Montag, September 9, 2024

Intensivpflegerin schmeißt hin: »Da spuckt einem die eigene Vorgesetzte ins Gesicht«

Intensivpflegerin schmeißt hin

Aldijana Causevic will nicht mehr. Die zermürbenden Bedingungen in ihrem Job haben sie dazu gebracht, nach 17 Jahren aus der Intensivpflege auszusteigen. Covid habe die Probleme im Gesundheitssystem nur an die Oberfläche gespült, sagt sie im Interview.

Wien, 04. Dezember 2021 | Die vierte Corona-Welle sorgt für eine Kündigungsflut in der Pflege. Auch Aldijana Causevic (37) hat vor zwei Wochen das Handtuch geworfen. Die zweifache Mutter hat in ihren 17 Jahren als Intensivpflegerin einiges erlebt: Schweinegrippe, mehrere Influenza-Epidemien, aber so schlimm wie jetzt während Corona sei es noch nie gewesen.

Die Arbeitsverhältnisse im Gesundheitsbereich stagnieren seit Jahren, werden gar immer schlechter, meint Causevic, als ZackZack sie telefonisch erreicht. “Die Pflege traut sich jetzt endlich was und zeigt allmählich, dass es so nicht weitergehen kann” – auch sie springt nun über ihren Schatten und schildert in einem Interview ihre Beweggründe für den Ausstieg.

ZackZack: Frau Causevic, warum werfen Sie jetzt nach 17 Jahren das Handtuch?

Aldijana Causevic: Weil sich einfach nichts zum Positiven verändert hat die letzten Jahre. Schon vor der Pandemie herrschte Personalmangel, der dann wieder vieles mit sich bringt, wie zu wenig Zeit am Patientenbett. Auch die Administration wird zunehmend mehr, was wiederum weniger Zeit für den Patienten bedeutet, wofür wir aber eigentlich da sind. Das ist bei mir der Hauptpunkt.

ZZ: Wann haben Sie zum ersten Mal über einen Ausstieg nachgedacht?

Causevic: Das war ein Jahr, bevor das mit Corona losging. Covid war dann vorerst der Grund, dass man bleibt. Viele von uns und auch ich haben sich da verpflichtet gefühlt, auch der Gesellschaft gegenüber. In erster Linie auch den Kollegen gegenüber. Aber nachdem, was ich jetzt gesehen habe, und es tut mir Leid, dass ich das jetzt so sage, hat sich das ein großer Teil der Gesellschaft nicht mehr verdient. Wir müssen im Lockdown über Schulschließungen diskutieren und währenddessen gehen Leute feuchtfröhlich demonstrieren. Das enttäuscht mich und macht mich ehrlich gesagt auch wütend.

“Der Lockdown, den wir jetzt haben, ist eine Augenauswischerei”

ZZ: Was fehlt der Gesellschaft Ihrer Meinung nach?

Causevic: Was glaube ich vielen heutzutage fehlt, ist diese goldene Mitte. Wir haben eine Situation, die für jeden eine Herausforderung ist. Ich versuche ja auch jene Leute, die sich nicht impfen lassen wollen, zu verstehen. Ich kann es auch verstehen. Aber es muss doch in einer Gesellschaft möglich sein, zumindest den anderen Teil zu tolerieren und mitzutragen, etwa das Maske tragen oder Abstand zu halten. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen derzeit Privatpartys schmeißen am Wochenende zum Trotz der Regierung. Ich meine der Lockdown, den wir jetzt haben, ist eine Augenauswischerei. Das ist kein Lockdown.

ZZ: Was müsste abgesehen von einem strengeren Lockdown passieren, um das Personal in den Spitälern zu entlasten?

