Donnerstag, April 25, 2024

Verzweiflung in Flüchtlingslagern in Pakistan – „Hilfe vor Ort nicht möglich.“

„Hilfe vor Ort nicht möglich.“

Pakistan kämpft seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan mit noch mehr Flüchtlingen als sie ohnehin schon haben. Claudia Villani beschreibt die Zustände in afghanischen Flüchtlingscamps in Pakistan im ZackZack-Interview.

Wien, 15. Oktober 2021 | Laut UN-Angaben befinden sich 1.4 Millionen afghanische Flüchtlinge in Pakistan. Claudia Villani hat mit diesen Flüchtlingen zehn Jahre lang in sogenannten „Afghan Camps“ gearbeitet und ein Programm zur Ernährung der Flüchtlinge entwickelt. Im Interview spricht sie über die vorherrschenden Zustände.

ZackZack: Sie haben einen Einblick in die afghanischen Flüchtlingslager in Pakistan – ein Zugang, der für Europäer nur schwer möglich ist. Würden Sie sagen, dass das Bild, das in den Medien vermittelt wird, der Realität entspricht?

Claudia Villani im “Afghan Camp”

Claudia Villani: Nein, eben überhaupt nicht. Deswegen hat es mich auch so geärgert, dass die Idee Afghanen nach Pakistan zu schicken entstanden ist. Ich habe mir gedacht: Es hat sich noch niemand von den westlichen Politikern dafür interessiert, wie es dort wirklich ausschaut. Auf der anderen Seite kommen westliche Leute auch kaum in diese Lager hinein, weil die Pakistani natürlich selbst gar nicht interessiert sind und weil auch Taliban in den Lagern sind und dadurch so eine angeblich hohe Gefahr besteht in diese Lager zu gehen.

ZZ: Wenn es um Hilfeleistungen geht, wird immer auf Hilfe vor Ort gesetzt. Haben Sie in all den Jahren, in denen sie dort gearbeitet haben, diese Hilfe vor Ort erlebt?

CV: Diese Hilfe vor Ort gibt es nicht.

ZZ: Wie meinen Sie das?

CV: Ich habe versucht mit der UNICEF in Verbindung zu treten und mit anderen Organisationen und sie haben alle gesagt sie würden keinen Fuß ins Lager setzen, weil es sonst heißen würde „UNICEF unterstützt Taliban in Pakistan“. Ich würde jedem Politiker, der mir das ins Gesicht sagt, fragen: „Sagen Sie mir bitte, wie ich für 100 000 Menschen trinkbares Wasser organisieren können?“ Ich habe 10 Jahre lang daran gearbeitet, wie diese Wasserversorgung anders zu lösen wäre. Das Wasser muss teuer gekauft werden, ist irrsinnig verschmutzt und Brunnen gibt es nicht, weil das Grundwasser um Karachi salzig ist. Das ist eine Scheinmoral, wenn von Hilfe vor Ort geredet wird und nicht einmal das Wasserproblem gelöst werden kann. Da bin ich noch gar nicht bei Nahrung oder Gesundheitsversorgung. Ich telefoniere fast täglich mit Pakistan über WhatsApp und momentan kommen die Massen in die Lager in Pakistan. Ich frage mich wie die Menschen überleben können. Wovon reden die Politiker da wenn sie sagen „Hilfe vor Ort“?

ZZ: Inwiefern kümmert sich die pakistanische Regierung um die Flüchtlinge?

CV: Das kann ich nicht beantworten. Ich habe ein Interview vom pakistanischen Botschafter in Deutschland gehört und der redet schätzungsweise von 3 bis 4 Millionen Flüchtlingen, aber sie wissen nicht genau wie viel. Damit hat die pakistanische Regierung zugegeben: „Wir wissen nicht einmal wie viele es sind.“ Das sagt doch schon was.

ZZ: Welche Einstellung hat die pakistanische Bevölkerung den Flüchtlingen gegenüber?

CV: Meine pakistanischen Freunde fragen: „Warum hilfst du den afghanischen Flüchtlingen, wenn es uns doch selbst so dreckig geht?“ Es gibt verschiedene Meinungen, die einen sagen das wären ihre muslimischen Brüder und sie kommen aus demselben Stamm und die anderen sagen es ist uns genug und wir können diese Hilfe nicht leisten.

ZZ: Was war Ihre Rolle konkret in den Flüchtlingslagern? Haben sie sich als Psychotherapeutin um die psychische Betreuung von Traumapatienten gekümmert oder war mehr zu tun?

