»Zynisch«
Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) meint, dass das Arbeitskräfteproblem gelöst werden könne, “wenn alle Frauen, die Teilzeit beschäftigt sind, nur ein paar Stunden mehr arbeiten würden.” In Anbetracht der ÖVP-Chats zur gekürzten Kinderbetreuung sehen dies viele als “zynisch”.
Wien, 28. Dezember 2021 | Arbeitsminister Kocher (ÖVP) sorgte mit seinem gestrigen Interview im „Standard“ für Empörung. Nach dem Arbeitskräftemangel befragt sagte Kocher: „Wenn alle Frauen, die Teilzeit beschäftigt sind, nur ein paar Stunden mehr arbeiten würden, hätten wir kein Arbeitskräfteproblem mehr.“ Um Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, sei die Attraktivität des Arbeitsplatzes entscheidend, so Kocher, der damit neue Formen der Besteuerung und Selbstentwicklung ansprach.
Aufregung um Kinderbetreuung
Erziehungsarbeit und Pflege von Familienmitgliedern ist zum Großteil immer noch Frauensache. Erst kürzlich wurde im Zuge der ÖVP-Chats rund um Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Thomas Schmid bekannt, dass die ÖVP den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen eigenständig torpediert hatte. Um die Regierung Kern-Mitterlehner erfolglos aussehen zu lassen, wollte Kurz „ein Bundesland aufhetzen“. So sollten die geplanten 1,2 Milliarden Euro für Nachmittagsbetreuung mit Rechtsanspruch auf der Zielgeraden noch verhindert werden. Die Regierung Kern-Mitterlehner wurde, wie aus den Chats ersichtlich, torpediert und Neuwahlen vom Zaun gebrochen. In seiner ersten Legislatur als Kanzler kürzten Kurz und Ex-Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) die Nachmittagsbetreuung auf rund ein Drittel des ursprünglich vorgesehenen Betrags.
Den Aufruf, doch einfach mehr arbeiten zu gehen, wollten viele Frauen so nicht stehen lassen:
Arbeiterkammer fordert bessere Kinderbetreuung
Auch die Arbeitnehmervertretung kann die Anregung Kochers nicht nachvollziehen. „Wenn Frauen in Teilzeit mehr arbeiten sollen, muss es ihnen ermöglicht werden. Das Wichtigste dabei: endlich ein ausreichendes Angebot an qualitätsvollen, ganztägigen Kinderbetreuungseinrichtungen, vom Kindergarten bis zur Schule“, so Gernot Mitter von der AK Wien. Von Frauen dominierte Branchen wie der Handel, böten darüber hinaus oftmals nur Teilzeitstellen an, kritisiert Mitter.
Scharfe Kritik kommt von SPÖ-Frauenvorsitzender Eva-Maria Holzleitner und SPÖ-Bundesfrauengeschäftsführerin Ruth Manninger an den Aussagen von Arbeitsminister Kocher. “Österreich liegt bei der Teilzeitarbeit EU-weit im Spitzenfeld. Teilzeit ist wegen fehlender Infrastruktur noch immer Frauensache. Kochers Aussagen sind zynisch“, so Holzleitner. „Frauen leisten noch immer 11 Stunden täglich unbezahlte Arbeit. Statt Zynismus braucht es Verantwortung“, so Holzleitner und Manninger unisono
Kocher: Debatte in Österreich „nicht ganz einfach“
Auf seinem Twitteraccount kritisierte Kocher die Diskussionskultur in Österreich. Diese habe seine Aussagen bewertet, obwohl diese völlig wertfrei gemeint gewesen seien. Dass auch Kocher selbst „den Ausbau von Kinderbetreuung weiterführen“ will, stieß angesichts der ÖVP-Chats auf wenig Glaubwürdigkeit, bei den Nutzern in den sozialen Medien.
(dp)
Titelbild: APA Picturedesk