„Presse“-Innenpolitik-Chef Oliver Pink schreibt einen Artikel, in dem er den Austrofaschismus leugnet. Der Text ist voller historischer Fehler. Ein Faktencheck.
Thomas Walach
Wien, 10. Dezember 2021 | Anlässlich der Angelobung Gerhard Karners zum Innenminister versuchen sich Konservative in Österreich am Geschichtsrevisionismus. Der Austrofaschismus sei gar nicht faschistisch gewesen, heißt es – und zum „Beweis“ werden die Thesen ÖVP-naher Historiker wie Kurt Bauer angeführt. Der hatte schon behauptet, die Morde von Schattendorf seien eigentlich Unfälle gewesen und die Rolle der Österreicher im Nationalsozialismus heruntergespielt.
Auch Oliver Pink stellt einen Gastkommentar Bauers in der „Presse“ dem des führenden Austrofaschismus-Forschers Emmerich Tálos gegenüber – so, als wären die beiden Expertisen gleichwertig. Was Pink nicht sagt: Tálos vertritt den Stand der Forschung, Bauer eine Randmeinung in der Geschichtswissenschaft – es ist dem politischen Einfluss der ÖVP geschuldet, dass der Begriff des Austrofaschismus im „Haus der Geschichte Österreich“ fehlt. Manche prominente Zeithistoriker wie Gerhard Botz versuchen sich aus der Debatte herauszuhalten. Tatsache ist: 1933 rechnete die “Vaterländische Front” Österreich zu den faschistischen Staaten. 1934 tat der christlichsoziale Klubvorstand dasselbe. Sogar Leopold Figl, selbst Sturmscharführer, sprach nach dem Krieg noch vom Austrofaschismus.
Fehler
Als wäre das nicht schlimm genug, enthält Pinks Text eine ganze Reihe historischer Fehler:
- Ein Wesensmerkmal des italienischen Faschismus, ohne den dieser nicht zu erklären ist, ist der Terror, der von Schlägertruppen ausgeübt wurde. Ähnliches galt dann auch für den Nationalsozialismus. Den gab bei Dollfuß’ Christlich-Sozialen ebenso nicht der Fall. (sic!)
Das ist nicht richtig. Die verschiedenen paramilitärischen Verbände der Christlichsozialen (Heimwehren, Sturmscharen) begingen ab den 1920er Jahren regelmäßig gewaltsame Übergriffe auf politische Gegner. Wie auch in der Weimarer Republik war Gewalt zwischen den Lagern auf der Straße alltäglich. Im Februar 1934 waren in Wien Überfallkommandos unterwegs, bewaffnete Männer, die aus vorbeifahrenden Autos in Wohnungen und Geschäfte von „Roten“ schossen. Später – Dollfuß war da schon tot – wurden vom Regime das „Schutzkorps“ (eine Art Hilfspolizei) und schließlich das „Sturmkorps“ aufgestellt. Letzteres war als Truppe professioneller Parteisoldaten der SS nachempfunden und auf „bedingungslose Gefolgschaft dem Bundeskanzler und Frontführer“ eingeschworen.
- Auch Juden wurden in Österreich von 1933 bis 1938 nicht verfolgt.
Die Rolle des Antisemitismus im Austrofaschismus war lange Zeit schlecht erforscht. 2018 gaben Gertrude Enderle-Burcel und Ilse Reiter-Zatloukal einen umfangreichen Band mit Forschungen zur Judenverfolgung im Austrofaschismus heraus. Juden wurden in den Schulen diskriminiert, aus ihren beruflichen Positionen gedrängt, in ihren Karrieren behindert, unter fadenscheinigen Gründen entlassen. Ziel war, Juden aus allen gesellschaftlich relevanten Positionen, insbesondere der Beamtenschaft zu verdrängen. Besonders gut erforscht ist die Säuberung der Universitäten durch den Austrofaschismus. Sie betraf neben Kommunisten und Sozialisten vor allem Juden. Und während das Regime in anderen Fällen hart gegen nationalsozialistische Umtriebe vorging, ließ es den Nazis bei Gewalt und Terror gegen Juden meist freie Hand.
- Die Christlich-Sozialen im Österreich dieser Jahre waren auch keine wirkliche Massenbewegung mit einem angehimmelten Führer.
Man braucht sich bloß die „Trabrennplatzrede“ Dollfuß‘ anzuhören, um sofort zu wissen, dass diese Behauptung Unsinn ist. Als der Diktator das Rednerpult betritt, brüllt die Menschenmenge: „Heil! Heil! Heil! Heil! Heil!“ Die „tausenden und tausenden“ die gekommen waren, seien wie „Kreuzfahrer“, schrie Dollfuß, und, mit sich überschlagender Stimme: „Gott will es!“ „Heil!“ scholl es zurück.
So beschreibt die „Presse“ am 12. September 1933 die Begeisterung: „Noch wurde vieltausendstimmig die Bundeshymne gesungen und schon entzündete man die Fackeln und formierte sich zum Abmarsch.“ Auf einem Pferd führte Dollfuß den Fackelmarsch seiner Anhänger an.
Schon zu Dollfuß‘ Lebzeiten hatte die „Vaterländische Front“, deren „Frontführer“ der Diktator war, über zwei Millionen Mitglieder. Unter Dollfuß‘ Nachfolger Schuschnigg wuchs diese Zahl schließlich auf drei Millionen an.
“Kein Revisionismus”
Oliver Pink sagt auf Nachfrage, er habe keineswegs Geschichtsrevisionismus betrieben, sondern „lediglich eine Geschichte gemacht über den Begriff des Austrofaschismus und den Disput auch unter Historikern über den Charakter des Regimes“. Pink selbst habe nichts gegen den Begriff und verwende ihn auch selbst. “Presse”-Chefredakteur Rainer Nowak nahm zur Frage, ob Pinks Artikel der Blattlinie entspreche, nicht Stellung.
Titelbild: gemeinfrei