Freitag, April 19, 2024

»Erinnern heißt verändern« – Jüdische Aktivisten überkleben Nazi-Straßenschilder

»Erinnern heißt verändern«

In der Nacht des 9. Novembers überklebten jüdische Aktivisten 23 historisch belastete Straßenschilder mit den Namen von Widerstandskämpfern.

 

Wien, 10. November 2021 | Am Dienstag jährte sich zum 83. Mal das Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung in Österreich und Deutschland in der Nacht auf den 10. November 1938. Damals wurden jüdische Mitbürger ermordet, ihre Geschäfte geplündert, Wohnungen verwüstet und Synagogen angezündet.

In Wien sind immer noch eine Reihe von Straßen nach Menschen benannt, die sich mit Antisemitismus, Unterstützung des Nationalsozialismus oder anderen menschenfeindlichen Aktionen einen Namen gemacht haben.

170 problematische Straßennamen

2013 präsentierte die von der Stadt Wien beauftragte Historiker-Kommission unter der Leitung des Zeithistorikers Oliver Rathkolb ihre kritische Untersuchung von 4.300 personenbezogenen Wiener Straßennamen. Das Ergebnis: Die Kommission stufte etwa 170 Straßennamen als problematisch ein, 28 davon seien sogar besonders bedenklich. Die Namensträger seien Personen, “die offensiv und nachhaltig antisemitische Einstellungen bzw. andere gruppenbezogene menschenfeindliche Vorurteile vertreten haben. Weiteres wurden hier eindeutig aktive Mitglieder der NSDAP und aktive Mitglieder der SS oder SA zugeordnet.”

Mittlerweile werden zwar viele dieser Straßenschilder mit Erklärtafeln ergänzt, das ist für die jüdischen Aktivisten jedoch zu wenig: Mit einer nächtlichen Aktion machten sie in der Nacht des 9. Novembers darauf aufmerksam, dass in Wien noch immer Straßen nach aktiven NSDAP-, SS- oder SA-Mitglieder, beziehungsweise offensiv antisemitischen Personen benannt sind. Sie überklebten 23 Straßentafeln mit Namen von Widerstandskämpfern.

Fotos: (c) Jüdischen österreichischen Hochschüler

JöH fordert offizielle Umbenennung

“Erinnern heißt verändern”, drängt die Jüdischen österreichischen Hochschüler (JöH) – und forderten die offizielle Umbenennung. “Wir befürworten die Aktion der jüdischen Aktivisten sehr stark. 83 Jahre nach den Novemberpogromen, 76 Jahre nach dem Ende der Shoah dürfen wir keine Nazis und Antisemitismus mehr würdigen, sondern müssen stattdessen Widerstandskämpfer den Platz einzuräumen, den sie verdienen. Wir fordern die Stadt Wien auf, die 23 Straßen auch offiziell umzubenennen!”, so Sashi Turkof, Co-Präsidentin der JöH.

Gegenüber ZackZack erklärt Turkof, dass sich diese Form von Akzeptanz der Stadt Wien gegenüber Ehrungen von Antisemiten dringend ändern müsse: “Wir sind der Meinung, dass Antisemiten ent-ehrt gehören, das Stadtbild muss sich dringend ändern. Dazu gehört auch die Umbenennung der Straßenschilder. Nicht-handeln ist eben auch eine starke Handlung”, betont Turkof gegenüber ZackZack und deutet auf die Karl-Lueger-Statur im ersten Wiener Gemeindebezirk. “Diese Statur sollte nicht einfach weiter dort stehen bleiben dürfen, sondern müsste längst entfernt werden. Diese Akzeptanz sehe ich als sehr problematisch an.”

