Freitag, April 19, 2024

Europa muss den Monopoly-Spielern aus Kasachstan Einhalt gebieten – Kommentar

Kommentar

Gastkommentar von Ex-Premier Akezhan Kazhegeldin zu den jüngsten Ereignissen in Kasachstan. Der im westlichen Exil lebende Oppositionelle beschreibt, wie sehr sein Land im Machtkampf der Clans versinkt. Was hinter den Protesten steckt und die EU jetzt tun muss:

Nur-Sultan/Almaty, 18. Jänner 2022 | Über 200 Tote, Tausende Verletzte und massenweise Verhaftungen sind das Ergebnis eines Putschversuchs in meinem Heimatland Kasachstan. Proteste waren bereits zum Jahreswechsel im Westen ausgebrochen und verbreiteten sich rasch im ganzen Land, dem neuntgrößten der Erde. Am 4. Jänner eskalierten die zunächst friedlichen Demonstrationen, welche sich zunehmend gegen die autokratische Regierung richteten.

Tausende meiner Landsfrauen und -männer riefen „Schal Ket“, was so viel bedeutet wie „Raus mit dem alten Mann“. Gemeint ist Langzeitherrscher Nursultan Nasarbajew, von 1991 bis 2019 Staatspräsident, der danach immer noch alle Fäden im Land zog – zusammen mit seiner Familie und Getreuen. Am 7. Januar gab Präsident Tokajew, der seit Nasarbajews Rücktritt Staatspräsident ist, bekannt, dass sein Vorgänger das von ihm eigens geschaffene Amt des Sicherheitsratschefs nicht mehr ausüben werde. Zudem befahl Tokajew einen Schießbefehl auf Demonstranten, das Internet wurde zeitweise lahmgelegt und die Regierung musste zurücktreten. Gewalt war über Tage eine furchtbare Tatsache.

Das Blutvergießen war in Wirklichkeit ein Machtkampf innerhalb der Eliten, bei dem einige Gruppen die friedlichen Proteste ausnutzen wollten, um mit Gewalt mögliche Reformen und eine gerechte Wirtschafts- und Sozialpolitik zu torpedieren. Dazu gehörten allem Anschein nach Teile des Sicherheitsapparates, der bis zuletzt eben noch unter der Kontrolle des Nasarbajew-Clans stand. Die Verhaftung von Anhängern des alten autoritären Systems ist ein Beleg für diese These. Es ist meiner Meinung nach eindeutig, dass die Unruhen in meiner Heimat in Wirklichkeit ein Putschversuch waren, angezettelt von Eliten im Dunstkreis des früheren Präsidenten.

Mein Land wurde in den letzten 20 Jahren immer mehr zu einem Monopoly-Feld für die Familie des Langzeitherrschers Nasarbajew: Während das Volk in Armut leben musste, wurde das Land von dieser sogenannten Elite aus Profitgier und Geltungssucht ausgebeutet. Ihren Reichtum haben sie unter anderem in Europa – besonders auch in Österreich – in Immobilien, Aktien und Firmenbeteiligungen angelegt, während ein Großteil der kasachischen Bevölkerung von 5 Euro am Tag leben muss. Internationale Organisationen haben mittlerweile genügend Belege dafür gesammelt, dass die Ausbeuter Kasachstans, die auch mitverantwortlich sind für Tote und Verletzte bei den Unruhen, ihr Kapital in Europa geparkt haben. Hier sei nur auf die neuesten Recherchen der in Wien ansässigen Organisation „Freedom of Eurasia“ hingewiesen, die nachgewiesen hat, wo die Milliarden des Nasarbajew-Clans offenbar liegen und die Basis für ein luxuriöses Leben abseits der Realität in Kasachstan liegen.

Natürlich kann es nicht die Aufgabe Europas sein, Demokratie, Pluralismus, eine freie und unabhängige Presse nach Kasachstan zu exportieren. Dies muss aus dem Inneren kommen, mit demokratischen Parteien und einer freien Zivilgesellschaft. Es darf aber nicht sein, dass diejenigen, die über Jahrzehnte die Bevölkerung Kasachstans haben ausbluten lassen, weiterhin einen sicheren Hafen in Europa haben und ihren unrechtmäßig erworbenen Luxus dort genießen können.

Der US-Kongress und das Parlament in London sind hier bereits weiter, sie bereiten Sanktionsmaßnahmen gegen kasachische Bürger in diesen Ländern vor. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten müssen nun nachziehen! Europa fußt eigentlich auf einem Werte-Kanon, der es unter anderem auch ermöglicht hat, dass Profiteure von Regimen in Russland, Belarus, Syrien und Iran im Westen nicht mehr das Leben führen können, das sie zuvor durch Ausbeutung und kriminelle Machenschaften genossen haben. Dies muss auch endlich für die geldgierige Clique aus Kasachstan gelten. Damit wäre nicht nur dem Werte-Kanon Westeuropas ein Dienst erwiesen, sondern auch den 18 Millionen Kasachen, die in Europa immer noch ein Friedens- und Gerechtigkeitsprojekt sehen. Europa darf sie nicht enttäuschen. Sanktionen gegen Würdenträger, die sich durch Korruption und Unterdrückung der Demokratie auszeichnen, müssen politischen Vorrang haben. Das Beispiel Belarus zeigt, dass solche Maßnahmen auch mit Blick auf Kasachstan so schnell wie möglich umgesetzt werden sollten.

Akezhan Kazhegeldin (69), Premierminister Kasachstans von 1994-1998, gilt als einer der einflussreichsten Oppositionspolitiker des zentralasiatischen Landes. Obwohl er aufgrund seiner Kritik am autoritären System unter Nursultan Nasarbajew sein Heimatland verlassen musste, kämpft er von seinem europäischen Exil aus weiterhin für Demokratie in Kasachstan. Bild: Wiki Commons.

Titelbild: APA Picturedesk/Wiki Commons

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2 Kommentare

  1. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ hat in seiner aktuellen Ausgabe das „Kasachstan-Komplott“ als Aufmacher. Eine prominente Rolle in dem Unterfangen, das Image des Landes im Westen aufzupolieren, spielt laut dem Magazin Ex-SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer. Dieser habe im Auftrag von Machthaber Nursultan Nasarbajew prominente westliche Politiker – darunter den deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Italiens Ex-Premier Romano Prodi – mit Geld angeworben. Dem „Spiegel“ liegen laut eigenen Angaben Unterlagen aus der Wiener Anwaltskanzlei Lansky vor, die in der Causa Rachat Alijew aktiv ist. In einer Aussendung über ebendiese Kanzlei verteidigt sich Gusenbauer. (ORF-News).

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