Mittwoch, März 26, 2025

„Daschlogn“: Das war die Schredder Affäre

„Daschlogn“:

Es ist eines der bestgehüteten Geheimnisse der ÖVP: Was war auf den Festplatten aus dem Bundeskanzleramt, die in einer Geheimaktion zu Staub zermahlen wurden?

 

Thomas Walach

Eine der seltsamsten Episoden aus der Regierungszeit von Kanzler Kurz bleibt ohne strafrechtliche Konsequenzen. Des Kanzlers Leibfotograf als tollpatschiger Geheimagent, eine ungewöhnliche Weisung an die Staatsanwaltschaft, ein Polizist, der sich weigert, Ermittlungen zu führen, ein U-Ausschuss-Vorsitzender, der keine gefährlichen Fragen zulässt: Das war die Schredder-Affäre.

Die Regierung platzt

22. Mai 2019: „Ein Video kann ich nicht ausdrucken.“ So versucht der damalige Generalsekretär Karl Nehammer den Verdacht zu zerstreuen, dass eine dubiose Aktion des Kanzleramts etwas mit dem Ibiza-Video zu tun haben könnte. Noch keine Woche ist seit Auftauchen des Videos vergangen, doch die Regierung von ÖVP und FPÖ ist bereits Geschichte. Kanzler Kurz drängt Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf die Entlassung von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl. Der bereitet gerade die Einsetzung einer Ermittlungseinheit zur Aufklärung der Vorgänge um das Video vor.

Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Kickl wird entlassen, sein Generalsekretär Peter Goldgruber geht mit ihm. Noch bevor die Staatsanwaltschaft überhaupt Ermittlungen aufnimmt, setzen ÖVP-Vertrauensleute eine Sonderkommission (SOKO) der Polizei ein. Ihr Chef: Andreas Holzer, den ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger einmal als „guten Mann“ für eine Geheimaktion der ÖVP gegen Heinz-Christian Strache empfohlen hatte.

Fünf Festplatten müssen verschwinden

Das Kanzleramt lässt aus mehreren Druckern im Haus Festplatten entfernen – von Technikern der Verleihfirma. Die händigen Bernd P., einem Kabinettsmitarbeiter Gernot Blümels – damals Kanzleramtsminister – die Festplatten aus. P. übergibt sie an Arno M., den persönlichen Fotografen von Kanzler Sebastian Kurz. M. soll die ausgebauten Festplatten und zwei weitere, die er von P. bekommt, diskret entsorgen. Die Verantwortung für die Aktion will Nehammer später dem Fotografen umhängen: „Es tut ihm auch sehr leid, er ist 25 Jahre jung und sieht jetzt ein, was er da für einen Fehler gemacht hat“, sagt Nehammer über M. Dabei kam der Auftrag doch aus dem Blümel-Kabinett.

Der Leiter der IT im Bundeskanzleramt, Erich A., ist entsetzt über den Vorgang. Er will, dass die Speicher ordnungsgemäß vernichtet werden und versucht, die Geheimaktion aufzuhalten. Der IT-Chef sucht P. in dessen Büro, ruft ihn dreimal an – vergeblich. Als er P. endlich erwischt, besteht der auf der irregulären Vorgehensweise. Als Grund gibt er an, dass keine Zeit bliebe, auf die Sicherheitskräfte zu warten, die den Transport solcher Speicher üblicherweise bewachen. P. sollte sich später auch weigern, ein Protokoll über die Vernichtung der Speicher auszustellen.

Arno M. ruft bei der Firma Reisswolf an und fragt, ob er vorbeikommen könne, um Festplatten zu vernichten. Gesagt, getan. M. fährt nach Niederösterreich und lässt die Festplatten vernichten. Mitarbeiter von Reisswolf wundern sich darüber, dass M. darauf besteht, die Festplatten selbst durch den Schredder zu jagen; und dann noch einmal; und ein drittes Mal. M. verlangt sogar die mittlerweile zu Staub zermahlenen Festplatten zurück. M. hinterlässt einen falschen Namen (Walter Maisinger), aber seine richtigen Kontaktdaten bei Reisswolf. Die Rechnung für die Vernichtung der Festplatten bleibt er schuldig, denn Reisswolf akzeptiert kein Bargeld und M. will keine Spuren hinterlassen.

