Das ist ein Unterüberschrift
Verschwörungserzähler, Rechtsextreme, Coronaleugner – viele von ihnen vernetzen sich auf Telegram. Doch wer steckt eigentlich hinter der umstrittenen Plattform?
Dubai, 20. Jänner 2022 | Aufgrund zunehmender Gewaltaufrufe ist Telegram mittlerweile im Visier sämtlicher Sicherheitsbehörden. Der russische Gründer und Multimilliardär Pawel Durow denkt aber nicht an Zensur und hält an der Grundidee seines Netzwerks, der freien Meinungsäußerung, fest.
Russischer Zuckerberg und Staatsfeind
Gemeinsam mit seinem Bruder Nikolai gründete der mittlerweile 37-jährige Durow im Jahr 2013 Telegram. Zuvor, im Jahr 2006 programmierten sie gemeinsam das „russische Facebook“ VKontakte, das in ihrer Heimat mehr aktive Nutzer als das US-amerikanische Vorbild zählt.
Im Jahr 2011 gerät Durow zunehmend ins Visier russischer Behörden, nachdem es nach umstrittenen Parlamentswahlen zu Demonstrationen gegen Vladimir Putin kam. Der Tech-Pionier weigerte sich damals, VKontakte-Profile von Oppositionspolitikern und Protestgruppen zu löschen. Durow zeigte sich unbeeindruckt und zeigte den Behörden den Stinkefinger, indem er auf Twitter unter dem Satz “Die offizielle Antwort der Sonderdienste auf die Aufforderung, Gruppen zu sperren” lediglich ein Bild eines Hundes, der einen Kapuzenpulli anhat, darunter postete.
Официальный ответ спецслужбам на запрос о блокировке групп http://t.co/uw5KBAU6 – http://t.co/zEowGWrd
— Pavel Durov (@durov) December 8, 2011
Daraufhin seien Spezialeinheiten vor seiner Tür aufgekreuzt. Als er auch während den Ukraine-Protesten im Jahr 2013 die Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst verweigerte, verließ er kurz darauf das Land.
Digitaler Nomade
Durow verkaufte seine restlichen Anteile an VKontakte um stolze 300-450 Millionen Dollar, kaufte sich daraufhin um 250.000 Dollar die Staatsbürgerschaft des Inselstaats St. Kitts und Nevis. Fortan bereiste er als „digitaler Nomade“ die Welt und konzentrierte sich voll und ganz auf sein neues Projekt: Telegram.
Drei Jahre lang wurden die Spuren Durows und seines Entwicklerteams unter anderem nach San Francisco, London, Paris bis nach Finnland verfolgt. 2017 wurde schließlich eine permanente Basis in Dubai bezogen.
Viel ist über Pawel Durow nicht bekannt, da er öffentlich kaum auftritt. Auf Instagram teilt er sein Jetsetter-Leben mit einer 684 Tausend Nutzern zählenden Followerschaft. Der Telegram-Boss präsentiert sich gern oben ohne, oder komplett in schwarz gekleidet. Laut “Forbes” kommt er auf ein Nettovermögen von 17,2 Milliarden US-Dollar.
Im Jahr 2014 gab der Telegram-CEO, der sich auf Twitter als “Teilzeit-Troll” bezeichnet, der “New York Times” eines seiner seltenen Interviews. Darin gab er unter anderem an, ein “friedlicher Mensch” zu sein, der gegen Kriege ist. Der Atheist sei zudem Vegetarier, auch Alkohol lehne er ab.
Gegenüber der “New York Times” erzählte Durow auch die Geschichte, als er 2012 mehrere 5000-Rubel-Scheine zu Papierfliegern gefaltet und aus einem Bürofenster geworfen hat. Auf der Straße löste die Aktion damals eine Schlägerei aus, die er erst später bemerkt haben will. Ein Jahr später soll er dem Whistleblower Edward Snowden nach dessen Ankunft in Russland einen Job angeboten haben.
Verzweigtes Firmennetzwerk und Rätsel um Finanzierung
Durow hat sich über die Jahre ein unübersichtliches System von Briefkastenfirmen geschaffen, die ihn als Eigentümer möglichst unerreichbar machen. Dafür gibt es mindestens ein Dutzend verschiedener Firmen, die unter anderem in Panama, Belize und den USA angemeldet sind. Auch wenn Durow öffentlich nicht darüber spricht, dürfte er damit das Ziel verfolgen, möglichst wenig Steuern zu zahlen, schreibt das deutsche Wirtschaftsmagazin “Capital” in einem ausführlichen Porträt über den Telegram-Gründer. Telegram sei „juristisch und physisch über mehrere Jurisdiktionen verteilt, womit wir vermeiden, ein zu einfaches Ziel für Datenanfragen und Behörden zu werden“, äußerte sich Durow im Jahr 2015 dazu.
Da die Nutzung von Telegram gratis ist und auch keine Werbung darauf geschalten wird, ist großteils unklar, wie sich der Nachrichtendienst finanziert. Zwar hat Durow im letzten Jahr angekündigt, ein Finanzierungsmodell vorzustellen, dieses hat er aber bis jetzt nicht umgesetzt. Experten vermuten daher, dass Telegram sein Geld von unbekannten Investoren erhält. “Capital” beschreibt im genannten Bericht einen Finanzierungsplan, der auf “der bestehenden Nutzerbasis eines neuartigen Blockchain-Ökosystems” aufbaut.
Durows Ziel sei laut seinem Biografen Nikolaj Kononow aber klar: „Einen digital-libertären Staat zu errichten und diesen zu regieren“. Der Gründer stehe außerdem für „eine neue Art von Politiker, der die Nutzer eines globalen Produkts direkt anspricht und ihnen Meinungsfreiheit, das Teilen von Informationen und das Versenden von Geld garantiert“, heißt es in der Biografie weiter.
Plattform für extremistische Gruppierungen
Der “Spiegel” bezeichnete Telegram unlängst als “Darknet für die Hosentasche”. Spätestens seit der Corona-Krise ist die Plattform einer breiten Masse bekannt. Anfangs vor allem als Alternative zu Whatsapp beliebt, mutierte der verschlüsselte Nachrichtendienst in den letzten Jahren immer mehr zum Netzwerk extremistischer Gruppierungen.
Bekannte Verschwörungserzähler wie Attila Hildmann und Xavier Naidoo in Deutschland aber auch Rädelsführer der österreichischen Coronaleugner-Szene wie Martin Rutter betreiben dort ihre Kanäle. Auch viele Rechtsextreme und Gruppen wie QAnon tummeln sich auf der Plattform. Heute nutzen weltweit über 500 Millionen Menschen regelmäßig Telegram.
(mst)
Titelbild: APA Picturedesk