Donnerstag, April 18, 2024

Alte polnische Dame kämpft für Flüchtlinge

In Polen setzt sich eine Aktivistin mit einer beeindruckenden Vorgeschichte im Alter von 94 Jahren für Flüchtlinge und gegen die rechtskonservative Politik in ihrem Land ein.

Warschau, 11. November 2021 | „Halt die Klappe, du Idiot! Dreckiger Tyrann.“, ruft die kleine alte Dame ins Mikrofon. Sie beschimpft die Rechtsextremen, die eine Pro-EU-Demonstration in Warschau stören. Wanda Traczyk-Stawska scheut keine Auseinandersetzung, auch mit 94 Jahren nicht. Vor 80 Jahren kämpfte sie gegen die Nazis, heute setzt sie sich für den Verbleib Polens in der EU und für Flüchtlinge ein.

Aktivistin, Soldatin, Widerstandskämpferin

Bei der Demonstration im Oktober gingen Zehntausende für die Europäische Union auf die Straße, nachdem das polnische Verfassungsgericht den Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht infrage gestellt hatte. Ganz vorn mit dabei: die zierliche Wanda Traczyk-Stawska, mit Militärbarett auf dem Kopf und der Armbinde der einstigen Widerstandskämpfer gegen die Nazis. „Ich bin Soldatin, ich nehme kein Blatt vor dem Mund.“, sagt Traczyk-Stawska später bei einer Tasse Tee in ihrem Haus am Stadtrand von Warschau. Vor dem Eingang wehen eine polnische und eine EU-Flagge.

Traczyk-Stawska war zwölf Jahre alt, als die Wehrmacht in Polen einmarschierte. Als Pfadfinderin schloss sie sich dem Widerstand an und beteiligte sich an Sabotageakten. Ihr Deckname: Krapfen. Auch beim Warschauer Aufstand im August 1944 war sie dabei, als eine der 50.000 Widerstandskämpfe, die gegen die nationalsozialistischen Besatzer aufbegehrten. Traczyk-Stawska trug sogar ein Maschinengewehr – eine große Ausnahme damals für Mädchen. In den 63 Tagen des Aufstandes starben fast 200.000 Zivilisten und Kämpfer, die ganze Stadt lag in Trümmern. Die Nazis hielten Traczyk-Stawska gefangen, bis sie 1945 von polnischen Truppen aus dem Lager Oberlangen befreit wurde. Nach dem Krieg arbeitete sie als Lehrerin in einem Zentrum für behinderte Kinder. Am gestrigen Mittwoch wurde sie zur Warschauerin des Jahres 2021 gekürt.

Einsatz für EU

Ihren Kampfgeist hat sich die Traczyk-Stawska bewahrt. Heute stellt sie sich den Euroskeptikern der nationalistischen Regierung in Polen entgegen. Der Verbleib in der EU “ist eine Frage der nationalen Sicherheit”, sagt sie. “Was würde passieren, wenn wir die EU verlassen? Wir haben bereits die Erfahrung von 1939 gemacht”, als Polen auf der einen Seite Hitler-Deutschland, auf der anderen der Sowjetunion allein gegenüberstand. “Das ist die schlimmste Gefahr für uns, wir wären wie eine Fliege vor einem Elefanten”, warnt Traczyk-Stawska mit starker Stimme, die so gar nicht zu ihrer schmächtigen Statur zu passen scheint. Bei der Demonstration im Oktober sei sie deshalb wütend gewesen, als die Rechtsextremen die Kundgebung störten. “Ich bin auf die Bühne gegangen, um zu sagen, von welchem Polen wir Veteranen des Aufstandes träumten – einem toleranten und gütigen Polen.” Nach ihrem Auftritt erhielt Traczyk-Stawska anonyme Morddrohungen.

