Freitag, März 29, 2024

Dreschflegel als Kanzler: St. Pölten statt Budapest

Zum Schluss ging es schnell. Plötzlich steht der Führer nicht mehr in der Auslage. Aber das Geschäft geht weiter. Nach dem Kurzschluss versucht das ÖVP-Regime, ohne seinen verglühten Stern weiterzumachen. Unter Nehammer und Mikl-Leitner wird Wien nicht Budapest, sondern St. Pölten.

 

Peter Pilz

Wien, 3. Dezember 2021 | Ich erinnere mich: Vor vier Jahren sind wir vor einer Übermacht gestanden. Christian Pilnacek kontrollierte die Strafjustiz. Kripo-Chef Andreas Holzer sorgte für „öffentliche Sicherheit“. Gerald Fleischmann hielt den Boulevard und die Spitze des ORF mit Inseratenzucker und Peitsche auf Kurs. 2019 wurden sogar die Grünen mitgenommen. Die FPÖ stand verloren in ihrem Trümmerfeld, die Neos bemühten sich und die SPÖ wusste noch immer nicht, was zu tun war.

2019 hielten ein paar Brückenköpfe, aber niemand von uns wusste, wie lange die WKStA den konzentrierten Attacken von Kurz, Pilnacek, OStA Wien und SOKO Ibiza standhalten würde; ob völlig unabhängige Medien wie ZackZack überleben würden; und ob Sebastian Kurz die letzten Mauern, die ihn von der Orbán´schen Herrschaft trennten, durchbrechen könnte.

Er hat es nicht geschafft. 2020 scheiterte der von Kurz persönlich geführte Generalangriff auf das „Netzwerk roter Staatsanwälte“. Von da an war Kurz in der Defensive. Mit der Durchsuchung bei Blümel drangen die Ermittler plötzlich ganz in die Nähe des Kanzlers ein. ZackZack konnte zur gleichen Zeit die erste türkise Millionenklage abwehren. Dann kam die Hausdurchsuchung bei Kurz.

Zum Schluss lief alles schief. Mit „Lewisch“ und „Aicher“ erwiesen sich die letzten Verteidigungsversuche als Schüsse in die eigenen Knie. Umfragen zeigten, dass Kurz mit der ÖVP an Rendi-Wagner und Kickl vorbei abstürzte. Sie blieben unter Verschluss. Immer mehr „Granden“, wie sich die hochrangigen Mitläufer in der ÖVP nennen lassen, wussten, dass sie mit Kurz das eigene letzte Hemd riskierten. Der Führer war nur noch eine Last. Er musste weg, damit die anderen bleiben und weiterregieren konnten.

Darum geht es jetzt. Das ÖVP-Regime will überleben. Mit Pilnacek, Brandstetter, Thomas Schmid und jetzt Kurz sind wichtige Säulen weggebrochen. Aber das Netz aus Kurz-Ministern, OStA Wien, Bundeskriminalamt, dem neuen Nehammer-Geheimdienst DSN, Inseraten-Boulevard, treuen Zeitungen wie Kurier und Presse und ORF-Führung hält. Noch.

Regime der Dreschflegel

Seit 1986 sitzt die ÖVP mit einer kurzen Bierlein-Unterbrechung in jeder Bundesregierung. Der türkise Griff nach der ganzen Macht ist diesmal gescheitert. Der Weg, auf dem Sebastian Kurz als Führer vorangehen wollte, ist zu Ende. Kurz wollte der Wiener Orbán werden. Jetzt schraubt die alte Garde der ÖVP die Ansprüche zurück: Wien soll nicht Budapest, sondern St. Pölten werden.

St. Pölten ist das Kleinformat des Regimes, das Kurz im Großen plante. Hier sind Medien längst gleichgeschaltet und Beamte treue Diener einer einzigen Partei. Die ÖVP Niederösterreich war immer das Zentrum der autoritären ÖVP, für die Pressefreiheit, Rechtsstaat und Demokratie wesensfremd waren. Mit Wolfgang Sobotka und Karl Nehammer kommen die beiden Dreschflegel der Partei aus Niederösterreich. Eine von ihnen bleibt Nationalratspräsident, der zweite wird Kanzler.

Im Regierungsviertel von St.Pölten, im Nationalratspräsidium und im Wiener Innenministerium sind Politiker, die sich für Panzer halten, erfolgreich. Aber im Bundeskanzleramt geht es um mehr: um politische Führung, egal, ob sie auf Überzeugung oder Propaganda baut.

Nehammer kann das nicht. Als alter Parteipanzer ist er der schnellen Einsatzgruppe „Kickl“ unterlegen. Und dort, wo es um Antworten auf große Fragen geht, bestehen berechtigte Zweifel, dass die Fragen bereits zu ihm durchgedrungen sind.

Karl Nehammer ist das letztes Aufgebot, um die ÖVP an der Macht zu halten. Die Zeit ist reif für eine Alternative ohne ÖVP. Aber sind SPÖ, Neos und Grüne reif für die Zeit?

Titelbild: APA Picturedesk

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