Dann passiert ein irrer Zufall: Der Reisswolf-Chef erkennt den vermeintlichen Walter Maisinger im Fernsehen wieder. Da steht er hinter Sebastian Kurz. Reisswolf erstattet Anzeige gegen M. Der fliegt auf, weil er sich am Telefon mit seinem echten Namen meldet.

Nun übernimmt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Ermittlungen.

Die Kripo sucht nicht nach Beweisen

18. Juli 2019: Die SOKO-Ibiza ermittelt im Auftrag der WKStA zu den Vorwürfen, die im Video geäußert werden. Die Staatsanwälte wollen auch wissen, warum die Festplatten aus dem Kanzleramt klammheimlich vernichtet wurden. Oberstaatsanwältin Christina J. telefoniert um 14:30 mit dem Kripo-Beamten Niko R. Um ihn gab es zwischen Staatsanwaltschaft und SOKO-Chef Holzer heftige Kontroversen. R. war von 2014-2015 Mitglied der ÖVP gewesen, kandidierte für einen niederösterreichischen Gemeinderat. Die WKStA wollte, um Anscheinsbefangenheit zu vermeiden, von Holzer wissen, ob seine Beamten Parteinähe aufwiesen. Holzer verweigert dazu jede Auskunft. Er sehe keine Befangenheit, das müsse reichen.

J. weist den Polizisten R. an, bei Schreddermann M. nach Beweismitteln zu suchen. Nach dem Treffen der beiden berichtet R. an die Staatsanwältin. Er erzählt ihr, dass er das Handy von M. schon in der Hand hatte, es aber zurückgab. Im Untersuchungsausschuss wird R. erklären, es sei ja egal, ob man ein Handy gleich oder eben zu einem späteren Zeitpunkt sicherstelle. J. hält ihre Fassungslosigkeit in Juristendeutsch im Ermittlungstagebuch fest: „Ich ersuche den Beamten, dies noch einmal zu überprüfen.“

Doch R. weigert sich. Obwohl er weisungsgebunden ist, leistete er der Anweisung der Staatsanwältin nicht Folge. Die SOKO wird später bestreiten, dass es die Weisung überhaupt gegeben hat. Staatsanwältin J. wirft kurz darauf enerviert das Handtuch und verlässt die WKStA.

Auch in der ÖVP-Zentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse sucht Niko R. nicht nach Beweisen. Warum? Laut Aktenvermerk, den ein Kollege von R. anlegt, habe Kanzlerberater Stefan Steiner den Beamten schon am Eingang gesehen. Man könne daher davon ausgehen, dass eventuelle Beweise bereits vernichtet sein würden, wenn R. Minuten später danach suchte.

So etwas hätten sie noch nie erlebt, sagen die ermittelnden Staatsanwälte später im Ausschuss – ein Kriminalpolizist, der befürchtet, dass Beweismittel vernichtet werden könnten, daraufhin aber nicht einschreitet, sondern gar nicht erst sucht.

Die WKStA wird aus dem Spiel genommen

1. August 2019: WKStA-Oberstaatsanwalt Gregor A. reicht es. Er erteilt der SOKO eine schriftliche Weisung, Laptop und Handy von Arno M. sicherzustellen. Am selben Tag, an dem A. die Anordnung unterschreibt, entzieht die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien der WKStA den Fall. Anlass dazu ist ein einzigartiges Manöver von OStA-Chef Johann Fuchs.

Johann Fuchs erteilt eine Weisung an die WKStA, die in Österreichs Rechtsgeschichte einzigartig ist. Es ist ein Blankoscheck für das Bundeskanzleramt, das selbst entscheiden darf, ob von der WKStA gegen seine Mitarbeiter ermittelt wird. Das geht so: Wenn das Bundeskanzleramt feststellt, dass die geschredderten Festplatten nichts mit dem Ibiza-Komplex zu tun haben, muss die WKStA denn Fall laut Weisung sofort abgeben.