Brutales Vorgehen an polnischer Grenze

Am Donnerstag, dem polnischen Unabhängigkeitstag, wurden nun Zehntausende Rechtsextreme und Nationalisten zu einem Marsch durch Warschau erwartet. Nicht nur der zunehmende Nationalismus, sondern auch der Umgang mit den Flüchtlingen an der Grenze zwischen Polen und Belarus bereitet Traczyk-Stawska Sorgen. Tausende Migranten irren seit Tagen bei eisiger Kälte im Grenzgebiet umher. Nach Angaben der Tageszeitung “Gazeta Wyborcza” kamen dort bereits zehn Menschen ums Leben, sieben auf polnischer Seite. Brüssel wirft dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, die Flüchtlinge absichtlich an die Grenze zu schleusen, um sich für die EU-Sanktionen zu rächen, die wegen seines brutalen Vorgehen gegen die Opposition verhängt wurden.

Tausende polnische Soldaten sind an der Grenze stationiert und drängen die Migranten, auch Frauen und Kinder, wieder nach Belarus zurück. „Die Art und Weise, wie Kinder an der Grenze behandelt werden, ist beschämend.”, sagt Traczyk-Stawska und denkt zurück an ihre eigene Kindheit, als sie mitansehen musste, wie Nazis “Spaß daran hatten, Babys zu erschießen”. Am liebsten würde sich die einstige Widerstandskämpferin auch heute dem unmenschlichen Vorgehen entgegenstellen. „Aber wir haben nicht mehr die Kraft, uns dagegen zu wehren”, sagt die 94-Jährige. „Ich bedaure, dass ich so alt und gebrechlich bin.”

 

(apa)

Titelbild: APA Picturedesk

Nura Wagner
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24 Kommentare

  1. “trug sogar ein Maschinengewehr” … also für die Männer die damit dann sogar schossen… ein Flintenweib also …

    • K****brockIN, elendige die sie sind. Es bräuchte viel mehr solcher Menschen wie diese alte Dame.

      • Ja klar, … wenn man selber nix hat, hat man auch selber nix zu verlieren … da kann man schon ne Menge warme Luft von sich geben … hat eigentlich die Gute schon mal wer gefragt, was sie davon halten würde, wenn irgendwelche ach so bemitleidenswürdigen Islamistenbubis ihren tiefstkatholischen Urenkerln das Kopftuch und den Halbmond aufzwingen würde ?

  2. Es gibt noch Menschen!

    Diese mutige Frau hat meinen Respekt und Ehrfurcht. Danke!

  3. Von deutscher Seite hört man zu den Rückschiebungen der Polen sehr, sehr wenig.
    Das ist Doppelmoral der Sonderklasse: Jeder ist gegen Pushbacks, außer es besteht die reale Gefahr,
    dass sich die (zu einem beträchtlichen Teil gewaltbereiten) Migranten in seiner Nähe niederlassen.

    Deutschland könnte doch seine Herzen, Tore und Brieftaschen öffnen ….
    “Einwanderer mit Regierungschef” auf einem Selfie garantiert auch die nächste Million Migranten.

  4. Kämpfte gegen Hitlers Nationalsozialismus, und kämpft jetzt gegen den Faschismus in Polen.
    Es war nicht nur Hitler alleine, es sind auch die polnischen Rechtsextremen nicht alleine. Sie kämpft ihr Leben lang gegen ganze Massen

    • Ja, die gibt es. Es gibt radikale Strömungen in allen Weltreligionen. Die vermutlich radikalste unter den Christen sind die US amerikanischen Evangelisten während die vermutlich radikalste Strömung unter den Muslimen die Saudi Arabischen Wahhabisten sind. Diese beiden haben auch länderübergreifend einen enormen Einfluss. Allerdings gibt es auch Orte wie Syrien oder Libanon, wo Christen und Muslime seit Ewigkeiten zusammenleben. Leider werden Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit gegeneinander aufgehetzt, da Krieg profitabel ist. Sehen Sie sich den Fall am Balkan an, wo sich Katholiken (Kroaten), Orthodoxe (Serben) und Muslime (Bosnier) gegenseitig umbrachten obwohl sie die selbe Sprache sprechen und de facto auch die selben Leute sind. Die kroatischen Ustascha haben viel Leid angerichtet, allerdings die serbischen Orthodoxen ebenfalls. Kurz gesagt, in jeder Religion gibt es Radikale und Moderate. Ein anderes positives erwähnenswertes Beispiel ist Albanien, dort leben Christen und Muslime ebenfalls friedlich nebeneinander. Politik und Religion sind leider sehr verstrickt und es ist schwierig geopolitisch noch durchzublicken.

