Pilz am Sonntag
Sebastian Kurz hat seinen Kopf aus der Schlinge und Werner Kogler über den Tisch gezogen. Jetzt regiert Kurz als Klubkanzler im Parlament. Aber die Kettenreaktion ist nicht gestoppt.
Wien, 10. Oktober 2021 | Kurz verkleidet sich notdürftig als Klubobmann. Schallenberg schaut ratlos aus dem Kanzlerrock. Blümel macht sich klein, damit er weiter übersehen wird. Dann wird Kogler vorgelassen. Ein kurzer Blick auf die Verkleideten, und der Vizekanzler hat sich sein Urteil gebildet: „Passt!“
Gleich darauf tritt der Klubkanzler in seine ZiB 1 und gibt dort bekannt, dass er das alles für ÖSTERREICH tut. Wolfgang Fellner stellt überrascht fest, dass er doch noch einen Freund hat.
Am Ende
Alles wird neu. Ab jetzt ist der alte Bundeskanzler nicht mehr Bundeskanzler, und der neue Kanzler tut gar nicht so, als ob er Kanzler wäre. Ein Klubkanzler regiert, ein Strohmann wartet auf seine Anweisungen, und ein Vizekanzler läuft mit. Damit ist die Kettenreaktion vorläufig gestoppt.
Sie begann am Mittwoch. Die Anordnung zur Hausdurchsuchung in Bundeskanzleramt und ÖVP-Zentrale brachte ein paar Fässer zum Überlaufen. Sie standen in den Redaktionen der „Bundesländerzeitungen“, der ÖVP-nahen Organe von Graz bis Dornbirn, die diesmal beim besten Willen nicht mehr mitkonnten. Plötzlich hörten auch sie, was die Redaktionsspatzen seit Monaten von ihren Dächern pfiffen: Das Regime Kurz ist politisch und moralisch am Ende. Der Kopf einer neuen Politik entpuppt sich als Abszess, das das Aussitzen schmerzhaft macht.
wollen die Landeshauptleute nicht mehr,
Die Kommentare der enttäuschten Herausgeber brachten das Fass der ÖVP-Landeshauptleute zum Überlaufen. Das schwarze Hemd war näher als der türkise Rock, also unterschrieben sie eine Erklärung, dass sie fest hinter Kurz stünden, ihre niederösterreichischen Feitel und steirische Knicker auf den Kanzlerrücken gerichtet.
Die Spitze der Grünen war als einzige bereit, zu Kurz zu stehen. Die Ökos warnten, dass man ohne Kurz nicht die vereinbarte Öko-Steuerreform bekommen würde. Maurer warnte vor Disziplinlosigkeit. Und Koglers Chauffeur wollte nicht schon wieder einen neuen Chef.
Dem grünen Klub im Nationalrat platzte endlich der Kragen. Sieben Abgeordnete machten klar, dass sie auf jeden Fall dem Misstrauensantrag der Opposition am kommenden Dienstag zustimmen würden. Damit war der Sturz von Sebastian Kurz besiegelt.
In den eineinhalb Jahren hatte Kogler von Kurz gelernt. Er wusste, dass Kurz als Kanzler erledigt war. Aber der Vizekanzler war noch zu retten. Also forderte der Grüne den türkisen Kopf, der längst ab war. Mehr war bei nüchterner Betrachtung nicht drin.
Kogler aber schon noch
Wie zu Beginn der Regierungsverhandlungen befanden sich die Grünen in einer starken Position. Von der Inseratenkorruption bis zur illegalen Parteienfinanzierung hätten sie jetzt dem türkisen Machtmissbrauch enge Grenzen setzen können. Sie haben es nicht getan.
Die Kettenreaktion ist vorübergehend gestoppt. Aber es geht wieder los. Die WKStA wird noch mehr finden, weil noch viel mehr da ist. Die Kanzlermarionette wird vom Klubkanzler vorgeführt und abgenützt, weil der Führer führen muss. Der Klubkanzler wird plötzlich über einen Untersuchungsausschuss über sich selbst mitentscheiden müssen und bei der Sabotage des Parlaments das Kommando von Sobotka übernehmen. Der Kampf um das Überleben des Regimes wird tiefer ins Parlament getragen. Dort, direkt gegenüber Kritik und Opposition, fehlt Kurz das Wichtigste: die Distanz, die die Propagandamaschine zwischen Kanzleramt und Pöbel schafft.
und Kurz bleibt eine letzte Chance.
Immer mehr Menschen werden sehen, dass Kurz ein Regime aufbaut, dass nur einem Zweck dient: Kurz. Die Bundesländerzeitungen können nicht mehr zurück zum alten Dauerapplaus. Die WKStA bereitet Anklagen vor. Kogler muss erklären, warum Kurz gehen muss und Blümel bleibt. Die Abgeordneten und Länder-Grünen, die jetzt schon von der ÖVP wegwollen, werden Zulauf bekommen. Der Kitt zwischen Grün und Türkis wird nicht halten.
Kurz hat noch eine Chance. Er muss jetzt alles auf seine letzte Karte setzen. Er muss als Opfer in Neuwahlen. Er muss hoch gewinnen, damit er weitermachen kann. Sonst ist es aus.
Nur auf eines kann er sich dabei verlassen: Sigi Maurer wird feststellen, dass Basti noch besser ist als Gust.
Titelbild: APA Picturedesk