Eigentlich müsste Fuchs diese Weisung zunächst dem Justizministerium zur Genehmigung vorlegen. Das tut er aber nicht. Möglich ist das nur bei „Gefahr im Verzug“. Welche das sein soll, geht aus Fuchs‘ Weisung nicht hervor.

2. September 2019: Die Tinte auf der Sicherstellungsanordnung ist kaum trocken, da langt ein Schreiben des Bundeskanzleramts bei der WKStA ein. Darin steht: Weil die Festpatten geschreddert wurden (!), könne man nicht mehr feststellen, was sich darauf befand – also auch nicht, ob der Inhalt etwas mit der Ibiza-Causa zu tun hatte.

Damit wird die Weisung der Oberstaatsanwaltschaft schlagend. Die WKStA muss den Fall an die Staatsanwaltschaft (StA) Wien abgegeben, die schon unterschriebene Anordnung, das Handy von Arno M. sicherzustellen, wird nie umgesetzt.

Gefährliche Fragen im Ausschuss abgedreht

4. März 2021: Im Ibiza-Untersuchungsauschuss stellt sich heraus, dass die beiden Festplatten, die nicht aus Druckern ausgebaut wurden, in dem Laptoptyp verbaut waren, der unter anderem Gernot Blümel als Dienstgerät zugeteilt wurde. Im Ausschuss versuchen SPÖ-Abgeordnete wiederholt, durch die Befragung von Kanzleramtsmitarbeitern herauszufinden, in wessen Büros die beiden Laptops standen – Laptops des Bundeskanzleramts lassen sich Zimmernummern zuordnen.

Doch der Ausschussvorsitzende, ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, verhindert immer wieder Fragen der Abgeordneten in diese Richtung. Bei der Befragung von Kurz‘ Assistentin Lisa Wieser kommt es diesbezüglich zu skurrilen Szenen: Sobotka wirft SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer sogar vor, zu „lügen“. Dafür müsste er eigentlich einen Ordnungsruf erhalten, doch einen Ordnungsruf kann nur der Vorsitzende – also Sobotka sich selbst erteilen. Einen Antrag darauf lehnt er ab. Wieser muss die Frage nach ihrer Zimmernummer, und damit indirekt nach ihrem Laptop, nicht beantworten. Dass sich Wieser – wie zuvor Gernot Blümel – nicht erinnern will, ob sie als Assistentin des Bundeskanzlers überhaupt einen Laptop hatte, verkommt da zur Randnotiz.

Was wurde aus…?

4. Jänner 2022: Es wird öffentlich bekannt, dass die StA Wien die nach einer Unterbrechung wieder aufgenommenen Ermittlungen in der Schredder-Affäre endgültig eingestellt hat. Angeklagt oder gar verurteilt wird keiner der Beteiligten.

SOKO-Leiter Andreas Holzer ist heute Chef der Kriminalpolizei. Arno M. wurde im Bundeskanzleramt befördert: Er ist heute Kabinettsmitarbeiter bei Bundeskanzler Karl Nehammer und Büromitarbeiter von ÖVP-Staatssekretärin Claudia Plakolm. Auch Bernd P. hat die Affäre nicht geschadet: Er hat einen Posten im Kabinett Nehammers und ist zusätzlich Gruppenleiter im Bundeskanzleramt. Und Polizist Niko R.? Er soll dem Vernehmen nach befördert werden – in die Abteilung für Organisierte Kriminalität, der alten Einheit von Andreas Holzer. Ex-Staatsanwältin Christina J. ist Mitinitiatorin des Antikorruptionsvolksbegehrens. Oberstaatsanwalt A. ermittelt unter anderem wegen der Inseratenaffäre gegen Sebastian Kurz und andere ÖVP-Leute.

Titelbild: APA Picturedesk

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