Karl-Lueger-Platz wurde zum Platz-des-antifaschistischen-Widerstandes

Hier eine vollständige Liste der umbenannten Straßennamen:

  • -Boehringer-Gasse wurde zur Abba-Kovner-Gasse
  • Sebastian-Brunner-Gasse wurde zur Anna-Bertha-von-Königsegg-Gasse
  • Häußlergasse wurde zur Aron-Menczer-Gasse
  • Wiesingerstraße wurde zur August-Dickmann-Straße
  • Kloepferstraße wurde zur Chana-Szenes-Straße
  • Stelzhamergasse wurde zur Egon-Erwin Kisch-Gasse
  • Spundagasse wurde zur Elfriede-Hartmann-Gasse
  • Seefeldergasse wurde zur Elisabeth-Schilder-Gasse
  • Saßmanngasse wurde zur Erna-Musik-Gasse
  • Leopold-Kunschak-Platz wurde zum Platz-der-Gerechten-unter-den-Völkern
  • Robert-Lach-Gasse wurde zur Franz-Danneberg-Löw-Gasse
  • Müller-Guttenbrunn-Straße wurde zur Franz-Jägerstätter-Straße
  • Kasparekgasse wurde zur Gisi-Fleischmann-Gasse
  • Dusikagasse wurde zur Haviva-Reik-Gasse
  • Chvostekgasse wurde zur Herbert-Baum-Gasse
  • Josef-Schlesinger-Straße wurde zur Hilde-Krones-Straße
  • Karl-Lueger-Brücke wurde zur Julius-Deutsch-Brücke
  • Pschorngasse wurde zur Leopoldine-Kovarik-Gasse
  • Pfitznergasse wurde zur Lisa-Fittko-Gasse
  • Eberle-Gasse wurde zur Marianne-Baum-Gasse
  • Josef-Pommer-Gasse wurde zur Melanie-Berger-Volle-Gasse
  • Weldengasse wurde zur Mordechai-Anielewicz-Gasse
  • Karl-Lueger-Platz wurde zum Platz-des-antifaschistischen-Widerstandes
  • Manowardagasse wurde zur Resi-Pesendorfer-Gasse
  • Maria-Grengg-Gasse wurde zur Rosa-Hofmann-Gasse
  • Porschestraße wurde zur Franz-Danimann-Straße
  • Haberlandtgasse wurde zur Zivia-Lubetkin-Gasse

(jz)

Titelbild: Jüdische österreichische HochschülerInnen

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17 Kommentare

  1. Ich weiß nicht ob tilgen die richtige Lösung ist. Vielleicht würde sich dann niemand mehr z.Bsp. mit dem Aufkommen des Populismus unter Lueger und seinem strategischen Antisemitismus beschäftigen. Lueger war kein Antisemit (sein Lehrmeister war der jüdische Anwalt Lorenz Mandl), hat aber diese Strömung bedient und verstärkt, um Wiener Bürgermeister zu werden, wo er dann beachtliches leistete. Eine damnatio memoriae mag vordergründig moralisch richtig erscheinen – vielleicht wäre ich als geborener Jude noch viel extremer als diese Aktivisten – ist aber hinderlich, weil es das Verständis für diese historischen Prozesse verhindert.

  2. Ja unsere Geschichte haben wir noch nie restlos aufgearbeitet, deshalb konnte sie sich auch schon wieder wiederholen.

  3. Jüdische Aktivisten überkleben Nazi-Straßenschilder?

    Ähnliches passierte in Israel, wo Palästinenser adäquate Aktivitäten zeigten?

  4. Und das soll etwas bringen. Ist genauso falsch. Wenn es neutrale Namen wären, würde ich nichts sagen, aber so ist es falsch und die Statue soll bleiben, wo sie ist.

  5. Zu tilgen ist keine Lösung. Wie soll sich dann noch wer erinnern?

    Aber wer will heute noch echte Aufarbeitung? Schon die Art wie Deutschland seine 2. faschistische Geschichte (DDR) nicht aufgearbeitet hat, liegt das wohl im Zeitgeist.

