Freitag, April 19, 2024

Russisches Höchstgericht beschloss Auflösung von NGO Memorial – Breites Entsetzen im Ausland

Breites Entsetzen im Ausland

Der russische Oberste Gerichtshof in Moskau hat die Auflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial International beschlossen. Die NGO beklagt politische Verfolgung. Im Ausland gibt es breites Entsetzen.

28. Dezember 2021 | Der russische Oberste Gerichtshof in Moskau hat die Auflösung der Menschenrechtsorganisation Memorial International beschlossen. Richterin Alla Nasarowa gab am Dienstag einem entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen russische Gesetze statt. Die NGO weist die Vorwürfe zurück und beklagt politische Verfolgung. Memorial-Vorstand Jan Ratschinski will gegen das Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgehen.

Umstrittenes “Agentengesetz”

Die Ende der 1980er Jahre gegründete Gesellschaft sprach von einer “politischen Entscheidung” ohne Rechtsgrundlage. Ziel sei die “Zerstörung einer Organisation, die sich mit der Geschichte politischer Repressionen und mit dem Schutz der Menschenrechte befasst”. Menschenrechtler beklagen zunehmende autoritäre Tendenzen und die Verfolgung Andersdenkender in Russland.

Der Vertreter der russischen Generalstaatsanwaltschaft, Alexej Dschafjarow, sagte vor Gericht, dass Memorial mit seiner Arbeit die vor 30 Jahren aufgelöste Sowjetunion als “Terrorstaat” darstelle und Lügen über das Land verbreite. Die russische Justiz warf Memorial zudem wiederholte Verstöße gegen das Gesetz über ausländische Agenten vor.

Die Organisation ist mehrfach zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie sich selbst nicht als ausländischer Agent bezeichnet. Das Gesetz sieht vor, dass Empfänger von Zahlungen aus dem Ausland als “Agenten” bezeichnet werden können. Betroffen sind auch viele Journalisten.

Das Regelwerk steht international als politisches Instrument für willkürliche Entscheidungen gegen Andersdenkende in Russland in der Kritik. Beklagt wird auch, dass jene, die sich für die Rechte von Menschen einsetzen, als Spione stigmatisiert würden. Memorial fordert seit langem die Aufhebung des Gesetzes. Die Organisation setzt sich zum Ärger der russischen Führung etwa auch für politische Gefangene ein – 349 gibt es demnach auf der Liste.

Viele Oppositionelle, darunter die Anhänger des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny, sind in Russland als Extremisten von der Justiz eingestuft. Memorial sieht sich durch das Führen einer Liste zu politischen Gefangenen dem Vorwurf ausgesetzt, “das Mitwirken in terroristischen und extremistischen Organisationen” zu rechtfertigen. Das sei falsch – erfasst würden Menschen, die aus politischen Gründen verfolgt würden, sagte die Memorial-Juristin Tatjana Gluschkowa.

Memorial wurde in den letzten Jahren der Sowjetunion gegründet und konzentrierte sich zunächst auf die Dokumentation der Verbrechen der Stalin-Ära. Die Gruppe hat sich in jüngerer Zeit auch gegen die Unterdrückung von Dissidenten unter Präsident Wladimir Putin ausgesprochen. Im vergangenen Monat beschuldigte die Staatsanwaltschaft das in Moskau ansässige Menschenrechtszentrum Memorial und seine Mutterorganisation Memorial International, gegen das Gesetz über ausländische Agenten verstoßen zu haben, und forderte das Gericht auf, sie zu schließen. Die Staatsanwälte erklärten insbesondere, dass Memorial International gegen die Vorschriften verstoßen habe, indem die Organisation nicht alle ihre Veröffentlichungen, einschließlich der Beiträge in den sozialen Medien mit der gesetzlich vorgeschriebenen Bezeichnung gekennzeichnet habe. Sie warfen dem in Moskau ansässigen Zentrum außerdem vor, Terrorismus und Extremismus zu unterstützen. Am morgigen Dienstag beschäftigt sich das Moskauer Stadtgericht mit dem Menschenrechtszentrum Memorial.

Ausland entsetzt

Im Ausland stieß die von Russlands oberstem Gericht angeordnete Auflösung von Memorial ist auf breites Entsetzen. Dies sei “ein schwerer Schlag für die russische Gesellschaft” und für ganz Europa, hieß es etwa in einer gemeinsamen Erklärung mehrerer deutscher Organisationen. “Memorial steht wie keine andere Organisation für ein offenes, menschenfreundliches, demokratisches Russland, das die Versöhnung innerhalb der eigenen Gesellschaft und mit seinen Nachbarn sucht.”

