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Top oder Flop? Was die Steuerreform wirklich bringt

Was die Steuerreform wirklich bringt

Die „größte Steuerentlastung der Zweiten Republik“ sollte es werden und ganz nebenbei noch das Klima retten. Wie viel Wahrheit steckt hinter der Regierungs-PR?

Wien, 04. Oktober 2021 | Am Sonntag präsentierte die Regierung die Eckpunkte einer Steuerreform. Eingegriffen wird in drei Bereichen: Der Lohnsteuer, der Gewinnsteuer für Unternehmen und dem Preis für CO2.

Während die Regierungsparteien und Konzernvertreter feiern, lassen Opposition, Umweltschützer und Arbeitnehmervertreter kein gutes Haar an der Reform. Was kommt auf uns zu? Wer gewinnt? Wer zahlt drauf? Alles, was man über die Steuerreform wissen muss:

Einkommenssteuer

Ab Juli 2022 wird der Steuersatz der zweiten Einkommensstufe von 35 auf 30 Prozent sinken, ein Jahr später die dritte Stufe von derzeit 42 auf 40 Prozent. Kleine Einkommen werden nicht entlastet, auch bei den höchsten Stufen bleibt alles, wie es ist. Laut Berechnungen des Momentum Instituts profitieren davon vor allem die Besserverdienenden.

Bei Einkommen bis 2.600 Brutto werden die Krankenkassenbeiträge sinken, im besten Fall um 1,7 Prozent. SPÖ-Budgetsprecher Jan Krainer sieht in der Senkung der Kassenbeiträge ein Problem: Es sei zwar richtig, jene zu entlasten, die keine Einkommenssteuer zahlen, Krainer fehlt aber die Gegenfinanzierung. Wenn nun weniger in die Krankenkassen eingezahlt wird, die Regierung das Minus aber nicht aus dem Budget ersetzt, bliebe schlicht weniger Geld für das Gesundheitssystem. Wiens Bürgermeister Miachel Ludwig befürchtet, dass die Länder einspringen müssen, wenn in der Gesundheitsversorgung das Geld fehlt.

Ab 01. Juli 2022 wird außerdem der Familienbonus erhöht, und zwar von 1.500 auf 2.000 Euro pro Kind jährlich. Der Kinderbonus für Alleinerzieherinnen wird ausgeweitet. Krainer: „Früher war dank Familienbeihilfe jedes Kind gleich viel wert.“ Der Familienbonus ist aber eine Steuerrückzahlung. Jenen, die keine oder wenig Einkommenssteuer zahlen – den Ärmsten – nützt er nichts. Sie bekommen statt 1.500 bzw. künftig 2.000 Euro einen Pauschalbetrag von maximal 250 Euro. Wer arbeitslos ist, bekommt nichts. Das beträfe laut Krainer künftig ein Viertel aller österreichischen Kinder. „Die Kinder eines Ministers bekommen das Maximum, die Kinder einer Supermarktangesstellten ein Bisserl etwas.“, stellt Krainer fest.

Kalte Progression

Kritik kommt auch von wirtschaftsliberaler Seite. Beim Think Tank Agenda Austria hält man die Lohnsteuersenkung für eine Mogelpackung. Die „Entlastungen“ seien von den Steuerzahlern durch die Kalte Progression bereits „vorfinanziert“ worden, sagt Ökonom Dénes Kucsera. Die Kalte Progression entsteht, wenn Gehälter durch die Inflationsanpassung steigen, ohne dass sie real mehr wert werden. Trotzdem werden mehr Steuern fällig.

Auf diese Art und Weise holt sich das Finanzministerium ohne Gesetzesänderung von den Bürgern das, was es dann Jahre später durch eine Steuerreform wieder zurückgibt. Viele bekämen nun nicht einmal zurück, was sie zuvor durch die Kalte Progression verloren, sagt Kucera. Nach Berechnung von Agenda Austria bleibe für Bezieher von Einkommen um 2.000 Euro brutto unterm Strich sogar ein Minus von 200 Euro jährlich. „Der Großteil der Steuersenkung verpufft“ laut Kucera.

Ins selbe Horn stößt NEOS-Wirtschaftssprecher Gerald Loacker. Den Steuerzahlen werde „nicht einmal das, was der Finanzminister ihnen in den Jahren davor aufgrund der Kalten Progression aus der Tasche gezogen hat“ zurückgegeben. Dass die „Kalte Progression nicht angegangen wird“, sei „ein Armutszeugnis“, findet Loacker. Von einer „Verhöhnung der Steuerzahler“ spricht NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Der Mittelstand schaue „durch die Finger“, durch Inflation und Kalte Progression würden die Maßnahmen „verpuffen“.

Auch der Budgetdienst des Parlaments hatte davor gewarnt, dass die geplanten steuerlichen Maßnahmen in vielen Fällen die Einkommensverluste durch die kalte Progression nicht ausgleichen würden.