Causevic: Wie angesprochen braucht es mehr Personal, um dann auch dementsprechend die vorhandenen Leute zu halten. Man müsste an den Rahmenbedingungen und an den Dienstplänen einiges verändern. Was unserer Branche guttun würde, und ich weiß, dass das schwer umzusetzen ist, wäre die 30 Stunden-Regelung bei vollem Lohnausgleich. Ist natürlich schwierig in einer Branche, wo Personal eh schon fehlt. Man muss sagen, dass Gemeindespitäler einen weitaus besseren Personalschlüssel haben wie die privaten Häuser und Ordensspitäler. Das merkt man dann auch an der hohen Fluktuationsrate.

ZZ: Haben neben Ihnen auch andere gekündigt?

Causevic: Seit Jänner dieses Jahres haben bei uns insgesamt zwölf Mitarbeiter gekündigt. Es ist in diesem Haus schon immer ein ewiges Kommen und Gehen gewesen. Dieses ständige Kündigen und neu anfangen bringt natürlich auch wieder Probleme mit sich. Denn jemand, der neu ist, ist nicht gleich zu 100 Prozent einsetzbar, verständlich. Ein Teufelskreis, aus dem man nicht mehr herauskommt.

Das Tragische ist, von diesen zwölf Leuten haben elf jahrelange Intensiverfahrung. Das ist ein riesiges Manko im Gesundheitsbereich. Ich habe eine Kollegin, die über 20 Jahre in der Pflege tätig ist, sehr viel gesehen und viel Erfahrung hat. Das sind Menschen, die muss man behalten als Betrieb, denen muss man entgegenkommen. Sie ist jetzt in ein Pflegeheim gegangen und ich denke mir: das gibt’s doch nicht. Wir verschleudern hier personelle Ressourcen.

ZZ: Wie hätten Vorgesetzte Ihnen und Ihren Kolleginnen entgegenkommen müssen? Mehr Gehalt?

Causevic: Um das Gehalt geht es in erster Linie gar nicht. Im Vergleich zu Frauen, die in anderen Berufen arbeiten, verdienen wir noch einigermaßen gut. Das Problem war speziell in den letzten zwei Jahren, dass wir extrem oft einspringen mussten, Krankenstände waren oft unmöglich zu ersetzen. Wir hatten Leute auf der Station, die in nur fünf Tagen auf 60 Stunden gekommen sind. Ein Abbau dieser Stunden war in den letzten zwei Jahren aber so gut wie unmöglich, weil man einfach das Personal gebraucht hat.

“Statt Ausbezahlung der Überstunden gab’s Mineralwasser”

Wir haben dann auch einen Brief an die Pflegedirektion geschickt, mit der Bitte, dass man uns wenigstens die Überstunden ausbezahlt. Das wären dann netto monatlich oft mal 200 Euro zusätzlich am Konto, ein gutes Geld. Doch das wurde einfach abgelehnt. Da spuckt einem die eigene Vorgesetzte ins Gesicht, mit dem Argument: „Geld alleine macht nicht glücklich“.

ZZ: Was geht da in einem vor, wenn man das hört?

Causevic: Man weiß nicht, was man dazu sagen soll. Das sind Momente, wo man denkt: jetzt stehe ich auf, lasse alles liegen und komme nie wieder. Dann haben wir vorgeschlagen, dass sie uns doch was anbieten sollen. Da hieß es dann, dass wir ja quasi froh sein müssten, weil jetzt, wo die Covid-Patienten wieder mehr werden, bekommen wir ja eh ein 6er-Tragerl Mineralwasser. Sobald die Stationen wieder leer sind, müssen Sie sich vorstellen, wird das Mineralwasser wieder entzogen. Steht uns halt nicht mehr zu. Da weiß man dann nicht mehr, ob man weinen oder lachen soll.

ZZ: In einem Wort: Man fühlt sich im Stich gelassen?

Causevic: Wir hatten eine Stationsleitung und oben sitzt noch mal die Pflegedirektion. Natürlich sind das Menschen, an die man sich wenden und bei denen man sich auch auskotzen kann. Das Problem ist einfach die Hierarchie und die Kommunikation nach oben. Wenn da die Pflegedirektion blockiert, hat die Bereichsleitung wenig Chancen durchzukommen mit ihren Anliegen.

