Angespannte Situation an EU-Ostgrenze
Tausende Geflüchtete sitzen an den EU-Grenzen in Belarus fest. Die Union will sich nicht erpressen lassen und sucht nach einer gemeinsamen Strategie. Polen und Litauen beorderten Soldaten an die Außengrenzen.
Minsk/Warschau, 09. November 2021 | Die Lage an den EU-Außengrenzen in Polen und Litauen verschärft sich weiter. Seit gestern, Montag, bewegen sich Hunderte bis Tausende Migranten in Belarus (Weißrussland) auf die Ostgrenzen der Europäischen Union zu – ZackZack berichtete. Während Polen laut derzeitigem Stand rund 12.000 Soldaten an die Grenze verlegte, rief Litauen an seinen Grenzen zu Belarus den Notstand aus.
Kuźnica: próba sforsowania polskiej granicy pic.twitter.com/kqCkLPdsiK
— Ministerstwo Obrony Narodowej 🇵🇱 (@MON_GOV_PL) November 8, 2021
Lukaschenko und Putin wollen EU destabilisieren
Die neuerliche Migrationskrise hat politische Hintergründe. Der autoritäre Machthaber Weißrusslands, Aljaksandr Lukaschenko, lässt extra fluchtbereite Menschen aus dem Nahen Osten und der Türkei einfliegen, um sie an die EU-Grenzen zu schicken. Laut polnischem Geheimdienst werden die Migranten von bewaffneten belarussischen Spezialeinheiten dirigiert. Zuletzt beförderten Einheiten der belarussischen Armee rund 500 Migranten an die litauische Grenze. Dort reagierte man ähnlich wie in Polen und schickte die Armee an die Grenze.
Lukaschenkos Instrumentalisierung der Geflüchteten, die von Russlands Präsident Vladimir Putin unterstützt wird, ist eine Reaktion auf die wirtschaftlichen Sanktionen der EU gegen den autokratischen Staat. „Der letzte Diktator Europas“, dem regelmäßig Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land vorgeworfen werden, könnte die Europäische Union mit seiner hybriden Kriegsführung ebenfalls in eine Lage bringen, die menschenrechtlich bedenklich ist.
Polen verweigert EU-Hilfen
Die Europäische Union hatte Polen in den vergangenen Wochen mehrmals Hilfe beim Grenzmanagement angeboten. Polen müsste um diese Hilfe jedoch ansuchen, was sie bisher nicht tut. Die Europäische Grenzschutzagentur „Frontex“ mit Sitz in Warschau hat damit kein Mandat, um an der polnisch-belarussischen Grenze aktiv zu werden. Migrationsexperte Gerald Knaus befürchtet, dass die polnische Regierung keine EU-Behörden und Hilfsorganisationen an den Grenzen haben will, die etwaige Verstöße der polnischen Soldaten gegen EU-Recht oder Menschenrechte dokumentieren könnten. Er schlägt vor, Abkommen mit der Republik Moldau und der Ukraine zur Aufnahme der Migranten zu schließen. Damit wäre die EU nicht mehr erpressbar. Gleichzeitig beruhigt er: Bisher seien in Deutschland weniger Menschen aus Belarus angekommen als 2015 an einem einzigen Tag.
Angesichts mehrerer Todesfälle unter den Migranten fordern die österreichischen Grünen das Einsetzen eines funktionierenden Grenzmanagements. Seit gestern fallen immer wieder Schüsse an der polnischen Außengrenze. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg traf sich heute mit Polens Präsident Andrzej Duda, um über die angespannte Lage zu beraten. Er bezeichnete die Taktik Lukaschenkos als „nicht akzeptabel. Die NATO steht in Solidarität mit Polen und allen unseren Verbündeten in der Region“, so Stoltenberg.
Tausende Geflüchtete im Wald
Die Leidtragenden sind vor allem jene tausenden Geflüchteten, die ohne adäquate Versorgung in den weißrussischen Wäldern festsitzen. Von Lukaschenko nach Weißrussland eingeflogen, werden sie zum politischen Spielball, an dem sich die EU nicht die Finger verbrennen will. An der Erpressungstaktik des weißrussischen Autokraten dürfte auch die Türkei beteiligt sein. Denn die mit Migranten gefüllten Flugzeuge kommen aus Dubai, Damaskus aber auch aus Istanbul. Die EU-Kommission ließ mit einer Reaktion nicht lange auf sich warten. Fluggesellschaften, die an Lukaschenkos perfider Strategie beteiligt sind, sollen mit harten Sanktionen belegt werden.
Mahnungen aus Österreich
Österreichs Neoaußenminister Michael Linhart (ÖVP) ließ heute verlautbaren: „Wir müssen als Europäische Union zusammenstehen und uns entschlossen zur Wehr setzen. Das wird auch gezielte Maßnahmen gegen die Verantwortlichen in Minsk beinhalten“. Auch die EU-Abgeordnete Claudia Gamon (NEOS) fordert ein entschlossenes Vorgehen gegen Belarus: „Wir müssen gegenüber dem belarussischen Regime mit aller gebotenen Härte auftreten“.
(dp)
Titelbild: APA Picturedesk