Donnerstag, Oktober 10, 2024

Showdown um Brauns U-Haft

In wenigen Tagen entscheidet das Münchner Oberlandesgericht, ob Ex-Wirecard-Boss Markus Braun aus der Untersuchungshaft entlassen wird. Der ÖVP-Finanzier startete zuletzt eine PR-Offensive, Insolvenzverwalter Jaffé trübt aber die Stimmung. Die Hintergründe:

Wien, 30. November 2021 | Die Wirecard-Affäre spitzt sich zu. Im Fokus steht Markus Braun, Ex-CEO des insolventen Münchner Zahlungsdienstleisters und ÖVP-Großspender.

Bereits seit Juli 2020 sitzt der Österreicher in Untersuchungshaft, während sein ehemaliger Vorstandskollege Jan Marsalek per internationalem Haftbefehl gesucht wird. Umso wichtiger ist für Braun die Entkräftung zentraler Vorwürfe. Die letzten Tage verliefen für den einst gefeierten Wirecard-Boss einigermaßen turbulent.

PR-Offensive von Braun-Anwalt

So konnte man vor gut einer Woche lesen, dass sich die Situation für Braun bald schlagartig verbessern könnte. Hintergrund ist eine PR-Offensive des gefallenen Managers. Tenor: die fehlenden Milliarden aus dem Drittpartnergeschäft (TPA) in Asien hätten entgegen aller bisherigen Erkenntnisse doch existiert. Das Geld sei via Offshore-Konstruktionen vom Asien-Verantwortlichen Marsalek massenweise abgesaugt worden – ohne Kenntnis seines Chefs Braun, wie dessen Anwälte sagen. Insofern könne der Konzern und damit auch Braun als Chef nicht dafür haftbar gemacht werden. Als Beleg dienen neu aufgetauchte Geldflüsse, über die “SZ”, “NDR” und “WDR” berichteten. Können die Anwälte ihre Theorie beweisen, würde sich das auf die Ermittlungen maßgeblich auswirken. Medial wurde deshalb über eine baldige Entlassung Brauns aus der U-Haft spekuliert. Und zwar just, als sein Strafverteidiger Alfred Dierlamm im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung genau diese Forderung stellte. Über eine etwaige Haftverlängerung entscheidet das Münchner Oberlandesgericht (OLG) in wenigen Tagen.

Die Wirecard AG war ein Münchner Zahlungsdienstleistungskonzern, eine Art Paypal für Unternehmen. Jahrelang kannte der Finanzriese nur den Weg nach oben, verdrängte die Commerzbank aus dem bedeutendsten deutschen Aktienindex DAX. Von der Politik hofiert und den Geheimdiensten umgarnt, schaffte es Wirecard zeitweise jede Kritik an Scheingeschäften und Bilanztricks als Schmutzkampagne der Konkurrenz zu brandmarken. „FT“-Journalist Dan McCrum, aber auch andere Kritiker wurden bedroht, in Fallen gelockt. Doch am Ende deckten McCrum & Co. den größten Finanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte auf. Zentral dabei: Wirecard konnte die Existenz von knapp zwei Milliarden Euro nicht nachweisen.

Die Affäre hat auch zahlreiche Österreich-Stränge. Jüngste Erkenntnisse rund um neue dubiose Geldflüsse nähren den Verdacht, dass der Konzern lange von mächtigen Akteuren geschützt und von seiner Spitze systematisch ausgeplündert worden ist. Über 40.000 Gläubiger und Aktionäre wollen knapp 16 Milliarden zurück – mit wenig Aussicht auf Erfolg.

Braun sieht sich als Opfer einer kriminellen Vereinigung rund um Marsalek. Von dessen wildem Treiben will Braun nichts mitbekommen haben. Auch das wäre schlecht für einen Boss, der laut ehemaligen Weggefährten nichts dem Zufall überlassen haben soll. Die Staatsanwaltschaft München vermutet aber, dass Braun selbst Kopf der kriminellen Wirecard-Bande war. Man ermittle „unverändert weiter ergebnisoffen wegen aller in Betracht kommender Straftaten“, wie es gegenüber ZackZack heißt. Die Vorwürfe wiegen schwer: Gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Marktmanipulation, unrichtige Darstellung, Untreue. Was wie das raue Ende eines Mafiafilms klingt, könnte Braun bis zu zehn Jahren Gefängnis bringen. Der Wiener weist die Vorwürfe seit jeher zurück.

Insolvenzverwalter erhöht Druck auf Braun

Mit Insolvenzverwalter Michael Jaffé stehe man in engem Austausch, so die Staatsanwaltschaft weiter. Jaffé ist es auch, der Brauns Erwartungen dämpfen dürfte. Nach einer Sichtung von Kontoauszügen vermeintlicher Wirecard-Treuhandkonten und einer Prüfung bezüglich TPA-Geschäft kommt er zum klaren Schluss: „Das TPA-Geschäft hat es nicht gegeben“. Im neuesten Bericht zerreißt Jaffé die Verteidigungslinie Brauns. Zumal sich laut Insolvenzverwalter auch noch kein Geschäftspartner aus Asien wegen möglicher Ansprüche gemeldet habe. Die Legende von den abgesaugten Milliarden aus Asien sei „endgültig wiederlegt“.

