Donnerstag, April 25, 2024

»Alarmsignal über das Land hinaus« – Internationale Presse über Regierungskrise

Internationale Presse über Regierungskrise

Auch am Samstag kommentieren internationale Zeitungen und Webseiten die Ermittlungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz und die ÖVP.

Wien, 09. Oktober 2021 |

“Neue Zürcher Zeitung”:

“Wären Österreichs Politik und Presse ein Paar, so müssten sie dringend zum Therapeuten. Denn sie verbindet eine ungesunde Beziehung, geprägt von gegenseitiger Abhängigkeit und Abneigung. Bereits der ehemalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache stolperte über seine medialen Machtphantasien für den Boulevard, Journalisten bezeichnete er als ‘die grössten Huren auf dem Planeten’. Nun hängt die Karriere des Bundeskanzlers Sebastian Kurz wegen der dubiosen Abkommen seines Umfelds mit dem Revolverblatt ‘Österreich’ an einem seidenen Faden.”

“Süddeutsche Zeitung” (München):

“Wie der Großputz aber aussehen soll – eine Minderheitsregierung, eine Koalition aus SPÖ, Grünen und Neos mit Duldung der FPÖ, eine Expertenregierung oder aber ein ÖVP-Ersatzmann für Kurz -, ist so unklar wie riskant und wohl nur eine Lösung auf Zeit. Andererseits: Wie wollte Kurz ein ganzes Konvolut entkräften, ethisch und politisch zumindest, über das sich derzeit die Republik beugt?”

“Tages-Anzeiger” (Zürich):

“Wenn die Vorwürfe stimmen, hat sich der Studienabbrecher den Aufstieg vom Jungpolitiker an die Spitze seiner konservativen Volkspartei und ins Kanzleramt mit manipulierten Umfragen, gekaufter Berichterstattung und Postenschacherei geebnet. Und im Kanzleramt angekommen, sollte das System Kurz den Machterhalt auf alle Zeiten sicherstellen. Er gab sich gerne als Modernisierer, hat aber offenbar Filz und Korruption auf höchster Ebene perfektioniert. Er kämpfte gegen das “Establishment” und etablierte seine Spezies an den Schaltstellen.

Es wird für Sebastian Kurz schwierig sein, diesmal den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Zu deutlich sind die sichergestellten Chats, die zudem ein abstoßendes Sittenbild ergeben. Der Masterplan zur Machtübernahme, missbräuchlich finanziert aus Steuergeldern, scheint bestens dokumentiert. (…) Es ging Kurz immer nur um Selbstdarstellung und Machterhalt. Was bleibt, ist der Eindruck, dass Medien, Politiker und Wählerstimmen käuflich sind. Das rührt an den Kern der Demokratie. Deshalb sind die Ereignisse ein Alarmsignal über das Land hinaus.”

“taz” (Berlin):

“Gigantomanisches Selbstbild, Selbstverliebtheit des Anführers, Führerkult der Günstlinge und die kriminelle Energie der gesamten Bande haben ein Ausmaß angenommen, das nicht einmal die härtesten Kritiker von Kurz angenommen hätten. Die Chatprotokolle, die bis gestern Nachmittag durchsickerten, lassen einen mit offenem Mund zurück.

Der nun hoch wahrscheinliche völlige Zusammenbruch des Systems Kurz ist einer skurrilen Form der “Digitalisierungsoffensive” geschuldet: Die Beteiligten haben sich in aufreizender Vertrotteltheit und euphorischer Aufgeblasenheit so detailliert via Whatsapp und SMS abgesprochen, dass sie sich selbst ans Messer geliefert haben. Die Gigantomanie mag dazu sicher noch beigetragen haben, denn die geht gerne mit der Illusion der Unverwundbarkeit und damit auch mit mangelnder Vorsicht einher.”

“Abendzeitung” (München):

“In Österreich scheint der Riss zwischen den beiden Regierungsparteien unüberbrückbar. Die Grünen stellten am Freitag klar, dass eine Fortsetzung ihrer Koalition mit der konservativen ÖVP angesichts der schweren Korruptionsvorwürfe gegen Kanzler Sebastian Kurz nur ohne ihn möglich sei. (…) Kurz wurde schon einmal per Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt: Im Mai 2019 stimmte eine Mehrheit im Parlament gegen den ÖVP-Chef und seine gesamte Regierung. Damals folgten Neuwahlen, die Kurz und seine Partei deutlich gewannen. Für einen Rücktritt des Kanzlers noch vor einem weiteren Misstrauensvotum gab es zuletzt keine Anzeichen.”

“Thüringer Allgemeine” (Erfurt):

“Die Vorwürfe haben alle Zutaten für eine Staatskrise. Denn es geht um die Frage, ob der wundersame Aufstieg von Sebastian Kurz nicht mit rechten Dingen zuging. Ob seine steile Karriere an die Spitze der ÖVP und in die Führung des Landes auf einem korrupten System beruht, das seine persönlichen Berater, die ÖVP und am Ende auch die mächtigsten Medienmacher des Landes umfasst.”

“br.de” (München):

“Mit Steuergeld finanzierte Anzeigen der Regierung, egal ob vom Bund, den Ländern oder den Kommunen, sind eine wesentliche Einnahmequelle der österreichischen Printmedien. In Deutschland wäre dies ‘unzulässige Wahlwerbung’ – da hat das Bundesverfassungsgericht einen Riegel vorgeschoben. In Österreich macht das jede Partei, die an den Schalthebeln der Macht sitzt und damit Zugriff auf die Etats hat.”

