Freitag, April 19, 2024

Justiz-Schauplatz Polen – Die Hintergründe im Streit mit der EU

Die Hintergründe im Streit mit der EU

Der Rechtsstreit zwischen Polen und der EU bewegt sich zielstrebig in Richtung Eskalation. ZackZack hat mit dem Rechtswissenschaftler Lukasz Dziedzic über die Hintergründe gesprochen.

 

Wien, 20. Oktober 2021 | In den letzten Wochen beherrscht der Konflikt zwischen EU-Kommission und EuGH auf der einen Seite und dem polnischen Verfassungsgerichtshof sowie der rechtskonservativen polnischen Regierung auf der anderen Seite die internationalen Medien. Auch über einen drohender Polexit, der Austritt Polens aus der EU, wird immer wieder spekuliert. ZackZack hat mit dem österreichisch-polnischen EU-Rechtsexperten Lukasz Dziedzic von der Universität Tilburg über die Hintergründe gesprochen.

Polnische Justizreformen

Der Strudel der Ereignisse nimmt schon 2015 seinen Anfang, als die polnische Regierung unter Führung der Partei PiS umfassende Reformen im Rechtswesen einleitet. Die Folge davon kann man als Politisierung der Justiz beschreiben. In einer ersten Reform wird „der polnische Verfassungsgerichtshof unter Kontrolle der Regierung gebracht – von der Vorgängerregierung rechtmäßig ernannte Richterkandidaten wurden vom vom PiS-treuen polnischen Präsidenten nicht vereidigt und an ihrer statt neue Richter berufen“, so Dziedzic Auch der polnische Oberste Gerichtshof wird „unter die Kandare der PiS genommen.“ Dessen Mitglieder werden vom einst unabhängigen Richterrat ernannt. Der Richterrat wird im Zuge der Reformen jedoch politisiert, sodass die Kandidaten des Obersten Gerichtshof seitdem vom Willen des Parlaments abhängig sind. „In einer früheren Reform wurde bereits versucht durch eine Änderung des Pensionsantrittsalters von Richtern, unter anderem die unliebsame Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs loszuwerden. Dadurch hätte jene ihre zum Zeitpunkt der Reform noch ausstehenden fünf Jahre Amtszeit nicht fertig ausüben können“, erläutert Dziedzic.

Die EU sieht in den polnischen Reformen einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien und geht dagegen vor. Auf Druck der Union muss das verfrühte Pensionsantrittsalter zurückgenommen werden.

Dritter Stein des Anstoßes ist die umstrittene Disziplinarkammer im Obersten Gerichtshof. Diese „wird vom politisch dominierten nationalen Richterrat eingesetzt. Sie kann Richter versetzen oder Disziplinarverfahren gegen sie einleiten. Sie ist politisch gesteuert und dient dazu, unliebsame Richter unter Druck zu setzen oder aus bestimmten Ämtern zu entfernen“, erklärt Dziedzic. Auch gegen die Disziplinarkammer ging der EuGH mit einer einstweiligen Verfügung vor. Die Reaktion aus Polen im Juli 2021 fasst Dziedzic lapidar mit „Daran müssen wir uns nicht halten“ zusammen.

Dziedzic sieht in den Reformen Polens ein „ähnliches Prozedere wie in Ungarn“ und eine „klare Tendenz in Richtung Abbau von Demokratieprinzipien, auch im Hinblick auf Medien.“

Verhärtete Fronten

Das Vorgehen der EU gegen die politische Umfärbung der polnischen Justiz stößt bei der PiS naturgemäß auf wenig Begeisterung. Seit Anfang dieses Jahres hat die EU zudem ein Druckmittel in der Hand, das für Problemkinder wie Polen und Ungarn empfindliche finanzielle Nachteile vorsieht, wenn diese gegen Grundwerte der Union verstoßen: Den Rechtsstaatlichkeits-Konditionalitätsmechanismus. Seit dessen Einführung ist die „Auszahlung von Mitteln aus dem EU-Budget an Rechtsstaatlichkeit gebunden.“ Polen und Ungarn haben dagegen geklagt. Zusätzlich besteht auch die Möglichkeit, die für Polen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds vorgesehenen Mittel einzufrieren. Während die EU damit droht, Milliarden an Corona-Hilfen nicht abzusegnen, begibt sich die PiS laut Dziedzic „in die Opferrolle“. Auch das EU-Parlament hat sich beim Thema Rechtsstaatsmechanismus schon eingeschaltet. Es brachte eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission ein, weil diese den neuen Mechanismus bisher nicht eingesetzt hat. „Der EuGH entscheidet gerade darüber, ob der Rechtsstaatsmechanismus selbst rechtlich halten kann. Eine Entscheidung darüber wird Anfang des nächsten Jahres erwartet.“ Den Klagen Ungarns und Polens gibt Dziedzic „wenig bis gar keine Chance“.

Austritt oder Rauswurf Polens?

Die kürzlich getroffene Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts, EU-Recht teilweise als unvereinbar mit der polnischen Verfassung einzustufen, sorgt seit letzter Woche für verbale Schusswechsel zwischen der polnischen Regierung und der EU-Kommission. Mehrere eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen lassen auf keine baldige Feuerpause schließen. Im Gegenteil. Der polnische Premier Morawiecki verurteilte in seiner gestrigen Rede in Straßburg das entschiedene Vorgehen der EU gegen die polnische Justizreform: „Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen bedrohen“, spielte er auf den Rechtsstaatsmechanismus an.

