Stadtstraßen-Camp
Der Konflikt zwischen der Stadt Wien und den NGOs, die sich gegen den Bau der Stadtstraße wehren, spitzt sich immer weiter zu. Am Freitag gingen Anwaltsbriefe an mehrere Umweltschutzativisten raus: Die Stadt Wien werde klagen, sollte das Camp nicht umgehend geräumt werden.
Wien, 13. Dezember 2021 | Nach der Lobautunnel-Absage befindet sich Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) mit den Umweltschutzaktivisten endgültig im Clinch. Mittels Anwaltsschreiben hat die Stadt Wien am Freitag zahlreiche Umweltschutzorganisationen, Einzelpersonen und Initiativen aufgefordert, die Demonstrations-Camps gegen die Stadtstraße in der Donaustadt sofort zu räumen. Anderenfalls würden rechtliche Schritte eingeleitet und die “entstandenen Schäden” von den Aktivisten eingefordert werden. Zahlreiche NGOs verurteilten am Samstag die “Einschüchterungsversuche gegen die Zivilgesellschaft” sowie die Drohung mit Millionenklage.
Endlich bin ich amtlich bestätigter Klimaaktivist! Heute kam vom Anwalt Jarolim die "Aufforderung zur Beendigung der Behinderung der Bauführung".
"Stadt Wien ist zur Errichtung der Stadtstraße gezwungen" ist der beste Satz.
Ojeoje, und das alles wegen ein bisserl twittern. pic.twitter.com/ES7t4EM0Ly— Daniel Tempo 100 Bleninger (@bleninger@wien.rocks) (@BleningerDaniel) December 10, 2021
Aktivisten harren in Camp aus
Um was geht es genau? Der Lobautunnel wurde zwar abgesagt, die Wiener „Stadtstraße“ soll dennoch kommen. Die 3,2 Kilometer lange Gemeindestraße mit Höchsttempo 50 soll die Seestadt Aspern mit der Nordostumfahrung verbinden und laut der Stadt auf jeden Fall gebaut werden. Doch auch das soll verhindert werden. Die großteils jugendlichen Aktivisten haben das Baustellenareal bei der U2-Station Hausfeldstraße besetzt. Im Protest-Camp “Wüste” harren sie auch bei Eiseskälte aus, ZackZack hat ihnen letzte Woche einen Besuch abgestattet.
Die Bagger sind im Camp “Wüste” bereits vorgefahren (Bild: Flo Bayer)
Anwaltsschreiben auch an Minderjährige
Bereits am Donnerstag war die Polizei im Camp und hat es für aufgelöst erklärt. Am Freitag folgte dann der Anwaltsbrief an die Aktivisten, in dem Rechtsmittel und Schadenersatzklage angedroht werden. Verfasst wurde das Schreiben von der Kanzlei des ehemaligen SPÖ-Abgeordneten und Justizsprechers Hannes Jarolim. Darin wird festgehalten, dass der Allgemeinheit durch das “rechtswidrige Verhalten und die Verzögerung der Bauarbeiten immens hoher Schaden” entstehe. Die Stadt Wien sei verpflichtet, “diese Schäden von den Verursachern einzufordern”.
Von den Klagsdrohungen betroffene NGOs wie Fridays for Future, Südwind oder Greenpeace kritisierten das Vorgehen Ludwigs scharf. Auch die Organisationen Jugendrat, System Change not Climate Change sowie Extinction Rebellion äußerten sich negativ über die Briefe, die zum Teil auch an Minderjährige verschickt wurden, was vor allem im Netz auf Empörung stößt.
Die Stadt Wien verschickt Klagen u.a. an 13- und 14-jährige Besetzer der Stadtstraßen-Baustelle. Kann man die Lobautunnel-Absage nicht anders verarbeiten? Dialog wäre hier angebracht gewesen. #Stadtstrasse
— Robin Aydinonat (@AydinonatRobin) December 13, 2021
Greenpeace: Ludwig soll “Eskalationskurs sofort stoppen”
Laut den NGOs erhielten auch Initiativen, die gar nicht an der Besetzung beteiligt sind, das Anwaltsschreiben. Ihnen allen werde “pauschal mit existenzbedrohenden Klagen in Millionenhöhe gedroht”, kritisierte Greenpeace. Die Aktivisten betonten, sich nicht einschüchtern zu lassen und weiter gegen die Stadtautobahn zu demonstrieren.
Die Umweltschutzorganisation forderte Ludwig auf, “seinen Eskalationskurs sofort zu stoppen und sämtliche Klagsdrohungen umgehend zurückzuziehen”. Außerdem müsse der Bau der vierspurigen Stadtstraße auf Eis gelegt und das Gespräch mit den Kindern und Jugendlichen gesucht werden.
Jarolim: Schreiben noch “gelindestes Mittel”
An die 45 Briefe seien rausgegangen, sagte Jarolim am Montag im Ö1-Mittagsjournal. Jarolim bestätigt, dass auch Personen, die die Besetzer lediglich zum Weitermachen motiviert haben, ein Schreiben “zur Information” bekommen hätten. Diese hätte man über Social Media ausfindig gemacht.
Doch warum droht man auch Personen, die nur als mentale Unterstützer fungieren, mit einer Millionenklage? Bei dem Schreiben handle es sich nicht um eine Millionenklage, sondern um das “gelindeste Mittel”, der Stadt bleibe sonst nur die Räumung durch die Polizei, argumentiert Jarolim.
“Bei allem Verständnis für Anliegen junger Menschen, aber hier geht es nicht um die Lobau, es geht um keine Autobahn, es geht schlichtweg um eine 3,2 km lange Gemeindestraße. Diese verbindet das neue Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern mit der Südosttangente. Die Straße ist behördlich in der Umweltverträglichkeitsprüfung als Auflage vorgeschrieben – ohne Stadtstraße kein Weiterbau in der Seestadt Nord, das sind die Fakten”, hielt auch Verkehrsausschussvorsitzender Erich Valentin (SPÖ) den NGOs entgegen. Wer die Stadtstraße verhindere, verhindere den Bau zigtausender leistbarer Wohnungen für Wien: “Und das kann die Stadt Wien nicht zulassen.”
Im Rathaus wird nun hektisch zwischen SPÖ und NEOS beraten, wie weiter vorzugehen ist. Wenn eine Räumung durch die Polizei verhindert werden will, bleiben wohl nur Dialog und Überzeugungsarbeit. Die jungen Umweltschützer werden jedenfalls nicht weichen, bis auch der Bau der Stadtstraße abgesagt wird, heißt es seitens des Protestcamps.
(mst)
Titelbild: Flo Bayer/APA Picturedesk