Ein Bild aus besseren Tagen: Aldijana Causevic ist seit ihrem 20. Lebensjahr in der Intensivpflege tätig. Zwölf Jahre davon in einem öffentlichen Wiener Krankenhaus, die letzten vier Jahre war sie in einem Ordensspital tätig, ebenfalls in Wien. Die 37-jährige Mutter von zwei Kindern träumte schon als Kind vom Pflegeberuf, nach 17 Jahren nimmt sie sich nun erstmals eine Auszeit. (Bild: zVg.)

ZZ: Wie kann man sich den Alltag auf der Intensivstation vorstellen?

Causevic: Wir fangen in der Früh mit einer Dienstübergabe an, dann gibt es eine ärztliche Visite zusammen mit dem Pflegeteam, wo jeder Patient und die jeweiligen Ziele für den heutigen Tag einzeln durchbesprochen werden. Bei Covid-Patienten war es dann so, dass wir natürlich nicht jederzeit das Zimmer verlassen konnten, weil wir ja die komplette Schutzausrüstung anhatten und nicht den ganzen Gang kontaminieren konnten.

Wir haben uns also meistens so um 8.30 Uhr eingeschleust, pro Zimmer mindestens zwei bis drei Kollegen für drei Patienten. Dort sind wir dann auch meistens bis 12.30 Uhr drinnen geblieben und haben sie gepflegt.

ZZ: Wie sieht die Pflege bei Covid-Patienten genau aus?

Causevic: Diese Patienten werden am Bauch gelagert, in der Früh werden sie dann meistens auf den Rücken gedreht und Lungenröntgen, Blutgasanalysen und etliche andere Sachen, die anfallen, an ihnen durchgeführt. Nach der Mittagspause ist man von 14 bis 17 Uhr meistens wieder drinnen.

ZZ: Sind die Patienten ansprechbar?

Causevic: Das kommt darauf an, wie schwer krank der Patient ist. Wir versuchen, sie so lange wie möglich ohne Beatmungsgerät zu versorgen. Dafür gibt es Spezialsauerstoffbrillen. In dieser Phase sind die Leute meistens ansprechbar. Viele haben natürlich Angst und sind unruhig. Kennen sich phasenweise in diesem Ausnahmezustand auch nicht aus. Es steht ja permanent jemand vor einem, von dem man das Gesicht nicht sieht. Was natürlich auch eine massive Herausforderung für den Patienten selbst sein muss.

“Wir haben immer noch eine 50:50-Situation auf der Intensivstation”

Wenn es dann schlechter wird und man einen Patienten schon zwei Tage durchgehend mit der Spezialmaske beatmen muss, wird intubiert. Dann sind die Leute an der Maschine und nicht mehr ansprechbar, weil sie in künstlichen Tiefschlaf versetzt werden.

ZZ: Kann man sagen, wie viel Prozent dieser Patienten überleben?

Causevic: Letztes Jahr waren es leider 80 Prozent der Intensivpatienten, die verstorben sind. Das hat sich laut neuestem Stand wesentlich gebessert, also es überleben jetzt mehr Menschen. Doch wir haben immer noch eine 50:50-Situation. Deswegen schaut man ja auch, dass man den Respirator (Beatmungsgerät, Anm.) so gut es geht vermeidet. Es ist schwer: entweder lässt man den Patienten ersticken oder probiert es halt noch mit der Beatmungsmaschine. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten wie die ECMO-Therapie, aber die gibt es bei uns im Spital leider nicht.

ZZ: Zeigt die Impfung Wirkung? Landen nun weniger Menschen auf der Intensivstation?

Causevic: Ja, wenn man es mit dem letzten Jahr vergleicht und sich die Situation der Intensivbetten anschaut, wo vor allem jetzt in Wien noch Raum da ist. Burgenland ist glaube ich ein Paradebeispiel. Dort hatte man im letzten Winter ziemliche Probleme was die Versorgung in den Spitälern betrifft. Und jetzt durch die hohe Durchimpfungsrate hat man das ziemlich im Griff.

