wirtschaft und Internationale Beziehungen studiert, unter anderem an der London School of Economics und Princeton.

Titelbild: APA Picturedesk

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14 Kommentare

  1. Hoffentlich lesen das auch jene die die afghanischen Männer als Fahnenflüchtlinge bezeichnen und behaupten ein echter Mann würde für sein Land kämpfen, während sie selber allerdings fett und faul auf dem Sofa liegen und sich vom Frauchen bedienen lassen. Übrigens ist schon wieder jede Menge Fake unterwegs. Fotos vom Laderaum eines Flugzeuges mit jungen Männern die gerade nach Europa fliegen….allerdings ist das Foto schon einige Jahre alt und der Flug ging nicht nach Europa. Außerdem ein Foto das nur den hinteren Teil eines Flugzeugladeraumes zeigt wo die Männer beieinander sitzen während man den vorderen Teil mit den Frauen nicht zeigt. Irgendwas davon scheint die FPÖ zu verbreiten.

  2. “Das totale Dämonisieren der Taliban ist falsch”
    Reinhard Erös engagiert sich schon seit 30 Jahren in Afghanistan. Mit seiner Initiative “Kinderhilfe Afghanistan” hat er in den letzten 20 Jahren 30 Schulen in von Taliban dominierten Provinzen gebaut – mit Zustimmung und Unterstützung der Mullahs. Er ist überzeugt, dass Mädchen weiter zur Schule gehen können.
    Seit die Taliban die Macht in Kabul übernommen haben, fliehen viele Menschen aus Angst vor einer erneuten Schreckensherrschaft. Wie ist die Lage im Osten des Landes, wo die Kinderhilfe Afghanistan 30 Schulen betreibt?
    Im Osten des Landes ist es ruhig, da herrscht ganz normales Geschäftsleben. Unseren knapp 2000 einheimischen Mitarbeitern geht es gut, sie arbeiten ganz normal weiter.
    Dieses Gebiet ist seit langem eine Hochburg der Taliban. Seit 2002 hat die Kinderhilfe dort Schulen für rund 60.000 Schülerinnen und Schüler gebaut.
    https://www.welt-sichten.org/artikel/39219/das-totale-daemonisieren-der-taliban-ist-falsch

  3. Sind die Taliban nicht korrupt? Wenn darunter Bestechlichkeit verstanden wird, vielleicht, kann aber noch kommen. Die Grünen standen auch einmal für Anstand.
    corruptio bedeutet aber auch Verdorbenheit. Es steht auch für den Missbrauch einer Machtstellung. Wenn die Taliban zuerst versprechen, sie werden “Kollaborateure” nicht suchen, es aber dann doch tun, dann ist das für mich nicht gerade redlich.

    Allerdings: Auch wegen des Drohnenkriegs der Alliierten gelten in Afghanistan die Taliban nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Retter.
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=75405

  4. Korruption ist unter der Fuchtel der Taliban auch nicht mehr möglich.
    Niemand hat mehr Ambitionen ein Hotel zu bauen und braucht folglich auch keine Genehmigung, btw. hat sowieso Keiner mehr Geld, the winner takes it.

  5. Nun ja, da gab es doch schon mal eine “Armee”, bei der man sich anschließend fragen musste, wo war die eigentlich? Gab es die überhaupt, haben die gekämpft?

    Ich sage jedenfalls DANKE für diesen Kommentar, ZZ, das erscheint mir deutlich näher an der Realität zu sein als das, was ich sonst so medial serviert bekomme.
    Ich bin jedenfalls für alles dankbar, das über schwarz-weiß hinausgeht. Ob jetzt Taliban wirklich niemals nicht korrupt sind weiß ich zwar nicht, andererseits kenne ich so manchen Gauner, der an sich im Kern ehrlicher und verlässlicher ist als jeder (Grün-)Politiker…..

    Die Armee, die ich eingangs meinte, ist übrigens “unsere”. Damals. Beim beklatschten “Einmarsch” der Wehrmacht in Österreich. Daran möge man sich hier erinnern, bevor man die Afghanen zu Feiglingen stempelt.

    Ich wünsche diesem Land und den Menschen vor allem Frieden. Egal unter welcher Herrschaft. Die Nato hat ihn jedenfalls nicht gebracht, eher im Gegenteil.

