Donnerstag, September 12, 2024

EuGH-Gutachten: Österreichs Indexierung der Familienbeihilfe unzulässig

EuGH-Gutachten:

Die Indexierung der Familienbeihilfe – Prestigeprojekt von Türkis-Blau – verstößt laut einem Gutachten des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen EU-Recht. Ein verbindliches Urteil folgt in den kommenden Monaten.

Wien, 20. Jänner 2022 | Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten müssen in Österreich unabhängig vom Aufenthaltsort ihrer Kinder die gleichen Beihilfen und steuerlichen Vergünstigungen wie österreichische Arbeitnehmer erhalten können, heißt es in den am Donnerstag veröffentlichten Schlussfolgerungen des EU-Generalanwalts Richard de la Tour.

Die Betroffenen würden schlussendlich in gleicher Weise zur Finanzierung des österreichischen Sozial- und Steuersystems beitragen wie österreichische Arbeitnehmer, argumentierte de la Tour.

Mit 2019 hat Österreich einen Mechanismus zur Indexierung der Höhe von Familienleistungen, Kinderabsetzbeträgen und anderen Steuervorteilen für Familien für EU-Bürgern eingeführt, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber im Ausland leben. Damit soll die Familienbeihilfe an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten der im EU-Ausland lebenden Kinder angepasst werden.

Verbindliches Urteil folgt

Laut EU-Kommission widerspricht dies den EU-Vorschriften über die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nicht nur verstoße die Regelung gegen geltende Vorschriften, sie sei auch noch diskriminierend, hieß es seitens der Brüsseler Behörde. Die Indexierung gelte schließlich “nicht für österreichische Staatsangehörige, die im Ausland für eine österreichische Behörde arbeiten und deren Kinder mit ihnen dort leben – obwohl ihre Situation vergleichbar ist.” Die EU-Kommission reichte im Mai 2020 Klage beim EuGH ein.

Die EuGH-Schlussanträge sind Gutachten, an die sich die EuGH-Richter bei ihrer Entscheidung nicht halten müssen. Meist tun sie es aber. Ein verbindliches Urteil folgt in den kommenden Monaten.

“Die Entscheidung des EuGH-Generalanwalts kommt für mich nicht überraschend. Ich war immer dieser Überzeugung und habe das deshalb auch so erwartet”, schrieb der ÖVP-EU-Mandatar und Erster Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas, auf Twitter. Auch für die Delegationsleiterin der Grünen im EU-Parlament, Monika Vana, kam der Schlussantrag “wie erwartet”. Die Indexierung sei “ein Angriff auf das Grundrecht der Freizügigkeit der Arbeitnehmer*innen”. Barbara Neßler, Grüne Familiensprecherin im Nationalrat, forderte von den zuständigen Ministerin Vorkehrungen für “die Rückzahlung der vorenthaltenen Summen aus den Beihilfen an die betroffenen Anspruchsberechtigten” zu treffen. Damit dies rasch nach einem EuGH-Urteil erfolgen könne.

Umstrittenes türkis-blaues Prestigeprojekt

Die Indexierung der Familienbeihilfe war ein von Anfang höchst umstrittenes Prestigeprojekt der türkis-blauen Koalition. Sowohl die Nachbarländer als auch Europaexperten hielten das Ansinnen schon vor Beschluss mit dem Europarecht für unvereinbar. Einsparen wollte Türkis-Blau mit der Indexierung 114 Millionen Euro jährlich. Gemäß einer parlamentarischen Anfragebeantwortung waren es 2019 freilich nur 62 Millionen.

(bf/apa)

Titelbild: APA Picturedesk

Autor

  • Benedikt Faast

    Redakteur für Innenpolitik. Verfolgt so gut wie jedes Interview in der österreichischen Politlandschaft.

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