Samstag, April 20, 2024

Wie die Wikipedia-Seite des Grazer ÖVP-Bürgermeisters immer »schöner« wurde

Aus Kritik wird Lob

In 11 Tagen wählt Graz. Bereits ein Jahr vor der Wahl startete eine intensive Änderungsserie der Wikipedia-Seite des Grazer ÖVP-Bürgermeisters Siegfried Nagl. Kritikpunkte wurden gelöscht. 

Wien/Graz, 15. September 2021 | Der Wikipedia-Eintrag des Grazer ÖVP-Bürgermeisters Siegfried Nagl wurde seit Ende September 2020 immer wieder “verschönert”. Kritikpunkte sind nach und nach verschwunden, dafür kamen „positive“ Geschichten über seine Politik hinzu.

Löschung von brisanten Affären

Es begann am 29. September, als die Nutzerin “Kerstin.schreibt” den ersten Absatz auf Siegried Nagls Wikipedia-Seite verschwinden ließ. Der Absatz war unter „3. Kritik“ zu lesen und behandelte die sogenannte „Babel-Affäre“. 2016 waren zwei „langjährige, engste Vertraute Nagls“, wie die „Krone“ damals geschrieben hatte, zu neun Monaten bedingter Haft verurteilt worden. Von der Telekom sollen 120.000 Euro an Claudia Babel, Nagl-Vertraute, geflossen sein. Nagl hatte vehement bestritten, dass von der Telekom Geld an die Grazer VP geflossen war. Der Bürgermeister war aufgrund der Affäre damals enorm unter Druck gestanden.

Dieser Eintrag ist seit bald einem Jahr gelöscht.

Nur etwa drei Stunden, nachdem der Eintrag über Babel entfernt wurde, ergänzte der Nutzer “SissysWelt” den Eintrag um für Nagl weit angenehmere Details. Einen Tag später ergänzte genau jene Benutzerin, die die „Babel-Affäre“ entfernt hatte, die Seite noch um „weitere Projekte, die während seiner Amtszeit umgesetzt wurden“.

“Kerstin.schreibt” und “SissysWelt” löschten Kritik, ergänzten aber “Nagl-Erfolge”.

Eine Woche später unternahm dieselbe Benutzerin zahlreiche (gut meinende) Änderungen auf Nagls Seite. Die zweite äußerst aktive Userin „Sissys Welt“ löschte dann den nächsten Kritikpunkt. Hier ging es um Nagls Ehefrau und ihre Immobiliengeschäfte, für die auch der Bürgermeister immer wieder in der Kritik gestanden war.

Auch dieser brisante Eintrag ist auf Wikipedia seit fast einem Jahr verschwunden.

Wenig später sollte auch der Eintrag zu Kritik an der Grazer Bewerbung für die Olympischen Spiele gelöscht werden, „da die Spiele in Mailand stattfinden werden“, so die Benutzerin „Kerstin.schreibt“. Dann mischten sich aber andere Nutzer ein und holten den Absatz wieder zurück.

Komplette Kritik gelöscht

Das „Match“ um Nagls Seite fand im Dezember seinen Höhepunkt: Ein neuer User löschte gleich das gesamte Kapitel „Kritik.“ Warum? „Da auch andere namenhafte PolitikerInnen wie z. B. Hermann Schützenhöfer, Sebastian Kurz oder Angela Merkel keine Kritik in ihren Artikeln stehen haben“, schrieb damals  „LinaLechnerwald96“, die zum ersten Mal überhaupt in Nagls Seite eingriff. Aktive User schützen die Seite regelmäßig. Der Absatz zur „SA Immobilien“ blieb allerdings unten.

Alle drei User, die Nagls Wikipedia-Seite fleißig „aktualisiert“ haben, sind mittlerweile gelöscht. Um wen es sich dabei gehandelt hat, etwa ehrenamtliche Bürgermeister-Fans oder doch andere, konnte ZackZack bisher nicht mit Gewissheit feststellen.

AfD-Praxis

Dass die Änderung von Nagls Seite nicht von wohlwollenden ÖVP-Wählern kommen könnte, ist zwar durchaus vorstellbar. Im brisanten türkisen Geheimpapier „Projekt Ballhausplatz“ wird jedoch explizit erwähnt, dass Wikipediaeinträge vorbereitet werden sollen. Dass „verdeckte PR“ auf Wikipedia betrieben wird, ist bereits durch Studien belegt.

Die Tilgung negativer Einträge erinnert an Helfer der „Alternative für Deutschland“ (AfD). So berichtete die „Frankfurter Rundschau“ 2017 über intensive Manipulation von AfD-Wikipedia-Seiten. Diese AfD-Praxis könnte sich bis Graz durchgesprochen haben.