ZZ: Die Frage, die sich viele stellen: Wie ist derzeit das Verhältnis von geimpften und ungeimpften Personen auf Ihrer Station?

Da kann ich Ihnen von meiner Seite aus keine Infos geben, da ich seit zwei Wochen weg bin und wir bis dahin in diesem Herbst noch keinen Covid-Patienten aufnehmen mussten. Da hält sich Wien derzeit ganz gut, was auch mit der Impfrate zusammenhängt. Wir waren eines der letzten Wiener Krankenhäuser die in die Covid-Versorgung eingestiegen sind. Letztes Jahr um die Zeit waren wir jedenfalls voll, nur mit Covid-Patienten. Die letzte Patientin die wir hatten war ungeimpft.

“Ich bin keine, die gleich ‘Impfpflicht’ schreit”

ZZ: Bevor die Regierung die allgemeine Impfpflicht verkündet hat, hat es ja zuerst geheißen, dass diese erstmal nur für Gesundheitsberufe gelten soll. Viele haben darauf verärgert reagiert, weil man quasi im letzten Winter noch beklatscht wurde und sich jetzt impfen lassen muss, weil man sonst gekündigt wird. Wie stehen Sie dazu?

Causevic: Schwierig. Im Herzen bin ich ja Demokratin und dafür, dass jeder Mensch für sich selbst entscheiden sollte ob er etwas möchte oder nicht. Es ist brenzlig, wenn man eine Impfpflicht für eine Impfung verhängt, die man erst seit kurzem hat und wo wir auch nicht genau wissen, wie viele man braucht. Ich kann das schon verstehen, dass man wegen einer Impfpflicht hier auf die Barrikaden geht.

Ich verstehe es aber nicht, wenn man im Gesundheitsberuf arbeitet und an die Wissenschaft nicht glaubt. Es gibt Personen, die auf einer Intensivstation arbeiten und nach wie vor die Impfung verweigern, das verstehe ich einfach nicht. Grundsätzlich bin ich keine, die „Impfpflicht“ schreit, aber wir als Gesundheitspersonal haben einfach eine Verantwortung gegenüber den Patienten. Und es hat sich gezeigt, dass man als geimpfte Person mit hoher Wahrscheinlichkeit das Virus auch nicht übertragen kann.

ZZ: Zum Abschluss, wird sich die Situation in der Pflege in den nächsten Jahren wieder einpendeln?

Causevic: Ich glaube, dass es die nächste Zeit noch schlimmer wird, was den Personalmangel betrifft. Da hat die Politik einfach viel verabsäumt, bereits vor Covid, jetzt wird es halt nur sichtbarer und wir sind präsenter in den Medien. Ich hoffe, dass es sich irgendwann ändern wird und man hier in Österreich die Kurve kratzt. Es ist ein wichtiger Bereich, der uns alle betrifft. Egal ob Ambulanz, Intensivstation oder Pflegeheim – es ist jeder Bereich wichtig. Die Patienten werden mehr, die Menschen älter, wir brauchen einfach Leute in der Pflege, genauso wie wir Ärzte brauchen. Egal, wie es die Politik und die führenden Kräfte im Gesundheitsbereich drehen, es muss sich für alle Beteiligten etwas ändern.

ZZ: Was haben Sie jetzt vor? Bleiben Sie in der Pflege?

Causevic: Ich will weiterhin als Pflegerin arbeiten und wahrscheinlich wieder zur Gemeinde zurückgehen. Jedoch nicht gleich wieder in den Intensivbereich, das mache ich jetzt während Corona psychisch nicht mehr mit. Da brauche ich für mich persönlich eine Auszeit, auch wenn ich als 37-Jährige natürlich noch die Herausforderung suche und diesen Beruf gerne mache.

ZZ: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Causevic.

Das Interview führte Markus Steurer.

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Markus Steurer

    Hat eine Leidenschaft für Reportagen. Mit der Kamera ist er meistens dort, wo die spannendsten Geschichten geschrieben werden – draußen bei den Menschen.

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