In der Erklärung, die etwa von der Heinrich-Böll-Stiftung, Amnesty International, dem Deutsche PEN-Zentrum, der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur der DDR unterzeichnet wurde, wird Memorial als “moralisches Rückgrat der russischen Zivilgesellschaft” gewürdigt. Der russische Staat gebe mit der Auflösung “ein erschütterndes Selbstzeugnis ab: Er bekämpft die Auseinandersetzung mit der eigenen Unrechtsgeschichte und möchte individuelle und kollektive Erinnerung monopolisieren.” Zudem habe das Gerichtsverfahren die “ganze Absurdität des Gesetzes über “ausländische Agenten” offengelegt”.

Die Entscheidung des Höchstgerichts in Bezug auf Memorial International kommt nicht überraschend, mit einer analogen Entscheidung ist am Mittwoch auch beim Moskauer Stadtgericht in Bezug auf das Menschenrechtszentrum von Memorial zu rechnen. Nachdem am 8. November zwei russische Staatsanwaltschaften synchron Liquidierungsanträge in Bezug auf die Mutter- und die Tochterorganisation gestellt hatten, war von einer koordinierenden Rolle des russischen Geheimdiensts FSB in dieser Causa ausgegangen worden. Gesprächspartner der APA meinten damals, dass die Liquidierung des Menschenrechtszentrums, das mächtige Offiziere mit Listen politischer Gefangener seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten massiv verstörte, als beschlossene Sache gelte. Memorial International waren aber noch “geringe Chancen” eingeräumt worden, doch nicht aufgelöst zu werden. Nachdem sich jedoch der russische Präsident Putin im Dezember jedoch kritisch zu Memorial geäußert hatte, schwanden auch diese Außenseiterchancen.

(apa/bf)

Titelbild: APA Picturedesk

Benedikt Faast
Benedikt Faast
Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.
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16 Kommentare

  1. Rückwärts immer, vorwärts nimmer, das scheint Putins „Wahlspruch“ zu sein. Glasnost und Perestroika vergessen machen, ein bisschen Stalin-Nostalgie und ein Goldglanz der Zarenzeit, die Kirche hilft und fertig ist das neue Russland. „Der Westen“, die Nato, liefert die dafür nötigen „Argumente“. Die Oligarchen sind ja nicht blöd, Russlands Schätze für alle? Für das Volk? Ja wo in der Welt wäre das so? Eben.
    Europa muss sich „warm anziehen“. Und wenn es nach dem „Big Brother“ geht: Ein bewaffnetes Europa ist der beste Schutzschild. Dann nämlich kann er sich ganz China widmen, der „grosse Bruder“, Im Namen der „Freiheit“. Seiner „Freiheit“.

  2. “Breites Entsetzen im Ausland”… in welchem Ausland? Vermutlich innerhalb der NATO. Diese ständige Doppelmoral ist unerträglich und heuchlerisch.

    Wo war der Aufschrei von ZackZack als Israel palästinensische NGOs als Terrororganisationen deklariert hat und sogar die USA, deren engster Verbündeter, schockiert waren?

    Quelle: https://www.jpost.com/israel-news/palestinian-ngos-declared-pflp-terrorist-arms-by-israeli-government-682826

    Die Freiheitskämpfer der einen sind immer die Terroristen der anderen. Was allerdings schockierend ist, ist die Linie von ZackZack als Tageszeitung mit Haltung in einem neutralen (!) Land.

  3. Warum wird RT D in Deutschland und USA verboten? Sollen auch “Agenten” sein…und was ist mit Julian Assange, er ist Journalist und sitzt in London in einem Hochsicherheitsgefängnis…ach und dann noch Edward Snowden, wohin ist der nochmal geflüchtet? Aja ins böse Russland…

  4. Unabhängig vom Anliegen der NGO müssen diese in Russland, wie auch in anderen Ländern, ausländische Geldquellen offen legen. Das verweigert Memorial allerdings.

    In anderen Ländern wäre sie schon lange aufgelöst worden.

    Es ist gut, wenn die Geldquellen durch die NGO´s offen gelegt werden müssen. Dann erfährt man letztlich auch, welche Interessengruppen hinter der jeweiligen Organisation stehen. NGO´s sind nicht demokratisch legitimiert, mischen sich aber enorm in die Politik eines Landes ein.