(ot)

Titelbild: APA Picturedesk

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34 Kommentare

  1. Das überrascht jetzt nicht wirklich.
    Ist es ja in vielen Belangen schon so abstrus geworden. Wir leben wohl in der Welt der Selbstdarsteller und Poser, die es lieben sich immer nur Darzustellen und Nabelschau zu betreiben. Siehe der/die/das oder diverse Bearbock.

  2. Nichts ist leichter als einen Wikipedia-Eintrag zu manipulieren. Dafür gibt’s schon professionelle Ghostwriter von China bis Rumänien, die das für wenig Honorar erledigen.

    • Besonders, was die PC-Themen zwecks Chaos betrifft, etwa Klimakrise, Flüchtlingskrise, Coronakrise …

  3. Geschichtsfälschung also. Bei Wikipedia wird es deutlich. Das Internet und die entsprechenden Foren (Newsgroups ganz am Anfang der 90iger Jahre) waren offene Systeme. Offen für jeden, der sich die Technik aneignete, offen für jeden, der sich einbringen konnte/wollte. Der Austausch war offen und jeder war gleichwertig.

    Heute gibt es viele geschlossene Gruppen, offene Auseinandersetzung wird dadurch schwierig. Vor allem sind es aber politische und wirtschaftliche pressure groups, die mit entsprechendem Geld eine Marktmacht ausüben, die auch den Meinungsmarkt geschlossen hat. Auch mit fieser technischer Unterstützung (Daten sammeln und gezielte Trigger an die Leute schicken).

    In 30 Jahren Internet erleben wir eine Wiederholung, was mit der freien Marktwirtschaft passierte. Auch sie ging (und geht in der Theorie immer noch) von der Gleichwertigkeit der Teilnehmer aus. Wo das nicht der Fall ist, endet die Freiheit.

    ÖVP ist offensichtlich vorne dabei, Freiheiten zu zerstören.

  4. Wer der Wikipedia in geopolitischen Dingen noch glauben schenkt ist selbst schuld …

    … da kann man auch gleich in den versifften Online-Pranger Psiram reinschaun …

  5. WIKIPEDIA hat eine Armee die das Löschfieber hat. Die Wahrheit wird sehr oft unterdrückt.

  6. Die KPÖ in der Steiermark ist für die Menschen da. Nagel für seine Freunde. Erst kürzlich gab es einen Aufschrei, weil er einen Posten ohne Ausschreibung vergeben haben soll?

  7. Wikipedia ist seit Jahren zunehmend in kontroversen Themen ein völlig unbrauchbares Medium geworden, systematische Manipulation ist dort sehr üblich. Insbesondere werden politische Gegner und unliebsame abtrünnige Mainstream Journalisten systematisch fertiggemacht, als Nazis, Antisemiten oder zumindest “Rechte” diffamiert. Sehr empfehlenswert: Geschchten aus Wikihausen, Aufdeckung vieler solcher Fälle: https://wikihausen.de/

    • Ja, den Link wollte ich auch schon anbringen…….

      DAS mag ich wiederum sehr an den Menschen. Es gibt für alles einen “Spinner” (im absolut positiven Sinn), der bohrt und bohrt, sobald er über etwas gestolpert ist…….

      Wikihausen ist ein Beweis, wie sinnvoll das sein kann.

    • Diesen Link wollte ich auch gerade posten. Gut, dass ich Ihren noch vorher gesehen habe und die Antwort von Prokrastinator.

    • Erinnere mich an die bio eines roten. Was es gusi? Totaler nonsense auf wiki.
      Und zum drüberstreuen: jüngst bekam der linke typ noch den höchsten parteiorden.

  8. Ja, liebes ZZ-Team, da seid Ihr auf der richtigen Spur.

    Schaut Euch doch auch mal an, wie die Wiki-Seiten von Wissenschaftern seit 2020 immer unschöner werden, sobald sie dem Corona-Mainstream-Narrativ widersprechen…….

  9. Wikipedia ist notorisch für das Ändern von Artikeln und das Zurechtbiegen gewisser Inhalte. Leider werden viele schon von Schule und Studium her an Wikipedia als alleinige Quelle gewöhnt und machen sich meist nicht einmal die Mühe, die in den Artikeln angegebenen Quellen selber zu studieren. Der Spin zur AfD ist richtig, aber einseitig; auch viele andere Gruppierungen manipulieren Artikel in eine ihnen genehme Richtung.

  10. Warum wundert mich das alles nicht mehr?
    Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
    Die ÖVP ist sakrosankt!

  11. Aber Wikipedia ist doch das Nonplusultra an Information und Korrektheit, Es ist doch die “Bibel” der Unwissenden.

  12. Man muss beim durchlesen schon fast lachen: Gibt es eigentlich irgendeinen ÖVP Politiker der nicht irgendwo mit drinhängt?

  13. man kann nur hoffen, dass die grazer dieser figur eine ordentliche rechnung präsentieren.

    in graz gibt es mit der kpö ja wirklich eine wählbare alternative, für die man sich nicht schämen muss.

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