Samstag, April 20, 2024

Spannungen zwischen EU und Polen – Kommt jetzt »Polexit«?

Kommt jetzt »Polexit«?

Nach einer Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts drohen die wachsenden Auseinandersetzungen über die Rechtshoheit in Polen das Band zwischen der EU und Warschau zu zerreißen. Das Gespenst des „Polexit“ geht bereits um.

 

Warschau/Luxemburg/Brüssel, 08. Oktober 2021 | Juristisches Säbelrasseln zwischen Warschau und Luxemburg. Nach dem jüngsten Spruch des polnischen Verfassungsgerichts verschärfen sich die Konflikte zwischen der EU und Polen. Das Verfassungsgericht in Warschau hat am Donnerstag entschieden, dass EU-Recht nicht über das polnische Verfassungsrecht zu stellen ist. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) reagierte umgehend und verurteilte den polnischen Spruch.

EU-Recht gegen Verfassungsrecht

Kern des Streits ist die Interpretation um die Rechtshoheit im östlichen EU-Mitgliedsstaat. Bisher wagte niemand, das Unionsrecht im eigenen Territorium für ungültig zu erklären. Mit dem Entscheid des polnischen Verfassungsgerichts wurde diese Linie nun erstmals überschritten. Dementsprechend groß ist die Aufregung in Luxemburg, wo der Europäische Gerichtshof seinen Sitz hat. Dass die polnischen Verfassungsrichter urteilten „die Organe der EU handeln außerhalb der Grenzen der Kompetenz, die ihnen von Polen zuerkannt wird“, wollte man beim EuGH und bei der EU-Kommission so nicht stehen lassen.

Aus Luxemburg hieß es, dass „EU-Recht Vorrang gegenüber nationalem Recht, auch Verfassungsrecht, hat“.  Die EU-Kommission schoss nach. Sie würde „nicht zögern, von ihren Befugnissen gemäß den Verträgen Gebrauch zu machen, um die einheitliche Anwendung und Integrität des Unionsrechts zu gewährleisten“, denn: „Sämtliche Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind für alle Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der nationalen Gerichte, bindend.“

Kommt jetzt der „Polexit“?

Für den Rechtsexperten René Repasi von der Erasmus Universität in Rotterdam ist die Haltung Polens eine „rechtliche Revolution“. Er sieht die Causa als „den entscheidendsten Schritt hin zu einem rechtlichen EU-Exit, den ein nationales Gericht je gemacht hat.“ Für Polen könnte der Eklat sehr teuer kommen. Denn die polnischen Krisengelder der EU sind aufgrund der anhaltenden Rechtsstreitereien noch nicht bewilligt worden. Sollte sich der Konflikt bis zu einem Polexit verschärfen, wäre das eine Niederlage für beide Seiten. Die polnische Wirtschaft zählt zu den am stärksten wachsenden in der Union, gilt aber auch als einer der größten Nettoempfänger von EU-Geldern. In Polen selbst würde die Regierung in schwierige Fahrwasser geraten, unterstützen doch Umfragen zufolge rund 80 Prozent der Polen eindeutig die EU-Mitgliedschaft.

„Es ist schwer zu glauben, dass die PiS-Regierung behauptet, sie wolle nicht aus der EU austreten. Sie handelt nach dem Gegenteil. Genug ist genug“, schrieb Jeroen Lenaers, EVP-Sprecher im Rechtsausschuss des Europaparlaments.

Für die Fraktion der Sozialisten im Europaparlament ist klar: „Ein schwarzes Szenario in Polen wird Wahrheit“.

Auch die Grünen empörten sich über das Ausscheren der polnischen Regierung: „Die Regierungen der EU dürfen nicht länger tatenlos zusehen, wie die polnische Regierung versucht, die Regeln der Demokratie umzuschreiben“

Spaltpilz Justizreform

Hintergrund der Zwistigkeiten zwischen EU und Polen ist die umstrittene Justizreform der polnischen Regierungspartei PiS rund um den Schattenkanzler Jarosław Kaczyński. Die EU verortet Verstöße gegen das Unionsrecht, weil die Justizreform die Unabhängigkeit der polnischen Judikative bedroht. Durch die neu eingeführte Disziplinarkammer könnten polnische Politiker die Absetzung unliebsamer Richter bewirken. Nach den Äußerungen der polnischen Höchstrichter stellt der EuGH auch die Unabhängigkeit des polnischen Verfassungsgerichtshofs infrage.

(dp)

Titelbild: APA Picturedesk

DanielPilz
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Taucht gern tiefer in komplexe Themengebiete ein. Lebt trotz Philosophiestudiums nicht im Elfenbeinturm und verpasst fast kein Fußballspiel.
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10 Kommentare

  1. ich werde diesen klerikalextremisten keine träne nachweinen
    ungarn kann gleich nachziehen

  2. Nachdem sich immer mehr herausstellt, dass die EU nur ein geschützter und von der Allgemeinheit subventioneierter Markt für die Deutschen ist, die wiederum den USA hörig sind, eine idologische Spielwiese für einige weltfremde Phanstasten ist und für die Beitrittsländer nur ein Vehikel zur Sanierung ihrer Staatschulden ist, wird die EU nie das werden, was sie eigentlich sein sollte und von allen verlassen werden, die das realisiert bzw. sich sattgegessen haben. Schade darum.

  3. Bravo Polen!
    Endlich widersetzt sich endlich mal ein Land diesem zentralistischen Terror. Diesem EuGH kann man sowieso nicht trauen. Zu oft hat er bereits Entscheidungen gegen die Interessen der Europäer getroffen.

    Grüninnen: “Die Regierungen der EU dürfen nicht länger tatenlos zusehen, wie die polnische Regierung versucht, die Regeln der Demokratie […] umzuschreiben” – Ist schon interessant, was Grüninnen unter einer Demokratie verstehen.

  4. Wie lange lässt sich die EU noch von den Abzockern aus dem Osten auf der Nase herumtanzen.

    Keine Förderungen mehr und hinausschmeissen aus der EU. Würde die EU langfristg wirtschaftlich massiv stärken.

    Derzeit profitieren nur ganz wenige Wirtschaftszweige von den (NOCH) – EU Ländern Polen, Slowenien und Ungarn.

    • der basti kann in den visegrad staat auswandern und dort das ruder übernehmen

  5. Das ist nicht die einzige Seite von der die EU bald sehr heftigen Gegenwind erfahren wird.

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