Dienstag, Dezember 10, 2024

Warum die Spionage in Wien aus dem Ruder läuft

Havanna-Syndrom, Wirecard & Co.: Wien ist immer wieder im Fokus internationaler Affären. Derzeit scheint eine neue Stufe der Eskalation in der Spionage erreicht. Experte Riegler ordnet die Situation ein:

Wien, 04. November 2021 | Der Film „Der dritte Mann“ (Premiere 1949) zeigt das Wien der Nachkriegszeit als Schauplatz von organisierter Kriminalität und Spionage. Ein Image, das die Stadt bis heute hat.

Kampf mit härteren Bandagen

Dennoch ist vieles anders, was auch am vermehrten Auftreten des mysteriösen Havannasyndroms liegt. Einer Krankheit, die Schwindel, Tinnitus und Migräne auslöst, deren Ursprung aber unbekannt ist. 2016 ist sie zuerst im kubanischen Havanna aufgetreten – die Karibik-Kommunisten verdächtigen Russland seither als Drahtzieher. Jetzt, Jahre später, ist Wien der Hotspot des Syndroms. Dutzende Amerikaner – Botschaftspersonal und deren Angehörige – seien betroffen. Der CIA-Chef in Wien musste gehen, weil er die Krankheit heruntergespielt hatte.

Für Geheimdienstexperte Thomas Riegler ist die Causa ein Grund zur Alarmbereitschaft: „Es ist in der Tat überraschend, dass nach Havanna ausgerechnet in Wien die meisten Fälle dieser mysteriösen Erkrankung aufgetreten sind. Sollte es tatsächlich willkürlich hervorgerufen werden, wie die CIA vermutet, dann würde das bedeuten, dass Wien nicht mehr die ‚verschlafene‘ Spionagedrehscheibe ist, als die sie einmal gegolten hat.“

Wiener Sitz der UNO: Naturgemäß Ziel von Spionageaktivitäten. Bild: APA Picturedesk.

Seit einigen Jahren würden sich die Anzeichen dafür mehren, „dass mit härteren Bandagen gekämpft wird“, so der Historiker. Riegler betont die Wichtigkeit Wiens als UN-Standort, „viele internationale Organisationen sind hier ansässig“. Zum Beispiel die Internationale Atomenergiebehörde, eine äußerst sensible Einrichtung. Genauso wie die OPEC, die Organisation erdölexportierender Länder. Neben vielen anderen gibt es noch die OSZE, die wegen ihrer Rolle im Ukrainekonflikt gerade für Russland entscheidend ist.

Ein weiterer Punkt sei die Überwachung von Migranten: „In den Communities gibt es viele, die von ihren oft autoritär-diktatorischen Herkunftsländern als politische Feinde betrachtet werden.“ Stichwort türkischer Geheimdienst MIT, der in Wien die türkische Gemeinde bespitzelt haben soll. Laut einem geständigen Ex-Agenten sei sogar eine Anschlagsserie in Wien geplant gewesen, wie ZackZack exklusiv berichtete.

Von Prag nach Wien

Kurz‘ Flug im Oligarchenjet, Ex-Minister und Kanzler in wichtigen Posten staatsnaher russischer Konzerne: Dass Österreich mittlerweile vielfach als Einfallstor Russlands in Europa gilt, berichtete ZackZack ebenfalls. Nachdem Tschechien eine russische Eliteeinheit hinter der Sprengung eines Munitionsdepots vermutete, folgte eine veritable diplomatische Krise zwischen Prag und Moskau. Mutmaßlich bei der Operation um das Munitionsdepot involviert: die Skripal-Attentäter. Als Konsequenz soll der Standort Wien einen Teil der ausgewiesenen russischen Diplomaten „aufgefangen“ haben.

Nach der Explosion eines Munitionsdepots in Vrbetice zogen russische Diplomaten aus Prag ab – Insidern zufolge gen Wien. Bild: Tschechische Polizei.

Für die Amerikaner ist die österreichische Hauptstadt wegen der russischen Präsenz nicht uninteressant. Unter Trump blühten die Beziehungen auf – in zumeist ungewohnt freundschaftlicher Koexistenz Washington-Moskau. Dabei inszenierte sich die türkisblaue Regierung Kurz I als Brückenbauer und unterhielt zu beiden Seiten beste Verbindungen.

Das könnte sich unter Biden wieder ändern. Auch weil der amtierende US-Präsident selbst von einer Schmutzkampagne betroffen war, die Berichten zufolge zum Putin-nahen Oligarchen Dmytro Firtasch führen soll. Dessen Hintermänner trafen sich in Wien mit Trump-Vertrauten, wie die “Washington Post” schrieb. Der Ukrainer, der sich seit Jahren erfolgreich gegen seine Auslieferung wehrt und in der Hietzinger Villa des ÖVP-Großspenders Alexander Schütz lebt, bestreitet das – so wie alle Vorwürfe der Korruption und Nähe zur russischen Mafia. Die ist in Wien stark vertreten, ebenso die Nachrichtendienste der Russischen Föderation.

„Russland hatte stets eine sehr starke Präsenz in Österreich. Die Botschaft in Wien ist eine der größten Legalresidenturen (z.B. ein nachrichtendienstlicher Stützpunkt in einer Botschaft, Anm.) des Landes weltweit. Manche schätzen, dass sich jeder vierte russische Diplomat eigentlich auf Spionage-Mission befindet. Die USA wiederum waren personell schon während des Kalten Krieges im Hintertreffen. Wien ist aber immer ein wichtiger Punkt im sicherheitspolitischen Koordinatensystem der USA geblieben. Einmal hier Stationschef gewesen zu sein, gilt bei der CIA als Krönung einer Karriere“, sagt Riegler.

Schwaches BVT, hohe Unsicherheit

In Zeiten wachsender geopolitischer Spannungen führe die aktuelle Gemengelage laut dem Historiker fast zwangsläufig dazu, dass mehr ‚passiert‘. „Und das hat auch Auswirkungen für Österreichs Sicherheit“, sagt der Historiker gegenüber ZackZack. Ein Faktor, der seit Jahren eher Unsicherheit befördert als bekämpft: das BVT. BVT-Affäre, Wirecard & Co.: Kaum ein Skandal ging am Amt vorbei, das bis auf eine kurze blaue Unterbrechung immer ein ÖVP-dominiertes Haus war.

Nach der als Reform verkauften Namensänderung in DSN fürchten viele, dass der Filz und damit die Anfälligkeit weitergehen. Im Zuge der Wirecard-Affäre konnte man beispielhaft sehen, wie Teile des Hauses ein Eigenleben entwickelt haben. Interne Machtkämpfe inklusive. Das nutzte vor allem der flüchtige Wirecard-Manager Jan Marsalek aus. Stichwort Spionageabwehr: Wie Gefahren abwehren, wenn von einem selbst Gefahr ausgeht? Der informelle Geheimdienstzusammenschluss „Berner Club“ ortet seit Jahren riesige Sicherheitslücken.

Der Bereich Spionageabwehr sei schon vor dem Skandal 2018 personell stark unterbesetzt gewesen, so Riegler. „Jahrzehntelang hat man sich in relativer Sicherheit gewiegt. Spionage ist in Österreich ja nur dann illegal, wenn sie sich gegen die Republik richtet. Dementsprechend wurden für diesen Bereich nur wenige Ressourcen aufgewendet.“ Das rächt sich jetzt, sagt der Experte, „denn anders als während des Kalten Krieges kann sich Österreich von internationalen Konflikten nicht mehr abkoppeln und ist auch selbst als Spionageziel interessant geworden.“

 (wb)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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