Rechtsexperten sprechen seit der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts zum Nachrang von EU-Recht von einem „juristischen Polexit“. Experte Dziedzic verweist im Zusammenhang mit dem ins Spiel gebrachten Ausscheiden Polens aus der Union auf Artikel 50 der Lissaboner Verträge: „Polen müsste freiwillig austreten. Im Gegensatz zu anderen Ländern reicht in Polen dafür aber die einfache Mehrheit im Parlament. Oppositionspolitiker Donald Tusk möchte genau das ändern. Er setzt sich derzeit dafür ein, im Zuge einer Verfassungsänderung den Austritt aus der EU von einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments abhängig zu machen.“ Schätzungen zufolge sind 80 bis 90 Prozent der Polen für die Mitgliedschaft in der Union.

(dp)

Titelbild: APA Picturedesk

DanielPilz
DanielPilz
Taucht gern tiefer in komplexe Themengebiete ein. Lebt trotz Philosophiestudiums nicht im Elfenbeinturm und verpasst fast kein Fußballspiel.
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24 Kommentare

  1. Und wer setzt in Österreich Richter und Staatsanwälte ein?

    Was soll also diese Farce, welche die EU wieder veranstaltet?

    Allerdings verdeutlicht es auch, dass wir durch unsere Politiker immer mehr an diesen antidemokratischen Verein EU verkauft werden.

  2. Die EU hat versagt, weil sie von der eigentlichen Idee einer Wirtschaftsunion zunehmend zu einer militärischen und politsch zentralisierten pro-NATO Macht ausgewuchert ist unter der Leitung von Brüssel.

    Die NEOS wollen ja unsere immerwährende (!) Neutralität abschaffen, weil diese nicht mehr “zeitgemäß” sei und eine europäische Armee einführen. Was genau ist dann Europa? Ist die Schweiz Europa? Ist Russland Europa? Ist der Kosovo Europa? Fragen über Fragen auf die die neoliberalen EurokratInnen keine Antworten liefern.

    Die EU ist selbst schuld, dass es mit Polen so weit gekommen ist auch wenn das nicht bedeutet dass Polen recht hat. Dort wird die Demokratie genauso unterwandert wie in Österreich. Europa geht den Bach runter…

    • Die EU soll angeblich ein Friedensprojekt sein. Aber die Neutralität Österreichs ist nicht mehr zeitgemäß? Mit einem Wort, man will mit den Nachbarn nicht mehr friedlich auskommen und keine Union von guten Nachbarn sein. Deutschland macht es vor.
      Spalten und Sanktionieren, wo immer es geht und jetzt sogar innerhalb der eigenen Bevölkerung.

      • Ich bin vollkommen deiner Meinung, ich habe dazu etliche Bücher von Fr. Krone Schmalz gelesen, deine These bestätigt, dieses szenario USA -NATO (EU) – RUSSLAND

    • Das Verhältnis zur USA und der NATO muss die EU tatsächlich überdenken – da gebe ich Ihnen Recht. Auch das zu Russland eventuell. Eigene Interessen wieder stärker in den Vordergrund stellen. Aber gegen eine militärische Zusammenarbeit per se spricht nichts. Das schützt die EU-Mitglieder gegen Bedrohungen von außen. Es ist gut, dass Europa politisch zusammengerückt ist. Das stellt gemeinsame Standards sicher und sichert nachhaltig den Frieden, der immer von Demagogen bedroht ist

      • Welche Bedrohung von außen? Sollen wir der NATO beitreten, damit uns die USA nicht angreifen? Wenn uns die USA angreifen wollen, dann werden sie es tun. Vielleicht nicht direkt, sondern, indem sie die EU gegen Russland aufhetzen (wie George Friedman ja ganz offen verkündet hat) und wir Russland solange provozieren, bis es sich das nicht mehr gefallen lässt. Vielleicht, wenn einmal ein emotionaler, nationalistischer Staatschef in Russland an der Macht ist.

  3. “They Outright LIED!!!” Joe Rogan EXPOSES CNN & Don Lemon’s Rebuttal
    “As Americans’ trust in media dips to the second lowest on record, could CNN’s coverage of Joe Rogan’s Covid medication serve as an example as to how this has come to be?”
    https://www.youtube.com/watch?v=zTtzGhYd0Po

    • Ivermectin hat schon Millionen Menschen das Leben gerettet, Indien hat diesbezüglich sogar die WHO geklagt, es ist die größte verarsche der Menschheit mit Beihilfe der Politiker Medien und Blockwarte.

  4. Von mir aus können polen und ungarn aus der eu austreten.
    Mindestens sollten eu förderungen gestrichen werden.

  5. Bemerkenswert ist, dass ZackZack „vergessen“ hat, dass Barbara Kolm von der ÖNB- die die EU destabilisieren will, PiS finanziert, genauso wie sie ECR/ACRE und den Brexit finanziert hat. Auch, dass die österreichische Regierung dies völlig versäumt hat, dies richtig zu untersuchen, und die österreichische Presse scheint Angst zu haben, über sie zu sprechen. Wieso den?

  6. “Schätzungen zufolge sind 80 bis 90 Prozent der Polen für die Mitgliedschaft in der Union. (dp)”
    Natüüüüürlich, Hr. “dp”. 😀 Diese Zahlen klingen fast nach einer seriösen ÖVP-Umfrage… ^^

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