  5. “Mehrere deutsche Organisationen sind entsetzt”…
    Die hier PRgerecht vergossenen Krokodilstränen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Insidern ist hinlänglich bekannt, dass sich in vielen solcher Organisationen nachrichtendienstliche Mitarbeiter tummeln, die im Interesse anderer Staaten auf exterritorialem Gebiet operieren. Im Gegensatz zu Österreich wo solche Aktivitäten augenzwinkernd zur Kenntnis genommen werden, gibt es andere Staaten, die zum Schutz ihrer Souveränität rigoros vorgehen. Manipuliert und verarscht wird der blauäugige Pöbel, dem andere, hehre Interessen vorgegaukelt werden…
    Es muss heller werden Europa, es muss heller werden Österreich!

  6. Nojo, … NGO’s darf man schon grundsätzlich unter Generalverdacht stellen, würde ich meinen. Immerhin, die Nähe zu extrem finanzkräftigen Interessenhaltern, die absolut nur auf die eigene Profitmaximierung fixiert sind, und die die rollenden Völkerwanderungen über die NGO’s dazu missbrauchen um über modernes Sklaventum die arrivierten Sozialstaaten mit deren hohen u d teuren Lebenssstandards zu zerstören, ist wirklich nicht mehr zu übersehen. Ganze Schlepperflotillen, die finanziert man nicht über Alpackawollpullver tragende Wintercamper.

    • Liebe Kehrichterin, ein nicht uninteressanter Teilbereich der Problematik, den Sie gut erkannt und beschrieben haben.
      Es muss heller werden Österreich!

    • stimmen Ihnes zu, alle NGO’s unter Generalverdacht stellen und abschaffen, Feuerwehr, Rettung, ARBÖ, ÖAMTC, AUVA, Versicherungen, Banken, Caritas, Glaubensgemeinschaften, Parteien, Vereine, alles muss weg, alle verdächtig und vollkommen überflüssig.

      sarc/off

      • Was Sie als Sarkasmus kennzeichneten war kein Sarkasmus sondern nur Stumpfsinn. Was haben NGO’s mit der Feuerwehr zu tun ? Dürfte Ihrem einfachen Gemüt entgangen sein, dass gerade die Feuerwehren das Gegenteil von NGO’s sind. Die sind nämlich per Gesetz von der öffentlichen Hand, also GO’s, zu fInanzieren.
        Und das die Caritas und das Rote Kreuz jährlich eine Milliarde von der öffentlichen Hand kassiert, also vom Steuerzahler, dürfze Innen auch entgangen sein. Milliardenumsätze ! Aber das Bild in der Öffentlickeit als liebliche Sammelbüchsenschnorrer wird natürlich gehegt und gewahrt, obwohl da genau so knallharte undvaalglatte Profitmaximierer tätig sind. Der “Corona Gerry” vom RK kassierte neben seinem fürstlichen Gehalt nebenbei auch noch zusätzlich Zehntausende für sein Gesuddere im Fersehen für die “App”. Von wegen “Freiwillige”.

        • Eine Nichtregierungsorganisation (NRO bzw. aus dem Englischen Non-governmental organization [NGO]) oder auch nichtstaatliche Organisation ist ein zivilgesellschaftlich zustande gekommener Interessenverband, der nicht durch ein öffentliches Mandat legitimiert ist. Die Weltbank definiert NROs als private Organisationen, die durch ihre Aktivitäten versuchen, Leid zu mindern, die Interessen der Armen in der Öffentlichkeit zu vertreten, die Umwelt zu schützen, grundlegende soziale Dienste zu leisten oder Aktionen für Entwicklungsvorhaben zu initiieren. Diese Begriffsbestimmung wurde bewusst unscharf gewählt, da sich NROs aller denkbaren Aufgaben annehmen können.
          https://de.wikipedia.org/wiki/Nichtregierungsorganisation

          …wie Sie schon sagen, NGO’s kassieren nur und haben keine Daseinsberechtigung – in Ihren Augen.
          Hoffe Sie haben keine Wasserleitung in der Wohnung und produzieren keine Abwässer, die Verbände die das machen sind nämlich auch meist NGO’s…..

          … oder Sie reflektieren den Begriff noch mal, bevor Sie pauschalisieren.

          • Auch wenn Sie es intellektuell nur bis zu Wikipedia schaffen (Zitate daraus werden sogar in der Grundschule abgestraft), Feuerwehren sind keine NGO’s. Auch wenn sich ein Haufen Wichtigmacher kostenlos für Tätigkeiten hergibt, die per Gesetz von GO’s zu erledigen wären.

          • Zum eigentlichen Thema kam nickx, und kommt nickx, … wie auch, müßte man ja inhaltlich sinnerfassend wahrnehmen können, um was es geht.

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