Dienstag, September 10, 2024

30. Frauenmord in Österreich – »Die Behörden sind gefordert, die Frauen endlich ernst zu nehmen«

30. Frauenmord in Österreich:

Österreich ist bei Morden an Frauen trauriger Rekordhalter in der europäischen Union. Warum und was getan werden muss, erklärt Maria Rösslhumer, Leiterin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF), im ZackZack-Interview.

Wien, 04. Dezember 2021 | Eine Frau wurde am Dienstag tot in ihrem Kellerabteil in Wien-Brigittenau entdeckt. Das Obduktionsergebnis: “Tod durch Ersticken”. Der mutmaßliche Täter: Ihr Mann.

Österreich zählt somit den 30. Femizid in diesem Jahr. Das sind 30 zu viel, wie Frauenrechtlerin und Leiterin des Vereins Autonome Österreichischen Frauenhäuser (AÖF), Maria Rösslhumer, findet. Im Gespräch mit ZackZack erzählt sie, was konkret getan werden muss, um weitere Morde an Frauen zu verhindern – und dass Maßnahmenpaket gegen häusliche Gewalt immer noch nicht ausreichend umgesetzt wird.

Am Wiener Yppenplatz gibt es einen Wand, die tiefschwarz angemalt ist. Darauf steht in rot die Anzahl von Femiziden in Österreich seit Anfang des Jahres 2021. Die Zahl wird traurigerweise ständig aktualisiert, bzw. übermalt. / Foto: Kollektiv-Kimäre/Viva La Vulva

ZackZack: Frau Rösslhumer, jetzt wurde in Österreich schon die 30. Frau von ihrem (Ex-) Partner ermordet. Was fordert der AÖF konkret, damit die Zahl der ermordeten Frauen nicht noch weiter ansteigt?

Rösslhumer: Wir fordern ein Maßnahmenpaket, das auch wirklich umgesetzt wird. Es bringt nichts, ein Maßnahmenpaket zu schüren, wenn es dann nicht umgesetzt wird.

ZackZack: Was muss die Politik konkret tun, um häusliche Gewalt zu reduzieren?

Rösslhumer: Wir sind noch weit von einer Gleichstellung entfernt. Frauen werden immer mehr diskriminiert. Solange das so weiter geht, wird Gewalt zunehmen. Gewalt kann nur dann reduziert werden, wenn wir Grundlegendes ändern. Wir brauchen einen grundlegenden „Klimawandel“ gegen das Patriachat. Und es muss an sehr vielen Hebeln gedreht werden: Das fängt bei der Bewusstseinsarbeit und bei der konkreten Unterstützung von Opfern häuslicher Gewalt an. Die Behörden sind gefordert, die Frauen endlich ernst zu nehmen.

Und auf der dritten Ebene: Gewalt darf nicht zu Wiederholung kommen. Maßnahmen und Gesetze müssen viel wirksamer, effizienter und stärker umgesetzt werden, zur Sicherheit von Frauen und Kindern.

ZackZack: Wenn man sich die Statistik der Frauenmorde in Europa anschaut, liegt Österreich ganz oben. Woran liegt das? Warum ist ein so „sicheres“ Land so gefährlich für Frauen? Angeblich ist es wahrscheinlicher, dass Frauen von ihrem (Ex-) Partner ermordet werden, als bei einem Autounfall auf der Autobahn ums Leben zu kommen.

Rösslhumer: Das fragen wir uns auch. Es herrschen hierzulande eigentlich gute Gesetze und Maßnahmen. Österreich war da eigentlich ein sehr fortschrittliches Land. Es liegt aber an verschiedenen Dingen: Frauenfeindlichkeit ist hierzulande leider sehr spürbar, das fängt schon bei verbalen Übergriffen an. Politiker müssen nicht zurücktreten, wenn sie sich verachtend und abwertend gegen Frauen verhalten. Und es ist unter anderen auch eine wirtschaftliche und finanzielle Problematik.

Gerade in der Pandemie werden existenzielle Probleme in vielen solzial schwachen Familien noch größer. Aus Erfahrung weiß ich, dass viele Männer, die zum Beispiel arbeitslos wurden, ihren Frust mit Gewalt an ihren Frauen und Kindern ausgelassen haben.

ZackZack: In dem aktuellen Fall in Wien haben die Kinder zehn Tage bevor die Leiche ihrer Mutter gefunden wurde, eine Vermisstenanzeige aufgegeben, mit dem Verdacht, es sei etwas Schlimmes passiert. Jetzt werfen die Kinder der Polizei vor, die Ermittler hätten zu langsam und zu wenig getan.

Rösslhumer: Ja, die Behörden nehmen Anzeichen von häuslicher Gewalt oft nicht ernst. Häufig kommt es zu einer Opfer-Täter-Umkehrung. Da müssen wir grundlegend beginnen, effizienter und wirksamer gegenanzugehen. Konsequenter Opferschutz muss oberste Priorität haben. Bei dem Fall im Burgenland wurde der Mann nicht zurückgewiesen, aus Angst, er könnte sonst mehr anrichten. Dann wurde der Frau vorgeworfen, sie hätte doch eine einstweilige Verfügung beantragen können. Das ist Täterschutz, kein Opferschutz und das geht nicht.

ZackZack: Was wurden für Konsequenzen auf politischer Ebene gezogen?

Rösslhumer: Die Justizministerin hat einen Erlass an die Staatsanwälte ab dem 01. Oktober 2021 verfasst, damit Staatsanwälte Gefährlichkeitseinschätzung und bessere Beweisermittlung durchführen und gefährliche Täter in U-Haft nehmen, anstatt sie auf freien Fuß setzen. Doch wenn sie diese Richtlinien nicht umsetzen, ist das wirkungslos. Es liegt somit an allen: Maßnahmen müssen umgesetzt werden, viele Frauen fühlen sich von allen Seiten im Stich gelassen. Bei negativen Erfahrungen mit den Behören hilft dann auch keine Überzeugungsarbeit mehr. Wir wollen, dass die Frauen zuhause und überall sicher sind.

ZackZack: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Julia Zander

Hilfe für von Gewalt Betroffene gibt es hier:

Frauenhelpline (Mo–So, 0–24 Uhr, kostenlos): 0800 / 222 555

Opfer-Notruf (Mo-So, 0-24 uhr, kostenlos, anonym): 0800 / 112 112

Männerinfo (Mo–Fr, Ortstarif): 0720 / 70 44 00

Männernotruf (Mo–So, 0–24 Uhr, kostenlos): 0800 / 246 247

Telefonseelsorge (Mo–So, 0–24 Uhr, kostenlos): 142

Telefonberatung für Kinder und Jugendliche (Mo–So, 0–24 Uhr, kostenlos): 147

Titelbild: APA Picturedesk

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