Deutsche Ermittler setzten insgeheim Spionagesoftware ein
Die Verwendung der mächtigen Spionagesoftware „Pegasus“ im deutschen Bundeskriminalamt (BKA) ist aufgeflogen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) will davon nichts gewusst haben.
Wien/Berlin, 08. September 2021 | Jetzt ist es offiziell: Deutschland hat die Spionagesofware “Pegasus” eingesetzt. Nach mehreren unbeantworteten Anfragen aufgrund von „staatswohlbegründeten Geheimhaltungsinteressen“ sorgte die geheime Tagung des deutschen Innenausschusses, an dem auch Oppositionspolitiker beteiligt sind, am Dienstag für Aufregung. Die Vizepräsidentin des Bundeskriminalamts (BKA), Martina Link, ließ damit aufhorchen, dass die hochumstrittene Spionagewaffe „Pegasus“ auch in Deutschland zum Einsatz gekommen war. Das berichteten deutsche Medien.
Pegasus ist eine Spionagesoftware, die Apple- und Android-Handys infizieren und dort auf sämtliche Daten zugreifen kann. Pegasus kann von sich aus Kamera und Mikrofon einschalten. Ermittler können sowohl live Unterhaltungen mitverfolgen, als auch Daten absaugen. Verschlüsselungssoftware ist gegen Pegasus wirkungslos, weil die Software Nachrichten bereits abgreift, bevor sie verschlüsselt werden. Der Trojaner kann ohne Zutun des Handynutzers aus der Ferne installiert werden. Bemerkt das Programm, dass nach ihm gesucht weird, kann es sich selbst wieder löschen. Und: Das israelische Unternehmen NSO, das Pegasus verkauft, kann genau nachvollziehen, wer was mit der Software tut.
Laut deutschem Recht ist der Einsatz so eines Werkzeugs illegal. Link zufolge habe das BKA mit einer schwächeren Version der Überwachungssoftware gearbeitet, die mit deutschem Recht vereinbar sei. Oppositionspolitiker von den Grünen, der FDP und Die Linke bezweifeln das. Das BKA greift auf Pegasus zurück, weil die Entwicklung eines eigenen Staatstrojaners misslang. Die Entwickler scheiterten an den Hürden, die von den Handy-Betriebssystemen aufgestellt werden. In anderen Staaten wurde Pegasus zu illegalen Zwecken eingesetzt. Ungarn wird verdächtigt, mit der Software kritische Journalisten auszuspionieren. Der von Saudi-Arabien getötete Journalist Jamal Khashoggi wurde vor seiner Ermordung mittels Pegasus überwacht.
Wer hört noch zu?
Ob weitere Dienste mit der Cyberwaffe spionierten, bleibt vorerst unklar. Auf ZackZack-Anfrage bei „Die Linke“ und „Bündnis90/Die Grünen“ hieß es, dass man das noch nicht wisse. Konkret geht es um den Militärischen Abschirmdienst, den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, sowie das Zentrum für Cyber-Operationen der deutschen Bundeswehr. Österreichs Verfassungsministerin Karoline Edtstadler erklärte im Juli, dass Pegasus ihres Wissens in Österreich nicht eingesetzt werde.
In Erklärungsnot ist nun Deutschlands Innenminister Horst Seehofer (CSU). Denn laut Angaben des BKA war das Innenministerium über den Kauf des israelischen Spionagetools informiert gewesen. Der Minister selbst will davon jedoch nichts mitbekommen haben. Demzufolge habe sich das BKA selbstständig dazu entschieden, Pegasus zu kaufen.
Entsetzen bei der Opposition
Für den Grünen-Politiker Konstantin von Notz ist die Anschaffung der Cyberwaffe ein „Alptraum für den Rechtsstaat“. Er wolle, ähnlich wie der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall, wissen wer „konkret die Verantwortung für den Kauf und den Einsatz der Spionage-Software trägt“ – eine offensichtliche Kritik an Innenminister Seehofer, der nun „die Karten auf den Tisch“ legen müsse. Für den FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser ist die Kooperation der „Bundesregierung und ihrer Sicherheitsbehörden mit der NSO Group naiv und gefährlich“. Die Vizevorsitzende der Linken, Martina Renner, stellte schon in der Vergangenheit Anfragen bezüglich Pegasus an die Sicherheitsbehörden. Sie vermutet, dass man das Parlament „bewusst im Unklaren“ lassen wollte. Die Irreführung prangerte auch von Notz an: „Auf entsprechende parlamentarische Nachfragen verweigerte die Bundesregierung dennoch die Antwort und versuchte sich über den Wahltag zu retten. Mit dieser Abwehrposition ist sie krachend gescheitert. Wir verlangen vollständige Aufklärung.”
(dp/tw)
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