Eine „Prüfung“ der Abschaffung der Kalten Progression ist übrigens Teil des Regierungsprogramms von Türkis-Grün. Wie viele Regierungen zuvor plant aber auch die aktuelle Koalition nicht, den schleichenden Einkommensverlust tatsächlich abzuschaffen.

Milliarden für Konzerne

Ganze 700 Millionen Euro im Jahr bekommen Unternehmen: Die Körperschaftssteuer (KÖSt) ist für Unternehmen das, was für Arbeitnehmer die Einkommenssteuer ist. Von 25 Prozent wird sie bis 2024 auf 23 Prozent gesenkt. Das ist mit Ausnahme Skandinaviens der niedrigste Steuersatz für Unternehmen in Westeuropa. Zum Vergleich: In Italien fallen 24 Prozent an, in den Niederlanden 25, im Nachbarland Deutschland sind es 30 und in Frankreich sogar 33 Prozent.

Zugute kommt das vor allem den Großkonzernen. Fast 60 Prozent der heimischen Unternehmen zahlen fast keine KÖSt, entweder, weil sie der Einkommenssteuer unterliegen, oder keine Gewinne erwirtschaften. 80 Prozent dieser Steuer werden von nur fünf Prozent der Unternehmen geleistet. Diese obersten fünf Prozent haben am meisten von der Senkung. Nur 14 Prozent der rund 370.000 Unternehmen Österreichs haben überhaupt etwas von der KÖSt-Senkung.

Von einem „milliardenschweren Steuergeschenk an Großkonzerne“ spricht Arbeiterkammerchef Johann Kalliauer. Fast wortgleich äußerte sich Attac-Pressesprecher David Walch: „Die Steuerreform ist ein Riesengeschenk für Besserverdienende, Konzerne und Vermögende.“. Die Industriellenvereinigung zeigt sich hingegen zufrieden: Es seien „die richtigen Schritte“ gesetzt worden. Jan Krainer sieht das anders: Die Großkonzerne machten aktuell wieder Gewinne wie vor der Coronakrise. Dass sie nun angesichts der Frage, wer die Kosten der Krise bezahlen müsse, ein Steuergeschenk bekämen, ist für Krainer „nicht nachvollziehbar“. Denn die Konzerne würden jetzt schon zu wenig bezahlen.

Rechne man Steuerzuckerl wie Forschungsprämie und Gruppenbesteuerung ein, läge die effektive Steuer für österreichische Großkonzerne sogar noch unter dem skandinavischen Niveau – nirgends in Westeuropa zahlten Konzerne schon jetzt so wenig wie in Österreich.

Auch SPÖ-Klimasprecherin Julia Herr hält die rund 700 Millionen Konzern-Ersparnis für schlecht investiertes Geld. Statt den größten Unternehmen hunderte Millionen zu schenken, hätte man das Geld lieber in Infrastruktur investieren sollen, sagt Herr. Allein Österreichs „klimaschädlichster Konzern“, die OMV, spare sich dank der KÖSt-Senkung zehn Millionen Euro pro Jahr.

CO2-Steuer

Apropos Klima: Für die Grünen besonders wichtig ist die Einführung einer Steuer auf CO2. Ab Juli 2022 fallen pro Tonne des freigesetzten klimaschädlichen Gases 30 Euro an. Bis 2025 soll der Preis auf 55 Euro steigen. Umgesetzt wird das über einen höheren Preis auf Sprit und fossile Brennstoffe fürs Heizen.

Zu wenig, finden Umweltschutzorganisationen. Greenpeace-Sprecherin Sophie Lampl sagt, die geplante CO2-Steuer habe „keine Wirkung auf den Klimaschutz“. Selbst in der maximalen Ausbaustufe werde die Steuer „an den Tankstellen nicht bemerkbar sein“. Um 8,8 Cent je Liter wird der Spritpreis anfangs steigen. Tatsächlich sind marktbedingte Schwankungen häufig höher. So stieg der Benzinpreis seit Jahresbeginn um 22 Cent – ganz ohne Steuererhöhung. Weniger gefahren wird deshalb nicht. Allein das Dieselprivileg – also die steuerliche Bevorzugung von Diesel gegenüber Benzin – bleibt mit 8,5 Cent pro Liter praktisch so hoch wie die geplante Steuer. Das, obwohl Grünen-Verkehrsministerin Leonore Gewessler auf eine Abschaffung des Privilegs gepocht hatte – sie aber nicht bekam. Etwa 700 Millionen Euro entgehen dem Staat durch das Privileg Jahr für Jahr an Mineralölsteuer. Die Sprecherin des Klimavolksbegehrens, Katharina Rogenhofer, geht mit dem Reformpaket hart ins Gericht: „Die türkis-grüne Regierung hat mit ihrem vielzitierten Prestigeprojekt eine Greenwashing-Meisterleistung geliefert.“

Für Grünen-Vizekanzler Werner Kogler ist die neue Steuer dennoch ein Erfolg. Zum ersten Mal werde ein Preis auf CO2 Teil des Steuersystems und das sei „unumkehrbar“, erklärte Kogler am Montag im Ö1-Morgenjournal. SPÖ-Budgetsprecher Jan Krainer verweist hingegen auf die Mineralölsteuer. Die liegt derzeit bei knapp 40 Cent je Liter Benzin. Kogler ist trotzdem stolz: „Als eines der wenigen Länder“ in der EU habe Österreich eine CO2-Steuer eingeführt. Das stimmt allerdings nicht. Tatsächlich ist Österreich das 14. Land der Union, das eine solche Steuer einführt. In anderen Ländern gibt es sie schon seit Jahrzehnten.

Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbands, schließt sich der Kritik von Greenpeace an: Die Steuer sei so niedrig, dass sie den „erwünschten Lenkungseffekt nicht erzielen“ werde. Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel betonten auch, dass niemand die zusätzliche Steuer spüren solle. Für Kogler ist die Einführung einer CO2-Steuer allerdings eine Frage des Prinzips. Die Reform bringe einen „völligen Systemwechsel“.

Das sieht auch die FPÖ so, ist darüber aber nicht glücklich. Umweltsprecher Walter Rauch sieht in der CO2-Steuer „ein trojanisches Pferd, das in Zukunft massive Mehrbelastungen bringen wird“, so Rauch. FPÖ-Budgetsprecher Hubert Fuchs erklärte, das von Türkis-Grün vorgelegte Paket entspräche jenem, das er selbst mit Ex-ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger ausverhandelt habe.

Weniger die geringe Höhe als vielmehr der Mangel an Alternativen zum Auto ist für Julia Herr das Hauptproblem an der neuen Steuer. Ein CO2-Preis könne nur funktionieren, wenn man überhaupt vom Auto auf andere Verkehrsmittel umsteigen könne. Insgesamt sieht Herr im „Gesamtpaket“ keine Verbesserung für das Klima. Sie hätte sich statt der vorgestellten Reform „Investitionen in klimafreundliche Infrastruktur“ gewünscht.

Wiener bekommen am Wenigsten

Eine Besonderheit bei der CO2-Steuer stellt der „Regionalbonus“ dar. Die Einnahmen aus der Steuer sollen nicht ins Budget wandern, sondern in Form eines „Klimabonus‘“ wieder an die Bevölkerung zurückgezahlt werden. „Was bei der CO2-Bepreisung reinkommt, wird sofort wieder ausgeschüttet“ verspricht ÖVP-Regionalsprecher Nikolaus Berlakovich. Je nach Wohnort erhalten Personen 100-200 Euro – weniger in den Städten, mehr auf dem Land. Rund 450 Millionen Euro jährlich werde die Stadt durch die Reform verlieren, sagt Bürgermeister Ludwig. Dazu kommt, dass die Wiener weniger “Ökobonus” bekommen, als alle anderen, denn die Bundesregierung hat die Hauptstadt als einziges Gebiet als „Klasse I-Gebiet“ festgelegt. Schon die Bewohner des wohlhabenden Wiener Vororts Mödling sollen 33 Euro mehr bekommen als ihre Nachbarn über der Stadtgrenze, ebenso die Bewohner von Graz oder Linz.

Die Regierung rechtfertigt das mit höheren Mobilitätskosten am Land. Es sei schwieriger, auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen, wenn es gar keine gebe: „In Wien ist es einfacher, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, wenn dort alle paar Minuten die U-Bahn fährt. Wir am Land sind hingegen auf das Auto angewiesen“ sagte ÖVP-Abgeordneter Andreas Kühberger.

Für SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer ist das „absurd“. Am Land seien zwar die Mobilitätskosten höher, in der Stadt hingegen die Wohnkosten – die gleiche niemand aus. In der Stadt sind 80 Prozent der Bevölkerung Mieter – und die können sich ihre Heizung nicht aussuchen. Welche Heizung in einer Wohnung verbaut wird, entscheiden die Vermieter. Die CO2-Steuer bezahlen aber die Mieter. Die Steuer könne da gar keinen Lenkungseffekt erzielen, stellt Krainer fest.

Laut Erhebung der Arbeiterkammer heizen 500.000 Mieter in Österreich mit Gas oder Öl, ohne Möglichkeit, über das verwendete Heizsystem mitzubestimmen. Das ist für die AK „unsozial“ und „ökologisch problematisch“, denn: „Vermieter haben keinen Anreiz, alte, umweltschädliche und teure Heizsysteme zu tauschen, wenn ohnehin die MieterInnen die ganzen Kosten bezahlen müssen.“

Nach Berechnungen des Momentum Instituts kommen auf einen Haushalt, der mit Gas heizt, im Schnitt 130 Euro Mehrkosten zu. Das müsse – analog zum Regionalbonus – über einen „gezielten Wohnkostenbonus“ ausgeglichen werden. Ein solcher ist aber nicht geplant.

SPÖ-Klimasprecherin Julia Herr findet es „absolut sinnlos, die Frage der sozialen Gerechtigkeit an der Postleitzahl festzumachen.“ Herr fordert stattdessen einen einheitlichen Ökobonus für alle.

(tw)

Titelbild: APA Picturedesk

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