    • Ja eine k&k Armee im senilen Halbschlaf aus dem vorigen Jhd., eine Ständestaat Polizei und die H-Jugend durfte Wehrlose verprügeln.
      Die Furcht das geschrumpfte Österreich alleine keine Chance hat.
      Ja die Bereitschaft zum Anschluss war da. Es gab aber auch Widerstand, der mit Zivilcourage dagegen auftrat, die saßen größtenteils hinter Gitter.

      Afghanistan ist aber ganz anders. Familien-Clans mit hierarchischer mafiöser Hierarchie, und da gibt es dutzende und ebensoviele Führer.

  6. “Die ausländischen NATO/US-Truppen bildeten die afghanische Armee lediglich an gesicherten Stützpunkten aus und unterstützten sie während ihrer Kämpfe aus der Luft.”

    Ah ja. Und da wurden keine Bomben geworfen, keine Drohnen haben Hochzeitsgesellschaften exekutiert. Alles rein pazifistische Beobachtungsflüge, um den unabhängigen Journalisten erstklassige Bilder aus der Kriesenregion zu liefern?

    • Durch die Wikileaks-Veröffentlichung wurde sichtbar, wie viele Opfer der Krieg in Afghanistan bis dahin gefordert hatte, dass es sich bei den Opfern oftmals um Zivilisten, viele von ihnen Kinder, handelte. Auch die Einschätzung einiger westlicher Militärs, dass man den Konflikt nicht gewinnen könne, wurde offengelegt. Die Dokumente waren und sind authentisch und niemals wurden Zweifel an deren Echtheit gehegt.
      Der Fall von Kabul und der Fall Assange
      https://www.nachdenkseiten.de/?p=75305

  7. Und geflohen sind wieder die Falschen, die Kriegsgewinnler und Waffenschieber und die Drogenkönige sind verschwunden und geschützt worden von den US Kräften wie auch von den Deutschen. Und von wegen Kämpfen mit dem Schlaf haben sie gekämpft und auch dieser Kampf wurde verloren. 65 km in zwei Kampftagen ist nicht möglich wenn da auch nur ein paar gekämpft hätten, noch dazu in Schlapfen und Turban.

    • Wir können uns 65 km gehen in 2 Tagen plus Kämpfen nicht vorstellen und wahrscheinlich auch nicht durchhalten.
      ,Menschen, die nicht verweichlicht sind durch unseren “way of life “, durch die kapitalistisch geprägte Entwicklung zu motorisch verkümmerten Wesen, verf0gen über eine ausserordentliche Kondition und sind durchaus in der Lage weite Strecken mit ” Schlapfen ” zu gehen und wenn nötig zu kämpfen.
      Eigentlich könnten wir von Afrikanern und Arabern und natürlich auch Afghanen eine Menge lernen.
      1 Beispiel: vor 2 oder 3 Jahren in Paris,
      drohte ein kleines Kind vom Balkon im 5. Stock abzustürzen.
      Die Franzosen fertigten zig Handyvideos von der Gefahrensituation an.
      Ein afrikanischer Flüchtling kletterte die Fassade rauf und rettete das Kind.

    • Wusste gar nicht, dass sie dabei waren. Was sie alles wissen oder glauben zu wissen. Echt erstaunlich. Darf ich fragen, ist ihre “Informationsquelle” die FPÖ?

  8. Dieser detaillierten Beschreibung der Situation in Afghanistan muss man entnehmen, dank der nicht korrupten Taliban kehrt nun endlich Ruhe ein im Land und die Korruption sinkt auf Null. Daher kann und muss die USA samt ihrer Nato-Verbündeten unverzüglich mit Hilfslieferungen beginnen, ruhigen Gewissens kann man sagen, das kommt tatsächlich alles eins zu eins bei den Einheimischen an. Weiters müssen mit den nicht korrupten Taliban verbindlich landesweit praktisch luftdicht geschlossene Grenzen vereinbart werden. Jetzt wird jeder einzelne Afghane im eigenen Land dringend gebraucht, besonders auch die Frauen, die Männer brauchen bekanntlich nach harter Arbeit ein warmes Essen. Es kann alles so schön werden in Afghanistan, wenn die Bevölkerung endlich auch mal selber anpackt und nicht ständig zu uns ins Sozialparadies flüchtet. Sonst werden wir am Ende noch selbst zu Afghanistan……

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