Ist das der ehrlichste Mensch der Welt?
Er ist bitterarm. Doch als er ein Vermögen auf der Straße findet, tut Emmanuel Tuloe alles, um es seiner Besitzerin zurückzugeben.
Monrovia, 19. Oktober 2021 | Es war ein Wendepunkt im Leben des 19-jährigen Emmanuel Tuloe: Letzte Woche fand der Jugendliche, der als Motorradtaxifahrer arbeitet, ein Plastiksackerl mit 50.000 Dollar auf der Autobahn. In seinem Heimatland Liberia ist das ein gewaltiges Vermögen. Laut Weltbank lebt fast die Hälfte der Bevölkerung des westafrikanischen Landes von weniger als 1,90 Dollar am Tag. Auf österreichische Verhältnisse umgelegt, wäre der Fund gut 2 Millionen Euro wert. Wie viele seiner Landsleute ist Tuloe bitterarm. In der siebenten Klasse musste er die Schule verlassen, um Geld für die Familie zu verdienen. Doch statt das gefundene Geld zu behalten, gab Tuloe es seiner Besitzerin zurück.
Tante passte auf das Geld auf
“Ich war erschrocken, weil es so viel war” sagte Tuloe zu Associated Press. “Also nahm ich es mit nach Hause und gab es meiner Tante zum Aufpassen, bis der Besitzer sich meldet.” Noch am selben Tag trat Musu Yancy, eine liberische Geschäftsfrau, im Radio auf und bat inständig, ihr das Geld zurückzugeben, falls es gefunden würde. Genau das tat Tuloe. Liberias Präsident George Weah lud Tuloe, der über Nacht zum Nationalhelden wurde, ein, um ihn mit dem höchsten Orden des Landes auszuzeichnen. Tuloe sagt, er wolle mit dem Präsidenten über seine Ausbildung sprechen – der Taxifahrer möchte wieder zu Schule gehen. Weah sagte dem jungen Mann ein Stipendium für eine Ausbildung seiner Wahl zu – finanziert von Weah und seiner Familie. Außerdem schenkte er Tuloe zwei Motorräder.
Präsident Weah wuchs selbst in einem Slum in Monrovia auf. Er wurde Fußballstar und Volksheld. Von seiner Präsidentschaft versprachen sich viele Menschen in Liberia ein besseres Leben. Doch heute sieht sich Weah mit Korruptionsvorwürfen und Protesten konfrontiert. Die Beliebtheit des Präsidenten leidet besonders unter der grassierenden Armut. Vor allem seit einer Ebola-Epidemie, die von 2014 bis 2016 in dem Land mit seinen fünf Millionen Einwohnern wütete, geht es mit Liberia wirtschaftlich bergab.
Eine Matratze für die Großmutter
Nicht alle in Liberia verstehen Taxifahrer Emmanuel Tuloe. Viele seiner Freunde würden ihn verspotten, sagt der junge Mann. Er würde nun ewig arm bleiben. Seine Taxifahrerkollegen wollen ihm nicht mehr helfen, wenn er Schwierigkeiten bei der Arbeit hat. Tuloe sei an seiner Lage selbst schuld, sagen sie. Die Besitzerin des Geldes, Musu Yancy, übergab dem Finder Geschenke im Wert von 1.500 Dollar, darunter eine Matratze zum Schlafen – keine Selbstverständlichkeit in Liberia. “Die bekommt meine Großmutter”, sagt Tuloe.
(tw)
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