In seinen Ausführungen zeigt sich Jaffé zudem enttäuscht von den Wirtschaftsprüfern des Konzerns EY, die „jede Mitwirkung bei der Aufklärung der Vorgänge verweigert“ hätten. Mit der Veröffentlichung des sogenannten „Wambach-Berichts“ ist das Prüferversagen im Fall Wirecard vom “Handelsblatt” für alle nachvollziehbar dokumentiert worden.

Geldwäschevorwürfe nicht neu

Wie das Wirtschaftsmagazin „Capital“ festhält

, kam auch schon die Anwaltskanzlei Gibson Dunn zum Schluss, das TPA-Geschäft in Asien habe wenn überhaupt nur vereinzelt existiert. Die Kanzlei hatte Geldflüsse der konzerneigenen Wirecard Bank untersucht. Bei der Bank könnte es sich um eine riesige Geldwaschmaschine für dunkle Geschäfte gehandelt haben. Ein schmutziges Anhängsel des Mutterkonzerns, wenn man so will. Stichwort Geheimdienste, die im Umfeld von Wirecard immer wieder auftauchen. Das zeigt auch eine gemeinsame Investigativrecherche von ZackZack, „Spiegel“ und „Standard“, die Wien (neben München, Berlin, Singapur und Dubai) einmal mehr als einen der Hotspots des Wirecard-Umfelds illustriert.

Konten bei der Wirecard Bank hatte übrigens auch Oligarch Dmytro Firtasch. Der wechselte dorthin, weil ihn die Raiffeisen aufgrund der Korruptions- und Mafiavorwürfe fallen gelassen haben will. Bis dahin war der Ukrainer nach Oleg Deripaska zweitwichtigster Raiffeisen-Kunde gewesen. Neu ist das alles nicht, laut Anwälte von Braun aber entlastend für ihn. Bei den meisten Nebensträngen und Verästelungen der Wirecard-Affäre steht vor allem Marsalek im Fokus der Berichterstattung. Hat Boss Braun also jahrelang nicht gewusst, was sein Vorstandskollege mit dem gesamten Konzerngeflecht getrieben hat?

Fake-Identitäten

Immerhin soll auch Braun ein Schattendasein mit verschiedenen Pässen und Künstlernamen geführt haben. Der Ex-Manager selbst bestreitet das zwar, allerdings prüfen die Ermittler diesen Verdacht. Eine der Identitäten soll laut Bericht der „FAZ“ ein britischer Reisepass mit der Nummer GBR7002184M2911054 gewesen sein. Mit Hilfe der Fake-Identität „Russel Brown“ soll Braun ein Citibank-Konto eröffnet haben, wie andere „mit hohen Geldbeträgen ausgestattet“. Ahnte er aufzufliegen? Zumindest legt das ein ominöses Schreiben eines gewissen Chelong Tan nahe.

Fabio de Masi glaubt jedenfalls der Braun-Erzählung nicht. Der Ex-Linken-Politiker deckte im Wirecard-U-Ausschuss des Deutschen Bundestags einige Merkwürdigkeiten auf. Laut ihm habe Markus Braun „auch privat auffällige Transaktionen mit Herrn Marsalek getätigt und dazu die Wirecard Bank genutzt. Er war daran beteiligt, weitere Gelder an dubiose Partnerfirmen rauszuziehen, als dem Vorstand längst klar war, dass Wirecard bald über keine Liquidität verfügt.“

“Jedes Detail im Unternehmen kontrolliert”

Im digitalen Orbit hat Braun zwar deutlich weniger Spuren als Marsalek hinterlassen. Das dürfte zum Gutteil daran liegen, dass er bei der Wirecard-Razzia gerade zufällig in seinem Heimatland Österreich war. Sein Smartphone musste Braun erst in Deutschland abgeben. Er hatte also tagelang Zeit, es erfolgreicher zu säubern als etwa Thomas Schmid. Zeugen, unter anderem ehemalige Vertraute, belasten Braun dennoch schwer.

„Er hat seine Kommunikation komplett abgeschottet und jedes Detail im Unternehmen kontrolliert. Das Drittpartnergeschäft war Fake, wie sowohl der Untersuchungsausschuss als auch der Insolvenzverwalter glasklar ermittelt haben. Die neuen Zahlungsströme rund um Geldwäsche belasten Herrn Braun und entlasten ihn nicht. Egal, wer eine schützende Hand über ihn halten will. Sein Anwalt oder Nachrichtendienste, die seine Dienste mutmaßlich nutzten“, so de Masi weiter.

Wie das OLG München die neu aufgetauchten Geldflüsse mit Blick auf Brauns U-Haft-Status bewertet, wissen wir in ein paar Tagen. Für Markus Braun gilt die Unschuldsvermutung.

(wb)

Lesen Sie auch: “Sebastian Kurz und Markus Braun: So eng war ihr Verhältnis”

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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