“watson.de” (Berlin):

“Kurz steht wegen der Affäre so stark unter Druck wie nie, seit er 2017 zum ersten Mal Bundeskanzler wurde. Das Ganze ist aber nur der jüngste und krasseste Beleg dafür, dass die Union Sebastian Kurz nicht zum Vorbild nehmen sollte. Wer CDU und CSU nach dem Modell Kurz ausrichten will, führt die Parteien nach dem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis weiter nach unten.”

(apa)

Titelbild: APA Picturedesk

Markus Steurer
Markus Steurer
Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.
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16 Kommentare

  1. Falco würd Rappen-
    Ich hab kein Geld und du hast kein Geld,
    weil sich der Kanzler zu viel Koks bestellt!!!

  2. Es sollte für die Übergangszeit eine 4-Parteien-Regierung ohne ÖVP geben, die gemeinsam beschließt:
    1. Antikorruptionsgesetz
    2. Neues Medienförderungsgesetz
    3. Änderung des allgemeinen Parteiengesetzes dahin, dass ein undemokratischer Zustand wie jetzt bei der ÖVP – Kurz als Alleinherrscher über Personalentscheidungen – nicht mehr möglich ist. Die ÖVP kann Kurz nicht einmal ausschließen, weil sie ihm 2017 die Parteiseele verkauft und ein Durchgriffsrecht ermöglicht hat. Den intelligenteren Landeshauptleuten, ich nenne hier Schützenhöfer, dämmert langsam, in welche Geiselhaft von einem Rotzbuben sie sich damals begeben haben. Die weniger Schlauen, ich nenne hier Platter, checken es bis heute nicht.

    • Der Platter isch a Viroler ! Der checkt des scho … bloss hat der seine Seele den Seilbahnkaisern verkauft um den Preis das er den Landeshampelmann spielen darf ….

  3. Mal abgesehen davon, dass “Heute” und “Krone” noch größere Hofberichterstatter sind (man beachte die Steuermillionen, die an diese Blätter fließen), sollte uns dieser Skandal zu denken geben. Denn warum müssen Medien überhaupt durch Steuergelder finanziert werden? Medien können doch NIE unabhängig sein, wenn diese von denen gefüttert werden, die sie eigentlich kontrollieren sollen. Deshalb fordere ich, dass sich Medien genauso am Markt behaupten müssen wie alle anderen auch. Wenn der Inhalt der Leitmedien doch angeblich so wertvoll ist, sind doch die Leute sicher auch bereit, dafür zu bezahlen. Wie kommen wir Steuerzahler eigentlich dazu, für die eigene Propaganda auch noch bezahlen zu müssen!

    • Warum glauben Sie, dass Medien “kontrollieren” müssen? Wo kann man das nachlesen? The Show must go on … jedem Dödel seine individualisierten Lieblingswichtigmacher … thats it!

  4. Österreich ist endgültig zur Bundesrepublik Bananarama verkommen.
    Die Politik gestaltet nach deren eigenen Vorstellungen das Land um, vor dem scheinheiligen Hintergrund es ohne Kurz tun zu wollen (das Gegenteil von gut ist gut gemeint).
    Die Bevölkerung ist ausgesperrt, von jeglicher Möglichkeit mitzubestimmen.
    Ma richtet es sich wie man es braucht.
    Die Menschen müssen in einem verkommenen und demokratiefernen System dahinvegetieren und sind einer versnobten Politikschickeria auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

  5. Ich denke, den Herrn BK Kurz werden wir nicht mehr los. Er verhält sich wie Präsident Trump ! Den werden sie in den USA auch nicht mehr los. Alle anderen sind schuld, alle sind gegen ihn.
    Na freuen wir uns auf die Zukunft !

  6. Die taz ist gut.

    Mich würde interessieren, wie die ungarischen und polnischen Medien das österreichische Medienereignis aufnehmen.

  7. Mit dieser schlechten Presse im Ausland kann sich der (Ex.) Kanzler ohnehin Nirgends mehr blicken lassen. Als Vertragspartner für andere Länder wäre Österreich damit ungefähr so verlässlich wie das Ungarn des Victor Orban und vermutlich genau so geächtet. Auch wenn Harald Mahrer heute krakelte die ÖVP würde sich nicht vorschreiben lassen wer sie führt, so wird sich der Wirtschaftsflügel schnell dessen bewusst werden was es heißen würde wenn ein mutmaßlicher Straftäter Österreich im Ausland vertreten würde. (Natürlich gilt für Kurz die Unschuldsvermutung im strafrechtlichem Sinne ( nicht jedoch im moralischen))

    • und jetzt weil der BK in Berlin oder wie? Das traut er sich noch und was macht er dort überhaupt?

  8. Ich wäre für verpflichtende Drogentests für PolitikerInnen.
    Alkohol, Kokain, usw.

    Nüchtern kannst so etwas nichts machen außer mit komplettem Dachschaden und ohne irgendein Gewissen…

    In Österreich geht es aktuell fast so zu als ob Polizei(staat) gegen Justiz(demokratie) ermittelt.

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