Samstag, April 20, 2024

Revolten, Impfgegner und Staatsfeinde

Was haben die Proteste in Europa gegen die Corona-Politik zu bedeuten? Wer protestiert dort und wie geht es unserem Staat?

Elsbeth Wallnöfer

Wien, 27. November 2021 | Was wir derzeit in den Straßen europäischer Städte vorgeführt bekommen, scheint auf den ersten Blick tatsächlich wie der Vollzug eines Grundrechtes. Da ist viel die Rede vom Recht auf individuelle Freiheit, vom Recht auf den eigenen Körper, vom Terror des Staates, der diese zu beschneiden beabsichtigt. Im Selbstverständnis der Demonstrierenden scheint das oberste Prinzip einer Demokratie, in der Verwirklichung individueller Freiheit zu liegen. Liberale stimmen dem bereitwillig wie verfrüht zu. Sie verkennen dabei, dass das Individuum im Staat als Einzelner auftritt, aber auch in seiner rechtlichen Dimension existiert, also als personale, rechtliche Größe Teil des Staates (Staatsbürger) ist, das mit Rechten wie Pflichten (!) ausgestattet ist.

Gegen „den Staat“

Sind brüllende, geifernde und spuckende Demonstranten, die das Gemeinwohl gefährden, alles Individuen, die aus persönlicher Sorge um Leib und Leben die Impfung verweigern? Es fällt nicht leicht, angesichts der Raserei mit der die Anheizer*innen im Demonstrationszug gegen „den Staat“ hetzen, und dem im Kollektiv gleichlaufenden wie gleichstimmigen Mob, derlei zu glauben.

Chose ist viel mehr: Wir haben es hier mit politischen Revolten zu tun, angetrieben von einer Fraktion demokratiefeindlicher alter und neuer Rechter, die genau wissen, dass sie mit derzeitigem diffusem Unmut Politik machen können. Ziel der Initiatoren ist es nicht, die Freiheit und gesundheitliche Integrität Einzelner, das personale Individuum vor dem Zugriff des Staates, zu schützen. Es geht nicht um Schutz, es geht um Angriff; Mit der Absicht, den demokratischen Staat zu destabilisieren.

Narren, die glauben, es handele sich um verängstigte Menschen, die sich vor einer Impfung fürchten. Tore, die meinen, das sei mehrheitlich die besorgte „Mitte“ der Gesellschaft. Diese Revolten offenbaren ein hohes Ausmaß an Staats- und Republikfeindlichkeit. Diesen brüllenden, keifenden, spuckenden „Normalos“, wie sie gern und etwas hilflos bezeichnet werden, ist das Impfthema bloß Anlass zur Insubordination.

Kanzlerproblem

Wenngleich außer Streit gestellt sein will, dass es unter Impfgegner*innen vereinzelt ängstliche wie besorgte Impfskeptiker gibt. Es ist jedoch diese brandgefährliche Mischung skandierender „Volksbewegung“, die einen Grund, einen gemeinsamen Nenner/Feind braucht, um „Normale“ für ihre Bewegung, ihre Interessen, einzuspannen. Diese Covid-Krise ist ein Segen für Staatsgegner à la paneuropäische Rechte. Ebensolches Glück ist für diese unser Führungsstab. Der feiert eine Weihnachtsparty ab, klatscht zu Schlagern, ein bissl gewöhnlich wie sonst nur sein Pöbel, während er uns gerade mal zum Milch kaufen raust lässt, um einmal mehr jene zu bestätigen.

Anstatt mit den Oppositionsparteien gemeinsam einen Weg aus der tristen Lage zu suchen, bevorzugen sie aus Partikularinteressen zu zögern, Entscheidungen zu verschleppen, absurde, unwahre Statements abzugeben. Dies zeugt von bemerkenswerter Führungsschwäche und Blasiertheit, ist trocken Holz, um den Mob zu befeuern. So wird die Covid-Krise zu einer Staats- und Gewaltenkrise und wer sich den Finger wund schreibt, um für die Durchsetzungsrechte des Individuums zu plädieren, dient sich dem revoltierenden „Wir sind das Volk“ an, goutiert und befördert die Destabilisierung unserer Demokratie. Kritik am Krisenmanagement dieser Regierung ist angebracht, einen Kanzler an der Spitze einer Regierung zu wissen, der nicht gewählt ist, macht dies alles nicht leichter.

Keine „normale Mitte“

Die ungustiöse politische Praxis der letzten Tage befördert die Erosion des Respekts vor dem Staat. Türkis ist keine Volkspartei, vielmehr ein Klientelclub. Die Strategie, den jetzigen Kanzler als Platz- und Statthalter einzusetzen, trägt auch nicht dazu bei, Zweifel auszuräumen. Dies sollte Grund für die letzten verbliebenen Volksparteiler*innen sein, die Partei zurückzuerobern.Der Koalitionspartner wiederum ist nur Sekundant, der schweigt, duldet und fügsam mitläuft. Regierung und Bundespräsident klatschen munter bei der „Licht ins Dunkel“- Party. Sollte die Lage gar zu unerträglich werden, hält der HBP einfach wieder eine sülzig-tröstliche Sonntagsrede.Ein schwacher Staat, mit einer tütteligen Regierung, wird leicht zum Opfer jener, deren Interessen dahin gehen, diesen zu destabilisieren.

Die gesellschaftlich-soziale Melange im Demonstrationszug, die naiv als „normale Mitte“ gedeutet wird, ist nichts als ein Teil der Summe eines „Volkes“, ein Ausschnitt von Staatsbürgern*innen, die sich einmal mehr, einmal weniger bewusst, Staatsfeinden anschließen. Wir befinden uns in einer Staats- und Regierungskrise, das haben uns die Ereignisse vom Samstag gezeigt. Es geht hier nicht mehr um die Impfung, es geht um politische Revolte. Diese Regierung, deren staatspolitisches Gespür gerade mal für Schönwetter ausreicht, ist ein leichtsinniges Kabinett. Es begreift das Ausmaß seiner politischen Aufgaben nicht, sonst hätte es längst begriffen, dass wir es hier mit politischer Meuterei zu tun haben.

Titelbild: APA Picturedesk

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

190 Kommentare

Kommentarfunktion ist geschlossen.

Jetzt: Polizeiäffäre "Pilnacek"

Denn: ZackZack bist auch DU!