    Und was meint ZZ eigentlich mit “jüdischen Aktivisten”? “Platz des antifaschistischen Widerstands” hört sich irgendwie nach Antifa an….und die standen noch nie für echte Erkenntnis und zivilisatorischen Fortschritt, sondern sind genau jene Kräfte, die eben jene Aufarbeitung Deutschlands unterminieren.

    Schaut für mich eher nach einer Instrumentalisierung aus. Und das haben sich die Juden ebenso nicht verdient.

    Diese Heuchelei, wie auch von PRW kürzlich vorexerziert, finde ich gelinde gesagt eher zum Kotzen.
    Wer mich deshalb nun für einen Rechten hält (viele hier tun das sowieso), der kann ja gern meine jüdische Verwandtschaft fragen. Einer lebt sogar noch, der selbst im KZ war. Seine Memoiren sind schon geschrieben…..

  6. Wäre es nicht so gefährlich könnte man darüber lachen …
    Die mittlerweile tödlichste Gefahr für europäische Juden haben die “Anti-Nazis” herbeigeklatscht.
    In Frankreich ist es bereits so weit. Dort verlassen jedes Jahr 10.000e französische Juden aus Sicherheitsgründen ihre Heimat und ziehen nach Israel oder in die USA.

    • Ich fürchte das ist etwas zu kurz gegriffen. Da gibt es schon auch noch vieles hier vor Ort, das schlicht nicht als das identifiziert und wahrgenommen wird, was es aber ist.

      Aber insgesamt stimme ich Ihnen trotzdem zu, auch dieses Problem gehört zu jenen, die man lieber unter der Decke hält. Wie so oft bleibt man zu sehr an der Oberfläche, und lässt das Wesen des Problems unberührt.

  7. Dieses Thema ist ein sehr ernsthaftes, vor allem für Österreich.
    Deswegen sollte man Worte und Aktionen sehr vorsichtig wählen und ich werde mich bemühen das zu tun. Falls ich das nicht mache bitte ich um entsprechende Richtigstellung, da ich niemanden mit meinen Worten verletzen möchte.

    Ich persönlich habe das Gefühl, dass der Antisemitismus leider wieder zunimmt und dass das unter anderem auch damit zu tun hat, dass der Zionismus mit dem Judentum gleichgestellt wird. Darunter leiden vor allem antizionistische Jüdinnen und Juden am meisten, die einerseits von ihren GlaubenskollegInnen angefeindet werden weil sie politisch meist links stehen und andererseits auch von Menschen die mit dem Judentum per se ein Problem haben.

    Kürzlich wurde beispielsweise der Pfizer CEO Bourla mit dem sogenannten Theodor Herzl Preis ausgezeichnet, doch niemand berichtet darüber. Weiß man das nicht oder darf man das nicht wissen? https://www.worldjewishcongress.org/en/theodor-herzl-award

  8. Wenn man es wirklich ernst meint sofort alles was mit Maria Theresia und ihrem Sohn Leopold zu tun hat schleifen und umbenennen. Oder die Kirche im Dorf lassen und die, für eine verschwindent geringe Minderheit, problematischen Strassennamen und Plätze mit einer Zusatztafel kennzeichnen.

  9. Eine gute und gerechtfertigte Aktion. Der Wiener Magistrat sollte ernsthaft darauf reagieren.

  10. Der Grundgedanke ist gut, eine Änderung muss man aber politisch im Rotlila Wien durchsetzen. Ein überkleben von Straßenschildern, egal von welcher Seite es kommt, ist eine Sachbeschädigung und somit eine Straftat!

  11. Traurige Zeit !! Heute heißt es Geimpfte gegen Ungeimpfte ! Oder Österreicher gegen Österreicher !!
    Schämt Euch…..

  12. Österreich hat ein Problem. Ein grosses. Mit sich selber. Schafft es einfach nicht, sich von Widerwärtigkeiten zu distanzieren. Erfindet lieber neue.

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