    • Und ob. Bible belt, fundamentalistische sogenannte christen. Polnische papstanhänher.

  5. Chapeau Frau Traczyk-Stawska, Chapeau!
    Lukaschenko ist sowieso indiskutabel und kriminell.
    Die polnische Regierung ist nationalistisch, verachtenswert, menschenverachtend und durch ihre Push Backs kriminell und verstößt gegen EU Recht.
    Aber unser Nehammerl solidarisiert sich natürlich sofort mit Polen.

    • Das ist das Problem: Lukaschenko ist ein radikaler Kommunist und Polens Regierung ist radikal rechtskonservativ.

      Deswegen ist es schwierig das Ganze mit “rechts” und “links” zu argumentieren. Vielleicht kann Elke Kahr in Minsk vermitteln als gemäßigte Kommunistin und vielleicht können Leute aus der gemäßigten NATO Rechten vermitteln.

      Solidarisch müsste man aus Menschlichkeit mit den MigrantInnen sein, allerdings sind diese ebenfalls ein geopolitischer Spielball und wer denkt, dass die Wahhabis in Saudi Arabien und die Revolutionsgarde aus dem Iran nicht auch an die polnische Grenze schauen der/die hat die letzten zehn bis zwanzig Jahre vermutlich unter einem Stein verbracht.

      Es braucht Friedensvorschläge für den Nahen Osten, denn wenn es dort Stabilität gibt, dann gibt es weniger Fluchtströmungen, ob diese nun ökonomisch oder geopolitisch motiviert sind ist dabei zweitrangig.

      Mit rechts und links kommen wir hier nicht weiter. Auch mit Christen, Juden, Muslime, etc. kommen wir nicht mehr weiter. Das Schubladendenken hat ausgedient. Es wird am Ende des Tages einen Dialog zwischen Washington/Tel Aviv und Moskau/Teheran brauchen. Österreich wäre als neutrales Land der ideale Vermittlungsort dafür, aber die ÖVP denkt wir sind schon in der NATO und checkt Geopolitik nicht wirklich. Oder sie checkt Geopolitik doch und versucht es wie Polen mit Rechtspopulismsus. Abwarten, hoffen und Tee trinken. Peace.

      • Österreich wäre als neutrales Land……
        Mit den jetzigen Politikern ist kein Blumentopf zu gewinnen. In ganz Europa ist ein politischer Supergau!
        Keiner hat die Größe eines Lech Wałęsa, Helmut Schmidt, Willi Brandt, Ben Wisch, Rabin oder Kreisky etc.
        Von der Regierung ganz zu schweigen.
        Von denen sieht sowieso keiner über den Tellerrand hinaus.

        • Ich vermisse Yitzhak Rabin ebenfalls und ich denke da geht es vielen anderen auch so.

    • Der flex ist auch nicht der hellste stern am firmament, und empathielos wie die restliche schwürkise truppe.

      • Nehammers Antwort auf jede Frage ist mehr Polizei, von Politik hat dieser Mensch keine Ahnung. Vor allem nicht von Geopolitik.

  6. Respekt für Ihren Einsatz Frau Traczyk-Stawska.

    Das Problem ist halt leider, dass sowohl Polen als auch Weißrussland als Spielball im Stellvertreterkrieg missbraucht werden. Leider geht es hier nicht um Migranten, sondern um Washington gehen Moskau.

    Washington schickt das Pokemon aus Warschau im Team NATO in den Kampf und Moskau schickt das Pokemon aus Minsk im Team Ostblock in den Kampf. Gefangen dazwischen die beiden Zivilbevölkerungen und natürlich die für politisches Kapital missbrauchten MigrantInnen.

    Diese Geopolitik ist zum Kotzen. Es wird darauf hinauslaufen, dass die EU noch enger mit der NATO verbandelt wird was Österreich mit dem Staatsvertrag in Schwierigkeiten bringt.

    Aber es ist alles gut, reden wir wieder über Lockdowns. Nothing to see here.

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