CV: Ich bin an und für sich hingekommen, um Traumapatienten zu sehen. Im „Afghan Camp“ war mir klar, dass wenn die Kinder auf meinen Händen verhungern, sie zuallererst Nahrung brauchen. Dadurch ist dieses „feeding program“ entstanden. Es hilft nichts, ein Trauma zu bearbeiten, wenn nebenbei Kinder sterben.

ZZ: Ihr Alltag bestand im Wesentlichen daraus das feeding program durchzuführen?

CV: Ja und nach Europa zurückzukommen und Vorträge zu halten und wieder Geld hinunterzubringen.

ZZ: Mit wem waren Sie da konfrontiert? Laut UN-Angaben sind 67,7% der Flüchtlinge Frauen und Kinder.

CV: Ja, Männer sind während des Tages in Karachi Mist sammeln, um ihre Familie ernähren zu können.

ZZ: Inwiefern hat sowohl Corona als auch die Machtübernahme der Taliban die Situation in den Lagern verschärft?

CV: Sie haben teilweise auch einen Lockdown gehabt und da haben die Menschen wirklich gehungert, weil nichts eingeführt werden konnte. Ich habe noch gestern mit der Ärztin geredet, die ins Afghan Camp fährt. Ich wüsste nicht wie Hilfe vor Ort ausschauen kann, denn Pakistan will sich gar nicht in diese Lager begeben. Sie wollen nichts damit zu tun haben. Die Realität ist, dass es keine Obrigkeit gibt, der man vertrauen kann, dass sie einen Blick drauf haben.

ZZ: Sie haben bestimmt viel gesehen. Was hat sich denn besonders in Ihr Gedächtnis eingebrannt?

CV: Das zehnmonatige Kind, das mir unter der Burka durchgereicht wurde, das 3.6 Kilo gewogen hat. Wenn ein Kind so lange so hungert, dann hat es bleibende Schäden, auch wenn man das Kind durchbringt.

“Afghan Camp” nordwestlich von Karachi 

ZZ: Wie geht man denn mit solchen Bildern um? Gewöhnt man sich daran?

CV: Ich hoffe, dass ich mich nie daran gewöhnen werde. Einem Land zuzumuten sich jetzt um noch mehr Flüchtlinge zu kümmern, wenn es doch darum kämpft, die eigene Bevölkerung satt zu kriegen. Das Wasser wird in Karachi nicht mehr.  Hilfe vor Ort ist in den jetzigen Zuständen nicht möglich.

ZZ: Vielen Dank für das Interview!

 

(nb)

Titelbild: Claudia Villani

Nura Wagner
Nura Wagner
Greift der Redaktion unter die Arme so gut sie kann, sei es mit ihren E-Mail-Beantwortungsskills oder mit ihren Russisch-Kenntnissen.
LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

4 Kommentare

  1. Wenn man das alles vor Ort gesehen hat findet man kein Wort mehr um es zu beschreiben.
    Und unsere Politiker, krähen aus dem warmen Nest und streuen der Bevölkerung Sand in die Augen.
    Schallenberg, Nehammer, Kurz, Kickl und Konsorten und Xenophoben, fahrt doch hin und helft vor Ort!

  2. Die Pakistani haben doch genug Geld für ihr Atomarsenal, aber ist das nicht ein Fall für die ex US- Besatzer? Schläft da der bei den Linken so beliebte Joe Biden? Was ist mit dem “Friedensnobelpreisträger” Hussein Obama? Wir Österreicher sind für dieses Chaos nicht verantwortlich, trotzdem befinden sich auf unserem Staatsgebiet schon über 46.000 Afghanen, täglich werden es mehr. Wir bekommen von der EU null Unterstützung bzw. es werden von anderen EU- Staaten keine Migranten übernommen, wo bleibt da die EU Solidarität? Das Boot ist voll, besonders in Wien, das sehen die „Eliten“ nicht, die wohnen in isolierten Stadtteilen!

  3. Die Kinder sind immer am schlimmsten dran obwohl sie für das alles nichts können.

  4. Das sollten mehr Menschen – und vor allem Politiker – die ausschließlich auf Flüchtlings-Hilfe vor Ort setzen, wissen!
    Wirklich sehr bedrückende Zustände!

Kommentarfunktion ist geschlossen.

Jetzt: Benkos Luxusvilla in Italien

Denn: ZackZack bist auch DU!